Erste Begegnung

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Im ersten Moment war ich einfach nur überrascht. Ich weiß nicht, ob es anderen öfter passiert, aber für mich war es das erste Mal, dass mich eine völlig unbekannte Person plötzlich umarmt. Aus Reflex legte ich auch meine Arme um seinen Körper, woraufhin er...schnurrte? 
Mein zweiter Gedanke war, dass ich mich unheimlich wohl in den Armen des Schwarzhaarigen fühlte. Es war, als würde ich nach ein langen Tag endlich zu Hause kommen, als wären die Arme dieses Menschen nur dafür geschaffen mir Sicherheit und Geborgenheit zu schenken, als wäre er mein Gegenstück. Ich wollte nie wieder etwas anderes spüren, als diesen warmen Körper an meinem.
Nur kurz konnte ich die wohlige Geborgenheit genießen, bevor sich mein Verstand nach vorne drängte. Alle Geräusche, Gedanken, Gerüche und Eindrücke drängten sich gleichzeitig wieder in meine Wahrnehmung. Ich nahm die verwunderten, verwirrten und teilweise auch eifersüchtigen Blicke der anderen Kunden wahr und fühlte mich unter diesen sofort unwohl, weswegen ich langsam anfing mich aus der Umarmung herauszuwinden. Doch dies bewirkte nur, dass ich noch stärker an die fremde Männerbrust gedrückt wurde.
Jetzt war es mir wirklich unangenehm, deshalb fragte ich leise: „Kannst du mich bitte loslassen?". Dies wurde mit einem sehr kurz gebrummt "Nein" quittiert. Jetzt wurde mir wirklich mulmig zumute. Mein Herz wollte zwar noch immer nicht aus den Armen des Unbekannten, aber so langsam kehrte mein gesunder Verstand zurück. Ich wusste, dass ich mich bedrängt fühlen sollte. Es ist nicht normal von einem Fremden ohne Vorwarnung umarmt zu werden. Deswegen wisperte ich möglichst ruhig und ohne den Hauch von Panik, der gerade in meiner Brust entstand: „Ich muss so langsam wirklich los, sonst verpasse ich meinen Bus", und drückte ihn mit aller Kraft an den Schultern von mir weg.
 
Entgegen meiner Erwartung, entfernte sich das Koloss nun von mir. Er hatte wohl doch den Hauch Panik heraushören können. Jedoch schaffte er nur so viel Platz, wie notwendig war um, mir ins Gesicht zu schauen.  Ich hob meinen Blick und schaute in das schönste Gesicht, dass ich jemals gesehen hatte und wohl auch sehen würde. Zwar hatte ich ihn bereits kurz am Eingang gemustert, aber sehr schnell festgestellt, dass er mit seiner fast göttlichen Erscheinung deutlich über meinem Niveau war und deswegen auch kein genaueren Blick gewagt.
Nur die wenigsten Männer wirkten auf mich tatsächlich attraktiv, weswegen ich mich schon mehrfach gefragt hatte, ob ich nicht vielleicht lesbisch war. Aber dieser Mann war die Verkörperung der Attraktivität, Schönheit und Sexappeal. Er war so perfekt, dass er nicht wie Teil der Menschheit schien, sondern Teil der griechischen Götter.
Erst schaute ich nur auf das Kinn. Ich meine, in wie fern sollte ein Kinn attraktiv wirken könne? Das dachte ich auf jeden Fall immer. Aber dieses Kinn…Es war von einem leichten Drei-Tage-Bart bedeckt. Natürlich wusste ich nicht, ob der Bart tatsächlich erst drei Tage alt war, aber so wird diese Art von Bart nun mal genannt. Der Mann vor mir hatte ein eher spitz zulaufendes Kinn und genau in der Mitte des Kinnes konnte ich einen kleinen Leberfleck erkennen. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Dieser kleine braune Punkt war so unglaublich süß. Aber das war auch das einzige süße in dieser Perfektion. Vom Kinn glitt mein Blick noch etwas weiter noch oben. Über die sinnlichen, nicht zu vollen und somit weiblich, aber auch nicht zu schmalen Lippen, die relativ breite und flache Nase zu seinen Augen. Ich hielt automatisch den Atem inne, als ich in die Tore zur Seele blickte. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie solche wunderschönen und faszinierenden Augen geblickt. Es schien als würden die Augen ein Eigenleben führen. Langsam, wie Farbe, die in Wasser gegeben wurden ist, wanderten grün, blau und ein Hauch von rot auf der Regenbogenhaut herum. Nur schwer konnte ich mich von den Augen lösen um den Rest des Kunstwerkes zu betrachten. Die tiefschwarzen, wirren und doch scheinbar perfekt gezogenen Augenbrauen betonten zusammen mit den vollen und ebenfalls tiefschwarzen Wimpern die Augen. Kurz bewunderte ich noch den scharfen Kiefer und die kaum noch männlicher scheinenden Gesichtszüge, bevor ich die Haare musterte. Kurze, kleine und dunkelbraune Locken bedeckten seinen Schopf. Für ihn war es wohl ein großes Glück, dass er nicht blond war. Er würde sonst einem Engel gleichen. So wirkte er eher wie Luzifer persönlich.
Meine Musterung dauerte wohl nur wenige Sekunden, jedoch wohl lange genug, dass der Begleiter des Umarmers ungeduldig wurde und seine Stimme erhob: „Wir können dich gerne zur Bushaltestelle bringen, oder Estha?“ Der Sprecher war bestimmt ein Kopf kleiner und somit etwa genauso groß wie meine Wenigkeit als der erste Fremde. Neben ihm wirkte er sehr zierlich, denn während das T-Shirt des Mannes, der noch immer beide Arme um mich geschlungen hatte, sehr spannte und deutlich die Breite und Muskelmaske unterstützte, verschwand der Sprecher fast in seinem Pullover. Außerdem besaß er fast mädchenhafte Gesichtszüge, welche durch das Schulterlange Haar nur noch mehr unterstützt wurde.
Interessant, der Mann vor mir hieß also Estha. In einem der kitschigen Liebes-, Bad Boy- und Werwolfgeschichten würde er bestimmt Jayden heißen. Aber ich war ja in keiner meiner Bücher und der Namen Estha passte irgendwie wie der Deckel auf seinen Topf.
„Mmmh“, brummte Estha jedoch nur, und wollte mich wieder an seine wohlriechende und muskulöse Brust ziehen, doch ich stemmte mich entschieden dagegen. „Entschuldigen Sie bitte“, ich schaute meinem Gegenüber entzürnt ins Gesicht, „Da wo ich her komme ist es nicht gängig Fremde in den Arm zu nehmen. Würden Sie mich bitte los lassen? Außerdem möchte ich nicht zum Bus gebracht werden. Den Weg kann ich sehr gut alleine gehen.“ Zum Ende hin wurden meine Worte immer entrüsteter.
Beide starrten mich erstaunt an. Hatten die noch nie jemanden gesehen, der sich gegen ihre Vorschläge wehrte?
„Das kommt nicht in Frage“, reagierte der Riese dann als erstes auf meine Worte, ließ mich jetzt aber endlich volllständig los. „Ohne uns wirst du nicht zum Bus kommen“
Diese Aussage sollte mich eigentlich ängstigen, aber aus irgendeinem mir nicht erklärlichen Grund freute ich mich viel mehr über diese Aussage. Tief in mir fühlte ich mich dadurch behütet und wertgeschätzt. Sehr schräg. Ich schüttelte diese fremden und ziemlich verrückten Gefühle ab und konzentrierte mich auf meinen Verstand.
„Das kann nicht ihr Ernst sein!“, rief ich aus, „Ich kenne Sie nicht und trotzdem sind sie der Meinung über mich bestimmen zu können.“
„Dann wirst du mich eben auf dem Weg zum Bus kennenlernen“, knurrte mich Estha an und zog mich an meinem Arm in Richtung des Ausganges. Während ich mich versuchte aus dem engen Griff zu lösen, schimpfte ich den Besitzer der Hand aus: „Hey, ich muss noch andere Sachen besorgen und außerdem kann ich nicht ohne zu bezahlen aus dem Laden stolzieren.“ Ich zog noch einmal kräftig an meinem Arm und doch bewegte er sich um keinen einzigen Millimeter aus dem Griff heraus. „Okay“, gab ich auf, bedacht, dass so wenig Menschen wie möglich dieses Szene mitbekamen, „Lass mich bitte los, meinen Einkauf erledigen und dann, um Himmels Willen, bringt ihr mich eben zum Bus.“
Anscheinend waren das die richtigen Worte, denn endlich hörte Estha auf an mir herumzuzerren, sondern blickte mir mit einem strahlenden Lächeln ins Gesicht. Er schien so glücklich, dass sich auf meinem Gesicht völlig unpassend auch ein Lächeln ausbreitete. „Wirklich“, brachte der Grinsende nur heraus und ich konnte bei diesem Gesicht einfach nur ergeben mit einem „Ja!“ antworten.
So liefen wir also durch den Laden und später auch zur Bushaltestelle. Ich vorne weg, mal hinter, mal neben mir Estha mit einem riesigen Lächeln im Gesicht, dass mich kurz davor brachte, ihn zu fragen, ob er auf Drogen war und ein stiller namensloser Begleiter mit ausdruckslosen Gesicht als Abschluss des Zuges.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 31, 2021 ⏰

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