Lost my soul

1. Die Klassenarbeit

Tick. Tack

Paralysiert starre ich auf die Uhr, die an der Klassenzimmerwand hängt. Normalerweise sitze ich da und muss beobachten, wie sich die Zeiger keinen einzigen Millimeter bewegen. Heute hingegen scheint es fast so, als würde die Zeit nur so dahin fliegen.

„Ihr habt nur noch eine halbe Stunde Zeit bis zur Abgabe", durchbricht die Stimme meines Mathematiklehrers die zuvorige Stille, die sich über die gesamte Klasse gelegt hatte.

Ein paar der Schüler zucken missmutig zusammen, andere wenden panisch ihren Blick in Richtung Klassenzimmeruhr. Scarlett, meine beste Freundin, die nebenbei bemerkt auch meine Nebensitzerin ist, radiert zum gefühlt 100 mal an der selben Stelle ihres Blattes herum. Auch sie wirkt verzweifelt und erschöpft, so wie der klägliche Rest dieser Klasse.

Wer kann es ihr auch verübeln? Mr. Howard's Mathearbeiten sind immer wieder aufs Neue eine Herausforderungen. Das Mathematik an sich bereits ein schwieriges Fach ist, reicht ihm natürlich nicht. Er muss es einem noch schwerer machen. Dabei hatte die Note Vier mehr als genug meinen sonst so guten Notendurchschnitt heruntergezogen.

Doch nach dieser Arbeit, nach dieser Abgabe meiner leeren Papiere, lande ich sofort und ohne erbarmen auf einer glatten Sechs. Und das ist ja noch nicht mal das traurigste an der Sache.

Das eigentlich, wirklich schlimme ist, dass dieser Mann da vorne mich gebrochen hat. Er hat mich klein gekriegt, sowie auch alle anderen Schüler hier. Er hat es geschafft, das ich bei dem bloßen erhaschen der ersten Aufgaben in ein hysterischen Lachanfall ausgebrochen bin nur um anschließend in ein tiefes Loch der Depression zu fallen. Mein Gott, ich hab nicht eine Einzige Aufgabe berechnet, nichts!

Mir ist bewusst, das diese Art von Negativität nichts bringt. Das wird mir auch keine gute Note beschaffen. Es ist besser, wenn ich meine Gedanken auf andere Sachen fokussiere und diese los lasse.

Automatisch wandern meine Augen aus dem Fenster und somit auch zu Blake, der sich nur zwei Plätze von mir entfernt befindet. Im Gegensatz zu dem Rest von uns hält er in einer entspannten Haltung inne.

Seine Arme sind hinter seinem Kopf verschränkt, seine Beine liegen entspannt aufeinander. Vor ihm liegen seine Blätter, fein und säuberlich aufeinander gestapelt. Von weitem erkenne ich, das er jede einzelne Aufgabe bearbeitet hat.

Unauffällig tippe ich Scarlett an, die mit ihrem Gesicht mittlerweile auf dem Tisch liegt und sich nun ebenfalls als hoffnungslosen Fall abgestempelt hat. Sie richtet sich langsam auf als sie mich mit einem fragenden Blick ansieht. Ich deute auf Blake und dessen perfekt ausgefüllte Klassenarbeit.

„Aber als wir Nachhilfe gebraucht haben hat er geschwiegen wie ein Lamm, dieser elendige Sohn einer..", mitten in Scarlett's Satz ertönt die Klingel, die den Unterricht beendet.

Mr. Howard steht von seinem Stuhl auf und beginnt durch die Reihen zu laufen. „Das wars dann, eure Zeit ist um. Alle Stifte auf die Seite!". Ich hatte zwar nie einen in der Hand gehabt, aber das Spielt nun auch keine Rolle mehr. Stillschweigend gebe ich meine Blätter an Mr. Howard und vermeide es, ihm in seine Augen zu sehen.

Ich kenne meinen Mathelehrer und er kennt meine Leistungen. Und anhand meiner leeren Blätter würde er mir mit einem wortlosen, enttäuschten Kopfschütteln signalisieren, das ich eine Null bin. Eine erbärmliche, klägliche Null. Und darauf kann ich nun wirklich verzichten, das weiß ich mittlerweile auch ohne es aus seinen Mimiken herauszulesen.

„Also ich bin reif für die Pause, wie sieht es mit dir aus?". Scarlett hat bereits ihre Sachen zusammengepackt und steht Abmarsch bereit vor meinem Tisch. Schwerfällig nicke ich und räume auch mein Schulzeug in meinen Rucksack. Ich kann es kaum erwarten, dieses beschissene Klassenzimmer zu verlassen. Gemeinsam begeben wir uns auf den Schulflur, auf dem Blake bereits steht und uns abfängt. „Schwere Klausur, nicht wahr?". Elegant legt er den einen Arm um meine Schultern und den anderen über Scars, gefolgt von einem schelmischen grinsen auf seinen Lippen.