.:𝙻𝚒𝚎𝚋𝚎 𝚖𝚊𝚌𝚑𝚝 𝚋𝚕𝚒𝚗𝚍:.

41 7 8
                                    

𝚂𝚘𝚗𝚗𝚝𝚊𝚐, 𝟸𝟽.𝟷𝟷.𝟷𝟼

Die grausame Nacht nahm ein Ende,
doch die Grausamkeit ging nahtlos in den Tag über.

Widerwillig beteiligte sich Harley am Frühstück und weil ihr Vater gerade höchst beschämt das schwarze Omelette musterte, nahm sie aus Mitleid einen Bissen.
"Wo ist Mum?", fragte die jüngere Kim nach der eigentlichen Köchin des Hauses. Harley blickte für den Bruchteil einer Sekunde auf den leeren Platz ihr gegenüber und wartete dann ebenfalls auf die Antwort des rundlichen Familienoberhauptes.

Dieser zuckte jedoch nur zusammen und packte dabei seinen Kaffee, den er sich ungeniert zu Mund führte.
Scheinbar hatte er sich die Lippe verbrannt, denn im nächsten Moment verzog sich sein Gesicht.
Echte Männer kannten jedoch keine Schmerzen und so gab er schließlich zu: "Nach einem gewissen Vorfall, versucht eure Ma noch etwas Schlaf nachzuholen."

Eliot war wütend und das zurecht.
Harley wusste weshalb ihr Pa ihren Anblick mied und versuchte deshalb auch nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Stattdessen akzeptierte sie die dicke Kluft in der Luft, dessen Entstehung sie voll auf ihre eigene Kappe nahm.
Immerhin musste Eliot seine Tochter um drei Uhr morgens auf dem Revier abholen und das aufgrund Hausfriedensbruchs.
Die vermeintliche Rebellin erinnerte sich noch genau daran, wie die Hautfarbe ihres Vaters vom bleichen Weiß allmählich ins Feuerrot wechselte.

Und dennoch, das schlechte Gewissen galt nicht ihrem Pa, sondern ihrer Mutter. Sie nimmt doch nicht etwa wieder mehr von dem Antidepressiva?
Vielleicht wegen der Müdigkeit, eventuell aber auch wegen dem Gefühlschaos hatte Harley vergessen ihrer eigentlichen Morgen- oder Bettroutine nachzugehen.
Fehlten mehr Tabletten als üblich in dem braunen Fläschchen?
Hatte sie ihre psychisch angeschlagene Mutter wieder in ein unüberwindbares Leid getrieben?
Wie von selbst schoss ihr Körper in die Höhe. 32 Tabletten waren vor vier Tagen noch drinnen, dann müssten heute noch 28 da sein, ordnete sie ihre Gedanken auf dem Weg zum Badezimmer.

"Hier geblieben, Fräulein! Du pflanzt deinen Hintern sofort wieder auf den Stuhl. Sie will dich gerade nicht sehen." Eliot musste angenommen haben, seine Tochter wollte ihre Mutter besuchen.
Das stimmte zwar nicht ganz, aber seine Worte verfehlten nicht ihre Wirkung. Harley zuckte nach nur wenigen Schritten zusammen. Ihre blutende Seele erzeugte beinahe physische Schmerzen.
Ma will mich nicht sehen? Es laut auszusprechen, traute sie sich nicht, denn die Antwort hätte sie nicht ertragen können.

Stillschweigend trugen sie ihre Beine zurück zum Tisch und bis auf Eliot, der innerlich zu kochen schien, wagte sich keines der Mädchen auch nur eine Bewegung zu.
Ruby lunzte ab und an über den Rand ihrer Tasse zu ihrem Vater, der energisch auf seinem Teller herumstocherte und dann zu ihrer Schwester, bei der sie sich unsicher war, ob diese überhaupt noch atmete.
Irgendwann ertrug die jüngere Kim die Stimmung nicht mehr.
"Ich mache mich dann mal an meine Hausaufgaben." Und damit stand sie auf, legte ihr Geschirr ins Spülbecken und verschwand. Harley und ihr Vater blieben alleine zurück.

"Uns allen fällt Margos Tod unglaublich schwer, aber wir halten zusammen. Wir wollen es schaffen. Warum entziehst du dich der Familie?
Tun wir nicht alles für dich?
Wenn du schweigen willst, dann schweige. Wenn du rebellieren willst, dann rebelliere. Wir haben alles akzeptiert, weil wir dachten das gehört zum Trauerprozess dazu, aber anstatt das es besser wird, fängt es nur wieder von vorne an. Deine Mutter befürchtet eine zweite Tochter zu verlieren. Wie kannst du ihr das antun, Harley? Du warst immer die vernünftigste von allen. Ich bin so verdammt enttäuscht! "
Mittlerweile wieder rot wie eine reife Tomate schmiss Eliot sein Besteck auf den Tisch und entfernte sich ebenfalls.

Er ließ sich auf das Sofa fallen und kurz darauf erklangen die örtlichen Nachrichten aus dem Fernsehen.
Harley musterte den breiten Rücken ihres Vaters, der mehr einer verschlossenen Tür, als einem warmen Körper aus Fleisch und Blut ähnelte. Eine Tür, die nur für sie verschlossen war.

JokerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt