Der Tag war normal. So normal, dass es schon fast wieder merkwürdig erschien. So, als wenn sich ein Gott, wenn es den geben sollte, sich dachte, dass er mir noch mal ein Tag Normalität schenken wollte, bevor sich das Leben Kopf steht.
Ich stand um halb sechs auf, nicht so früh, dass es auffällig wäre und nicht so spät, dass ich verschlafen hätte.
Dann vollzog ich meine Morgenroutine. Sie war nicht kürzer oder länger als normalerweise.
Auch in der Schule war alles so durchschnittlich, dass es schon fast gruslig war. Natürlich fiel es mir damals nicht auf, sondern nur rückblickend stellte ich das fest.
Ich stand im Drogeriemarkt vor dem Zahnpastaregal und telefonierte mit meiner Stiefmutter Linda: „Also, ich soll eine Packung Windeln, Briefumschläge, Seife und eine neue Zahnbürste für Lio besorgen, oder?". Auch dieses Telefonat war nichts Besonderes. Meine Stiefmutter vergisst ständig irgendetwas beim großen Wocheneinkauf und da sie unter der Woche keine Zeit hat Einkaufen zu fahren, muss ich regelmäßig nach der Schule noch irgendetwas besorgen. Für mich war das kein Problem, da ich sowieso nach der Schule immer noch eine Wartezeit in der Stadt hatte. Ich wohnte in einem Dorf, welches in etwa 20 Kilometer von meiner Schule entfernt lag und die Busse fuhren nicht so häufig. Mir kam es also ganz gelegen, wenn Linda mich darum bat noch etwas zu besorgen.
„Ja, das war es soweit. Bitte denke unbedingt daran die richtige Zahnbürste zu nehmen. Das letzte Mal hast du schon wieder die falschen besorgt. Gerade du solltest doch wissen, welche Lio benutzt. Immerhin machst du ihn morgens fast immer fertig..." Ab diesem Zeitpunkt schaltete ich ab und widmete mich dem Regal vor mir. Das war mal wieder so typisch für meine Stiefmutter: Ich mache einmal einen kleinen Fehler und sie hält ihn mir Ewigkeiten vor. Ich hatte es schon längst aufgegeben sie überzeugen zu wollen, dass sie möglicherweise übertrieb oder gar mir Unrecht tat. In diesem Fall war es nämlich so, dass ich bewusst andere Zahnbürsten eingepackt hatte, weil Lio immer Zahnfleischbluten von den vorherigen bekommen hat. Ich hatte auch jetzt nicht vor mich Linda zu fügen.
Also griff ich nach der auserwählten Zahnbürste und versuchte nebenbei meine herzallerliebste Stiefmutter abzuwimmeln. „Ist gut. Ich werde dieses Mal besser darauf achten, was ich besorge." „Das will ich aber hoffen. Und bei den Briefumschlägen, denk bitte daran..." Und wieder unterbrach ich Linda.
Es tat mir schon etwas Leid, wie ich mit ihr umging, aber das war bis jetzt der einzige Weg, den ich gefunden hatte, um mit ihr einigermaßen zurecht zu kommen. Das heißt schon etwas, da ich schon seit etwa fünfzehn Jahren mit ihr zusammen wohne. Trotzdem war sie nie ein Mutterersatz für mich geworden. Unser Zusammenleben bestand hauptsächlich darin, dass ich versucht ihr alles Recht zu machen und dabei, so wenig wie nur irgendwie möglich, in ihre Nähe zu kommen. Wir hatten also nicht die beste Beziehung.
„Ich weiß das bereits, Linda. Ich werde jetzt die Sachen zusammen suchen und bin wie immer um halb sieben zu Hause. Bis Nachher!", versuchte ich mich von ihr zu verabschieden, was natürlich nicht gelang.
„Arabella Malia Naujock! Das kann doch nicht dein Ernst sein. Was fällt die ein mich einfach so abzuwürgen. Du hast gefälligst mit mir anders um zu gehen", schrie mich Linda sofort über das Telefon an. Es war klar, dass sie im Laufe dieses Gespräches noch wegen irgendeiner Sache laut werden musste.
„Es tut mir leid", entschuldige ich mich leise und fühlte mich sofort schlecht. Am meisten jedoch nicht aufgrund dessen, warum ich massgeregelt wurde, sondern vor allem, weil ich meiner Stiefmutter gerade eine Lüge erzählt hatte. Es tat mir nicht leid. Das machte es nur noch schlimmer. Ich war ein Mensch, der überhaupt nicht gerne lügt, egal wie nett und höflich es vielleicht wäre. Trotzdem konnte ich super gut lügen und bis jetzt hatte es noch nie jemand bemerkt, wenn ich es tat.
Bei Linda machte es das Ganze jedoch auch nicht besser. „Das macht es doch nur noch schlimmer. Du bist ein Vorbild für deine Geschwister und die Tageskinder. Ich muss von die erwarten könne, dass du dich benimmst. Wie oft soll ich die das noch sagen, Arabella? Du lernst einfach nicht."
Linda war Erzieherin und hatte sich einen eigenen kleinen Betrieb aufgebaut. Deswegen war es ihr um so wichtiger, dass ich mich auf jeden Fall herausragend benahm und somit das Vorzeigekind für ihre Leistungen war. Meiner Meinung nach ging sie aber mit mir nicht so um, wie es eine richtige Mutter tuen sollte. Aber meine Meinung tat schon lange nichts mehr zur Sache.
Plötzlich wurde ich von meinem Telefongespräch und Gedanken abgelenkt, da eine Mann in den Drogeriemarkt stürmte. Ich stand noch immer vor dem Zahnhygieneregal, welches sich in einer Nische nahe des Einganges befand. Ich hatte von hier aus einen guten Blick auf die Eingangstür, jedoch konnte man mich, wie ich aus eigener Erfahrung wusste, von dort aus nicht sehen. Der Mann sah sehr angespannt aus. Er hatte einen verbissenen Blick, was ihn nur noch heißer Macht als er sowieso schon war. Er zog mit seinem Aussehen alle Blicke, welche er nicht schon durch sein plötzliches Erscheinen hatte, auf sich. Während er kurz am Eingang stehen blieb und sich scheinbar suchend umblickte, tauchte hinter ihm eine zweite, etwas außer Atem geratene Person auf, welche optisch fast das genaue Gegenteil von dem ersteren erschien. Während der erstere mit seinen schwarzen Haaren und braungebrannter Haut wie der typische Südeuropäer erschien, hatte der zweite helle Haut mit schwarzen schulterlangen Haaren und asiatischen Gesichtszügen. Sobald der Asiate den anderen erblickte, fragte dieser aufgebracht: „Was ist denn in dich gefahren? Alles in Ordnung?" Noch während seiner Worte hatte der Blonde wohl sein Ziel gefunden und lief ohne sich umzublicken in den Laden herein. Ich wollte mich gerade wieder meinem Telefonat widmen, da ich zu dem Entschluss gekommen war, dass ich mit dieser Situation absolut nichts zu tun habe, als ich aus dem Augenwinkel wahrnahm, wie sich die Gestalt mit dem Blick auf mich fokussiert näherte. „Ähm, ich muss jetzt leider auflegen, bis nachher Linda.", wimmelte ich meine Stiefmutter schnell ab und dachte schon ängstlich auf ihre Reaktion, wenn ich zu Hause war, bevor ich auflegte.
Ich hatte einfach, dass Gefühl, dass ich bei der kommenden Situation all meine Konzentration brauchte und wusste, dass ich nicht falsch lag, als mich der Mann in seine Arme zog.
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Mondscheinkonzert
WerewolfArabella war ein nicht ganz so normales Mädchen, welches sich aber in ihrer Rolle im normalen Leben mehr oder weniger wohlgefühlt hat. Eines Tages trifft sie auf eine seltsamen Mann, der sie schon bei ihrer ersten Begegnung umarmt. Diese Hartnäckigk...