Sammler

25 6 9
                                    

Der Sammler erwartete die beiden bereits, als sie durch die schwere Eingangstür in das Herrenhaus eintraten.
Die Hände hinter dem Rücken verschränkt stand er inmitten der Eingangshalle und besah die beiden Reisenden mit skeptischem Blick.
Das blonde Haar ihres Gastgebers war zerzaust, generell wirkte sein gesamtes Auftreten etwas zerstreut, doch er bemühte sich angesichts der Situation um ein höfliches Auftreten - nur den Unmut in seinem Blick versuchte er nicht einmal zu verstecken.
Wie Lorcan gesagt hatte, wirkte er alles andere als begeistert über das Eintreffen der beiden.

"Lorcan."
Er nickte dem Vampir knapp zu, Kaius ignorierte er gänzlich.
"Was verschafft mir die Ehre?"

Die Frage war rhetorisch, der Mann wusste genau, dass sie von Rat mit der Aufklärung der Mordfälle im benachbarten Dorf beauftragt waren, und ebenso wusste er das es als Sammler in seiner Pflicht lag Mitglieder des Rates zu beherbergen und diese mit den zusammengetragenen Quellen und Informationen, die in den Bibliotheken der Sammler lagerten, bestmöglich zu unterstützen.

Lorcan sah ihn skeptisch an, stützte sich mit beiden Händen auf dem silbernen Schlangenkopf ab, der seinen Gehstock zierte.
"Nun, falls es euch entfallen sein sollte, irgendwer, oder irgendwas, schlachtet die Bevölkerung in einem Dorf ab, welches eurer Beobachtung unterliegt."
Er blieb höflich, doch Kaius sah ihm an, wie schwer ihm das fallen musste.

"Irgendein Verrückter, vielleicht jemand der sich die Fälle von vor einigen Jahren zum Vorbild genommen hat. Nichts was der Rede wert wä-"

Der Sammler kam nicht dazu seinen Satz zu beenden.
Im Bruchteil einer Sekunde hatte Lorcan die wenigen Meter die zwischen den beiden Lagen überwunden, seine Hand um die Kehle seines gegenüber geschlossenen und ihn an die hinter ihm liegende Wand genagelt.

"Leute werden auf offener Straße gekreuzigt, verstümmelt und abgeschlachtet, wie Vieh und ihr wagt es darüber zu reden als hätte jemand eine Katze im Fluss ersäuft-"
Obwohl Lorcan mit dem Rücken zu ihm stand konnte Kaius den Blick spüren, mit dem sein Begleiter den Sammler zu durchbohren schien.
"Ihr könnt froh sein das eure Schwester ihre Aufgaben so gewissenhaft und zuverlässig erfüllt, andernfalls hätte der Rat in Anbetracht eurer Untätigkeit längst ein Exempel an euch statuiert. Seit verdammt nochmal dankbar das diese Position und all ihre Annehmlichkeiten euch nicht längst anerkannt wurden, angesichts der verdammt miserablen Arbeit, die ihr erbringt, Jean!"

Die Augen des Sammlers waren geweitet und panisch rang er nach Luft, doch Lorcans Hand schloss sich eisern noch fester um dessen Kehle.

"Lorcan-" begann Kaius, bewegte sich vorsichtig einige Schritte auf ihn zu, "Ich denke das reicht."

Mit einem wütenden Knurren löste er Vampir den Griff seiner Hand, der Sammler sank röchelnd zu Boden, stützte sich mit den Händen auf dem kühlen Fliesenboden ab.
"Steh auf." fauchte Lorcan, Kaius konnte spüren das es noch immer in ihm brodelte.

"Mach dich nützlich, bring uns in die Bibliothek und such einige Aufzeichnungen raus die wir brauchen. Gnade dir Gott, wenn du auch nur eine davon nicht finden kannst, ich weiß das sie in den Regalen stehen sollten. Und auch wenn ich nicht davon ausgehe das du dich in irgendeiner Weise mit den Morden auseinandergesetzt hast, da du dich offensichtlich nur um dein eigenes Wohlergehen sorgst, solltest du irgendwelche Notizen oder Informationen zu den Morden haben, und seien es nur Gerüchte, trag sie zusammen."
Lorcan warf ihm einen Zettel vor die Füße, von dem Kaius wusste das es eine Auflistung verschiedener Aufzeichnungen und Bücher war, Lorcan hatte sie erst während ihrer Reise verfasst.

Im Stillen bewunderte er den Vampir dafür das dieser scheinbar nur aus der Erinnerung um die Ausmaße der Sammlung zu wissen schien, doch noch mehr beeindruckte es ihn das Lorcan sogar die genauen Regalplätze eines jeden Buch und einer jeden Aufzeichnung in der Bibliothek kannte, denn er hatte die Auflistung mit eben diesen versehen.
Zum Glück des Sammlers, wie Kaius vermutete, denn er wagte zu bezweifeln das dieser überhaupt wusste welche Werke sich in seiner Sammlung befanden, schien sein Interesse daran doch mehr als gering zu sein.

Für einen Moment starrte Jean ungläubig zu Lorcan hinauf, ergriff dann hastig die Liste, rappelte sich auf und eilte zu einer weiteren Flügeltür, ähnlich der durch die sie das Gebäude betreten hatten.
Die alte Holztüre öffnete sich mit leisen Knarren und gab den Blick frei auf die wohl größte Bibliothek die Kaius je zu Gesicht bekommen hatte - sie übertraf selbst die Bibliotheken der Klöster, die er besucht hatte in ihrem Umfang um ein Vielfaches.

Ehrfürchtig betrat er an der Seite von Lorcan den Raum. Bis unter die Decke waren die Regale mit Büchern, Schriftrollen und losen Zetteln gefüllt, einige Fächer schienen beinahe überzuquellen und es fiel schwer angesichts der schieren Menge an Schriftstücken irgendeine Ordnung zu erkennen.
Lorcan steuerte zielstrebig auf einen kleinen Schreibtisch zu, der von Regalen und Bücherstapeln verborgen in einer Ecke stand. Neben diesem Schreibtisch befanden sich in derselben Ecke noch zwei schwere Lehnsessel, doch abgesehen davon befanden sich keinerlei weitere Möbelstücke in der Bibliothek.

Lorcan ließ sich in einen der Sessel sinken und griff wahllos nach einer der zahlreichen Schriftstücke die um ihn herum verteilt lagen. Interessiert betrachtete er den Inhalt, während man irgendwo in den Reihen der Regale die hastigen Schritte des Sammlers vernehmen konnte, scheinbar bemüht die geforderten Schriftstücke schnellstmöglich zusammenzusuchen - eher, um Lorcans Gesellschaft endlich zu entfliehen als wirklich um Mithilfe bemüht, wie Kaius vermutete.

Gedankenverloren trat er an die bodentiefen Fenster, durch welche fahles Mondlicht in das Innere des Herrenhauses drang. Der großzügige Garten, der das Anwesen umschloss, lag friedlich vor ihm und selbst in der nächtlichen Dunkelheit war zu erkennen das der Garten sich in einem gepflegten Zustand befand. Kaius nahm sich vor, sich die nähere Umgebung bei Tageslicht näher anzusehen.

"Ein schöner Anblick, selbst bei Nacht - und ein beinahe abstrakter Gegensatz zu den düsteren Sümpfen, nicht wahr?"

Er zuckte zusammen, Lorcan war unbemerkt neben ihn getreten und hatte den Blick ebenfalls hinaus in die Dunkelheit gerichtet.

"Gibt es auf dem Anwesen eine Kapelle?"

Lorcan legte den Kopf schief, schien einen Augenblick über die Frage seines Begleiters nachzudenken und verschränkte nachdenklich die Hände hinter dem Rücken.

"Ja, ich denke schon. Allerdings weiß ich nicht in welchen Zustand sie sich befindet, wenn ich mich recht entsinne-"
Er kam nicht dazu seinen Satz zu vollenden, denn in diesem Moment ließ der Sammler einen großen Stapel an Aufzeichnungen auf den kleinen Schreibtisch fallen.
Lorcan wirbelte herum, trat einen Schritt auf den Tisch zu und begutachtete kritisch die zusammengetragenen Bücher und Schriftrollen.

"Gut. Sorgt dafür das die Aufzeichnungen ins Kaminzimmer gebracht werden. Ihr könnt gehen, Jean." wies er den Sammler an, wandte sich ab und beugte sich wieder über den Schreibtisch.

Jean lächelte gezwungen, deutete eine Verneigung in Richtung Lorcan an und drehte sich dann zu Kaius.

"Gerne zeige ich euch morgen, wie ihr zu unserer kleinen Kapelle gelangt. Lasst es mich einfach wissen, wenn ihr gedenkt diese zu besichtigen."

Erneut rang der Sammler sich ein höfliches Lächeln ab, dann machte er kehrt und verschwand aus der Bibliothek.

"Wie freundlich er doch sein kann, wenn er sich nur ein bisschen Mühe gibt." knurrte Lorcan leise, stieß sich von der Tischplatte ab, auf der er seine Hände gestützt hatte.

"Komm,Kaius. Es ist spät. Wir haben morgen viel zu tun."

SchattengrußWo Geschichten leben. Entdecke jetzt