Kapitel 2

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Je näher die drei dem Schlosseingang kamen, desto reger wurde das Treiben um sie herum. Heute schienen ungewöhnlich viele Menschen unterwegs zu sein.

"Was ist denn hier los?", wunderte sich Alden. Niemand hatte sie über ein Ereignis informiert, das dieses Chaos erklären würde. Überall standen Wachen, welche Händler und Personal überprüften, die wie ein aufgescheuchter Haufen durch die Gegend liefen, um all ihre Aufgaben zeitig erledigen zu können. Coletta wandte sich an einen der Soldaten am Portal, um eine Erklärung zu verlangen.

"Die Königliche Familie empfing heute hohen Besuch aus Caelum.", teilte er Coletta mit, "Niemand wusste etwas davon. Nicht einmal die Älteste konnte ihre Anwesenheit vorhersehen."

Ein zweites mal am heutigen Tag überkam Coletta ein mulmiges Gefühl. Wenn nicht einmal die Älteste das Eintreffen der Fremden vorhersehen konnte, und das trotz magischer Fähigkeiten, lief etwas gewaltig schief.

"Das muss ich mir ansehen" murmelte sie und wollte schon zur Tür schreiten, als jemand sie am Handgelenk packte. Es war Bruno.

"Es ist nicht unsere Aufgabe solche Situationen zu überprüfen und das weißt du auch.", und obwohl er sich offensichtlich Mühe gab seine Unsicherheit zu verbergen, hörte sie die Sorge aus seiner Stimme heraus. Sie blickte ihm in die grünen Augen und begann zögernd zu nicken, sodass er den Griff um ihren Arm lockern konnte. Doch als er sich zu Alden wandte, nutzte Coletta den Moment seiner Unachtsamkeit und stürmte an den Wachen vorbei ins Schloss. Sie hörte noch wie ihr Name gerufen wurde, als sie schon das gigantische Gebäude betrat. 

Sie war in ihrem Leben noch nicht oft im Palast gewesen und es raubte ihr jedes mal den Atem. Vor ihr erstreckte sich eine großen Halle. Die Böden waren bedeckt von kunstvoll gewebten, dunkelroten Teppichen und die Wände geschmückt mit allerlei Gemälden der Königsfamilie, eingerahmt in Gold und Silber. Die Decke allerdings war Colettas Favorit. Es handelte sich um eine gigantische Deckenmalerei, welche von der Geschichte der sieben verschiedenen Königreiche berichtete. Dargestellt wurden das Weiß und die sieben Farben, ihren Kampf gegen die Schatten und die Entstehung der Erde. Ohne es zu merken, musste Coletta lächeln. Als Kind hatte sie diese Geschichte am liebsten gehört.

Doch schnell wurde sie durch eine Bewegung im Augenwinkel zurück in die Realität gerissen. Eine kleine Gruppe, bestehend aus fünf Menschen, kam auf sie zu. Allesamt waren sie unfassbar Alt, ihre Haut bleich wie Papier und ihre Gesichter faltig und eingefallen. Die Soldatin merkte sofort, dass sie nicht aus dieser Gegend kamen, denn ihre Kleidung war alles andere als gewöhnlich. Sie trugen lange pastellfarbene Roben, mit weiten Trompetenärmeln, die trotz der verschränkten Arme fast auf den Boden reichten. Um ihre Taille trugen sie Gürtel, bestehend aus einer Art Schnur, die in goldenen Perlen mündete. Das eigenartige waren jedoch ihre Bewegungen. Trotz ihres hohen Alters, schienen sie beinahe über den Boden zu schweben. Nie hatte Coletta solche Eleganz gesehen. Dies musste der Besuch aus Caelum sein.

Der kleinste unter ihnen, ein Mann mit dunklen, wachsamen Augen, blickte sie plötzlich hasserfüllt an. Allein ihre Gegenwart schien ihn anzuekeln. Seine Iris schien so finster zu sein, dass sie fast mit seiner Pupille verschmolz.

Steif wie ein Brett stand sie da, während die Fremden langsam auf sie zu kamen, und wäre wahrscheinlich einfach über den Haufen gelaufen worden, wären Alden und Bruno ihr nicht gefolgt, um sie rechtzeitig aus dem Weg zu ziehen. Als sie sich ihren Freunden zuwandte um ihnen ein aufgezwungenes Lächeln zu schenken, spürte sie den Blick einer der Fremden in ihrem Rücken.

"Was ist nur mit dir los?", zischte Alden ihr zu, als er und Bruno sie aus dem Palast brachten, wobei man es eher ein sanftes Ziehen nennen sollte, und blickte ihr aufgebracht entgegen.

Doch Coletta schüttelte nur mit dem Kopf. Sie war sich sicher ihre Freunde würden sie für verrückt erklären. Aber sie schwor sich, dass sie nicht aufgeben würde, bis sie wusste was in den Schloss vor sich ging.




Als Coletta spät am Abend ihr Zuhause betrat, fand sie alles vor wie gewöhnlich. Ihre Schwester schlummerte friedlich mit ihrem alten abgenutzten Teddy unter ihrem Arm und auch ihr Vater war, wie immer eigentlich, bei der Arbeit eingeschlafen. Sie weckte ihn, schließlich würde er in der Position nur seinem Rücken schaden, half ihm noch den Weg in sein Bett zu bewältigen und gab ihrer Schwester noch einen flüchtigen gute Nacht Kuss auf den Scheitel. Dann kletterte sie die Leiter zu ihrem Schlafplatz hoch, schälte sich aus ihrer verschwitzten Kampfmontur und legte sich hin. Seufzend breitete sie ihren schmerzenden Körper auf dem knarzenden Bett aus und schloss die Augen. Doch obwohl sie unglaublich müde war, konnte sie nicht schlafen. Die Hitze erschien ihr plötzlich unglaublich erdrückend. Unruhig wälzte sie sich umher, nicht fähig Ruhe zu finden. Immer wieder sah sie die Augen des Gesandten aus Caelum vor sich. Wie sie ihr leer entgegen Blickten, als stammten sie von einer Leiche. Und dennoch fühlte sie sich, als hätten sie die Tiefen ihrer Seele ergründen können. Sie schüttelte sich.

Wohlwissend, dass sie nicht die geringste Chance hatte nun noch Schlaf zu finden, erhob sie sich, entzündete einen Kerzenstummel und ging zum Fenster. Draußen war es ungemein ruhig und auch die Laternen leuchteten gedimmt, wodurch die tiefen Tunnel dieser Stadt in eine unheimliche Atmosphäre getaucht wurden. Coletta blickte an die tiefschwarze Decke des unterirdischen Ganges und stellte sich vor, wie es wohl wäre jetzt unter dem freien Sternenhimmel zu stehen. Natürlich hatte sie noch nie einen richtigen Stern gesehen, geschweige denn den Mond, doch sie kannte es von den Geschichten der alten Männer, die sich in der Hitze des Tages an den Straßenrand setzten und den Kindern ihre Märchen aus den oberirdischen Königreichen erzählten. Sie berichteten über weite Dünen aus Sand, riesige Türme aus Eis, hohe Pflanzen die tausend Jahre alt werden konnten und Wasser, das vom Himmel fiel. Niemand hier unten schien sich vorstellen zu können, dass diese unglaublichen Berichte die Realität widerspiegelten. Zu lange waren sie in diesen dunklen Höhlen eingesperrt gewesen.

Plötzlich riss etwas Coletta aus ihren Gedanken. In ihrer Träumerei hatte sie gar nicht bemerkt, dass alle Lichter, die die Straße eigentlich beleuchten sollten, langsam aber sicher erloschen. Die Kerze neben ihr war jetzt das einzige, das ihr half sich zu orientieren. Ihr wurde schlecht. In den beinahe 20 Jahren ihres Lebens, hatte sie nie vollkommene Dunkelheit erfahren. Die Straßenlaternen erloschen zu keiner Tageszeit.

Ab dann verging alles wie in Zeitlupe. Ein markerschütternder Schrei nach dem anderen hallte durch die unterirdische Stadt. Coletta schauderte. Dieses Geräusch ließ sich nur mit einem Wort beschreiben: Todesangst. Vor ihr brach die Welt in Chaos aus. Ein Haus schräg gegenüber schien langsam Feuer zu fangen und der dadurch erzeugte Lichtkegel erlaubte ihr eine riesige, dunkle Silhouette am Fenster des Hauses ausfindig zu machen. Sie schien das Licht im Zimmer zu absorbieren streckte seine langen, knochigen Finger in Richtung der Bewohner.

Rot- Das gebrochene LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt