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Ich hasse das Gefühl. Ich hasse es wirklich sehr. Du bist so nah und doch so fern, bloß eine Wand zwischen deinem und meinem Zimmer. Nur eine winzige Wand und doch scheinbar unüberwindbar. Dein Bett steht genau an dieser Wand. An der Wand, an der ich bereits gefühlte Stunden meinen Kopf gegen lehne. Ich höre dich. Ich höre das leise schluchzen auch wenn du es scheinbar mit deiner Decke oder deinem Kissen oder sonstigem versucht zu dämpfen. Ich hasse es wenn du weinst. Wenn du leidest. Es sei denn, ich will es so, aber das hier ist das letzte was ich möchte. Ich weiß warum du weinst, auch wenn du es mir gegenüber natürlich nie zugegeben würdest. Du weinst wegen ihm. Es ist in den letzten Jahren deutlich seltener geworden, doch scheinbar hat unser Streit vorhin etwas in dir ausgelöst, was dich dazu brachte, zu viel über ihn nachzudenken. Was bin ich nur für ein Idiot? Ich will dieses Stück Dreck aus deinem Gedächtnis löschen und dich nicht dazu bringe, noch mehr an ihn zu denken und ihn zu vermissen! Ich wünschte, er wäre niemals geboren. Er hat kein recht dich zu quälen. Er hat kein Recht, dass du an ihn denkst und er hat noch weniger recht dich zum weinen zu bringen. All das darf nur ich! Hörst du? Nur ich darf das! Also hör auf zu weinen. Bitte. Du musst aus diesem Haus raus. Weg von deinen Eltern, von dieser Stadt und deiner Uni. Alles hier erinnert dich an ihn und das kann ich nicht mehr hinnehmen. Ich ertrage es nicht, dass du wegen ihm weinst! Verdammt! Ich ertrage keinen einzigen weiteren Gedanken, denn du an ihn verschwendest. Keinen einzigen weiteren Blick auf die Bilder von ihn in deinem Zimmer. Ich werde sie wegschmeißen müssen. Es geht nicht anders. Ich kann es nicht akzeptieren und ich will es auch gar nicht! Es gibt einfach grenzen, die auch du einhalten musst Schwesterherz. Morgen. Gleich morgen, werde ich die Bilder aus den Rahmen nehmen und verbrennen. Das ist das einzige was dieser Bastard verdient hat, verbrannt zu werden. Seine ganze Identität sollte ausgelöscht werden. Niemand benötigt ihn hier mehr. Du am aller wenigsten. Er ist ein stätiges Dorn in meinem Auge, obwohl er nicht mal hier ist. Wäre er zumindest wirklich offiziell Tod. Dann würdest du nicht immer hoffen, dass er wieder kommt und seinen Platz an deiner Seite wieder antritt, als wäre nichts gewesen. Ich hatte unsere Eltern schon öfter gefragt, ob sie ihn nicht für Tod erklären wollen. Immerhin ist er schon so lange verschwunden. Doch du musstest ja immer dazwischen funken. Wahrscheinlich würdest du erst Ruhe geben, wenn seine Leiche gefunden würde. Am liebsten würde ich sie dir höchstpersönlich bringen und vor die Füße werfen. Würdest du mich dann endlich akzeptieren? Vermutlich nicht.

Ich seufze leise. Dein weinen ist verstummt. Wahrscheinlich bist du endlich vor Erschöpfung eingeschlafen. Ich richte mich auf. Meine Knie schmerzen, weil ich auf ihn gesessen hatte. Ich strecke mich und öffne dann leise die Tür zum Flur. Alles ist jetzt ruhig und still. Unsere Eltern sind schon früh schlafen gegangen, weil sie erschöpft von ihrem Ausflug waren. Du hast dich dann auch in dein Zimmer zurück gezogen und mich natürlich keines Blickes gewürdigt. Ich gehe zu deiner Tür und lausche, doch tatsächlich ist alles still. Ich drücke die Türklinke herunter, schließe die Tür hinter mir wieder und gehe zu deinem Bett. Du scheinst tatsächlich zu schlafen, dein Atem geht ganz ruhig. Ich gehe vor dir in die Hocke und betrachte dein Gesicht. Wenn du schläfst wirkst du so friedlich und lieb. Die Tränenspuren sind noch gut sichtbar und ich kann nicht anders als mich vorzubeugen und sie mit der Zunge nachzufahren. Sie schmecken salzig und ich hasse diesen Dreckskerl noch viel mehr, dass er schuld dran ist. Meine Hand wandert zu deinen vollen Locken, die um dein Gesicht gefächert sind und dich so unschuldig aussehen lassen. So verletzlich. Ich hab deine Haare schon immer geliebt weshalb meine Finger in ihnen eintauchen und ich es mir nicht nehmen kann, meine Kopf vorzubeugen und an ihnen zu richen. Der Duft deines Shampoos und dein eigener umhüllen mich und lassen mich erneut aufseufzen. Du riechst so verdammt gut, dass es wirklich an meiner Selbstbeherrschung rüttelt. Dein Oberkörper ist bloß in ein weißes Shirt gehüllt. Ich sehe wie deine Brust sich bei jedem Atemzug hebt und sinkt und sich dadurch deine Brustwarzen immer wieder durch den weißen Stoff drücken und mich vollkommen elektrisieren. Wie gern würde ich jetzt die Hand auch dort hin ausstrecken, doch ich bin wie erstarrt. Was du wohl unter der Decke trägst? Eine Hose oder bloß deine Unterwäsche? Wie gern würde ich nachgucken, aber ich reiße mich zusammen. Dafür werde ich noch reichlich Zeit haben. Stattdessen presse ich meine Lippen auf deine Schläfe um dann wieder aufzustehen. Wenn ich sowieso gerade hier bin, kann ich auch jetzt einfach diese verdammten Bilder mitnehmen. Das Mondlicht scheint durch das Fenster und beleuchtet deinen Schreibtisch auf dem eins seiner Bilder steht. Ich schleiche mich dort hin und nehme das Foto. Sein ekelhaftes Gesicht lächelt mich davon an und ich weiß nicht wie es geschehen konnte, doch auf einmal liegt es mit einem lauten Knall in Scherben am Boden. Ich zucke selbst zusammen vom Krach des brechenden Glases und husche schnell wieder näher an dein Bett, was mehr in den Schatten steht, als du auch schon die Augen aufschlägst und verschlafen in meine Richtung blickst. Doch du scheinst noch zu sehr in deinen Träumen gefangen zu sein, denn scheinbar verstehst du nicht wirklich, was hier vor sich geht oder deine Augen haben sich noch nicht genug an die Dunkelheit gewönnt.

"Nathan?" Deine Stimme klingt so leise und verloren, dass es mit erneut wütend macht, was er immer noch für eine Macht über dich besitzt. Doch, so sehr ich es auch hasse, immer mit ihm von dir verglichen zu werden, bin ich neugierig wohin das führt, wenn ich mit spiele.

"Hey, Krümel." Ich weiß nicht, wie seine Stimme geklungen hatte, aber zumindest war das scheinbar ebenfalls einer seiner Spitznamen für dich.

"Nathan." Nun ist deine Stimme erneut weinerlich und du streckst deine Hand nach mir aus, die ich sofort ergreife, mich aufs Bett fallen lasse und dich an mich ziehe. Dein Weinen wird wieder lauter und du klammerst dich so fest an mich, dass ich mir wünschte, du würdest das wegen mir machen und nicht wegen ihm.

Wie ich es hasse. Wie ich es verdammt noch mal hasse, dass du mir nie eine Chance gegeben hast. Ich konnte nie was dafür, was passiert ist, bevor ich Teil der Familie wurde und doch hast du immer nur mir die Schule dafür gegeben. Niemals deinen Eltern, die mich adoptiert hatten oder, gottbewahre, deinem ach so tollen Bruder.

Ich löse sanft deinen Griff um dich dann wieder in deine Kissen zu drücken, woraufhin du die Augen wieder schließt

"Geh nicht weg",flüsterst du und ich streichele dir als Antwort über die Wange. Scheiß drauf. Scheiß drauf, dass ich damit warten wollte. Scheiß drauf, dass ich damit deine Situation grade einfach ausnutze, um zu bekommen was ich will. Du musst es ein für alle mal lernen, dass ich nicht er bin sondern viel besser. Ich beuge mich, wie bereits einige Stunde zu vor, wieder über dich, so das mein Gesicht genau über deinem schwebt. Ich greife deine Hände und lege sie neben deine Kopf und sie mit meinen festzuhalten.

"Ich hab dich vermisst, Nica", hauche ich dunkel und erneut öffne sich deine Augen für einen kurzen Moment bevor sich ein lächeln auf deinem Gesicht ausbreitet. Ein lächeln was ich noch nie zu vor mir so direkt zugewandt gesehen hatte. Ein lächeln so voller Liebe, dass mir der Atem stockt. Du bist so unfassbar schön, dass alles in deiner Nähe verblasst.

"Ich dich auch Nathan. Bleib für immer bei mir."

"Das werde ich." Mit diesen Worten überwinde ich den Abstand zwischen unseren Gesichtern und presse meine Lippen auf deine.

Verdammt.

Deine Lippen sind so weich und ich drücke mich näher an dich um dich heftiger zu küssen.

Ich will mehr. Mehr. MEHR!

Ich spüre dein zögern. Wahrscheinlich bist du verwirrt, doch ich denke gar nicht daran, dass hier zu unterbrechen und als du leicht deinen Mund öffnest, vielleicht auch nur um was zu sagen, nutze ich die Chance um deinen Mund zu erkunden. Das ist nichts, indem du mich mit deinem Bruder vergleichen könntest. Das hier gehört nur mir.

Das hier ist der Himmel.

Oder die Hölle je nachdem von welcher Seite man es betrachtet. Nicht wahr Nica?

Hasse mich!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt