Kapitel 2

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Auf dem grossen Parkplatz laufe ich zu meinem Jeep, der bei der Entriegelungstaste mit einem Lichtblinken auf sich aufmerksam macht. Rund ums Gerichtsgebäude sitzen Menschen, die mit ihren Arbeitskollegen zu Mittag essen. Ich haste mit meinem schwarzen Anzug ohne Accessoires oder einem Kleks Farbe an ihnen vorbei und sehe damit wie ein gewöhnlich gestresster Newyorker aus. Ich trage meine korrigierte Brille und darunter getönte Kontaktlinsen, welche meiner Iriden ein langweiliges Braun verleihen und so von den missratenen Farben ablenken. Meine Haare sehen bestimmt ausserformgeraten aus, doch da ich jeden Morgen versuche meine Haare gerade zu föhnen und mir nicht die Mühe für Haargel mache, sind sie für gewöhnlich eh ein Wirrwarr zwischen schwarzen Wellen und Locken. Mein Gesicht ist ziemlich symmetrisch und kantig, meine Lippen sehr voll und jetzt ziemlich sicher rot angeschwollen. Auf Fotos sehe ich laut meiner Mitmenschen immer sehr hübsch aus, doch mein Auftreten und meine soziale Inkompetenz ruinieren mein Erscheinen, was mich nicht juckt. Schönheit kommt bekanntlich von innen und wird von einem freundlichen Lächeln oder dem Funkeln in den Augen unterstrichen. Mein liebgespieltes Lächeln Fremden gegenüber wirkt meist gezwungen und aufgesetzt, somit unglaubwürdig und nicht von Nutzen. Ich lache eigentlich gerne und ich weiss, sogar, dass mein Lächeln mit einem Grübchen auf der linken Wange ansteckend ist aber mich zu öffnen fällt mir schwer. Deshalb wurde ich Anwalt und nicht Arzt, ich hätte auch Profipokerspieler werden können, denn ein Pokerface habe ich mir seit meinem 15ten Lebensjahr bereits perfekt antrainiert.

Um 14:15 treffe ich mich mit dem perfekten Beweis, dass ich mehr aus mir hätte machen können. Mein Ebenbild sitzt mir gegenüber in einem Kaffee und grinst mich an. Clariett: Mein Zwilling, mein Eigenosse und meine permanente Erinnerung, dass mein Leben auch anders hätte verlaufen können, wenn ich wie er meine Comfortzone verlassen würde. Sprühend vor Lebensfreude tippelt er mit den Fingern auf dem Tisch den Takt von irgendeinem Gute-Laune-Song, welchen er bestimmt in seinem hässlichen Peugeot auf dem Weg hierher gehört hat, während er in seinem Kopf die perfekte Eiskreation aus der Karte zusammenstellt. Als die Kassierin an den Tisch kommt um unsere Bestellung aufzunehmen, huschen ihre Augen für 5 Sekunden verwirrt zwischen uns beiden hin und her. Ich beobachte sie und warte ab. Obwohl mein Bruder noch in die Karte sieht und dabei ein vorfreudiges Lächeln seine Lippen ziert, spricht sie ihn zu erst an. Ich stöhne innerlich. Er zeigt sein oder bessergesagt unser Grübchenlächeln und blickt die Kassierin mit seinen eisblauen Augen an. Wie erwartet schmilzt von seinem Anblick dahin. Er zieht immer die Blicke auf sich, da er etwas hat, was ich nicht habe: Ein Lebensfunke. Kurz bin ich geneigt auch mal zu lächeln, doch als ich die Mundwinkel heben will, merke ich, dass sich das unnatürlich anfühlt und lasse sie wieder sinken. Mein Bruder isst ein riesen Eiscremebecher und ich trinke bloss einen schwarzen Kaffee. Nicht, dass ich auf meine Ernährung achte, ich mag Eis einfach nicht. Immer wenn ich in sein Gesicht sehe während er isst, frage ich mich, wie er wohl unsere Kindheitsdämonen zurück in ihre Löcher verbannen konnte. Doch fragen würde ich ihn nie, denn die Schuld für unser Leid lastet schwer auf mir. Manchmal bin ich mir nicht ganz sicher, ob er wirklich realisiert hat, dass ich der Auslöser war, denn würde er es tun, wäre er jetzt nicht hier.

Er faselt etwas von einem Koalarettungsprojekt und dessen Relevanz für die Fauna und Flora. Ich nicke und stelle dann die alles entscheidende Frage: "Wie lange gehst du weg?" Er zuckt mit den Schultern und sagt dann: "Solange wie das Geld reicht", somit könnte er für immer und ewig dort sein, denn er weiss, dass ich ihn immer bei allem unterstützen würde. Doch bei dem Gedanken ohne ihn zu sein, kämpfe ich gegen den Drang an, mich an ihn zu klammern und anzuflehen gar nie zu gehen. Er scheint den Kampf in mir zu bemerken und lächelt beruhigend: "Keine Angst, ich rede von meinem eigenen Geld." Wie immer schafft er es mich abzulenken und ein klein wenig aufzuheitern. Ich lächle: "Also einen Tagesausflug?", er verzieht den Mund und scheint gekränkt zu sein, doch fängt sich gleich wieder: "Nein, Twinnie. Ich habe im letzten Monat auf einer Baustelle gearbeitet... Du weisst schon, die Hände schmutzig gemacht und so. Das halt, was du nie tuhst. An deinen Händen klebt bloss das symbolische Blut." Ich weiss, dass er nicht einverstanden mit meinen Machenschaften ist, deshalb überrascht mich diesen nicht allzu seltenen Seitenhieb nicht. Uns beiden ist bewusst, dass er auf mein Geld angewiesen ist, denn zum längeren Arbeiten ist er zu faul. Wir sind die Work-Life-Balance. Ich Work, er Life. "Wie läufts in der Jungswg?", er mag keine ernsten Gespräche und wollte damit wohl gekonnt von einem Potentiellen ablenken. Ich wohne in einem grossen Haus mit Aiden, Nate und Jackson. Wir alle sind schwul. Nate und Jackson ein Paar. Aiden und ich lassen immer die Finger von einander, auch wenn wir wohl laut unseres Umfelds das Traumpaar abgeben. Wir sind einander zu wertvoll und verhalten uns wie Geschwister, wir kennen nicht nur die Dämonen des Anderen sondern wie teilen sie. Abfuck und Abfuck in einer Beziehung wäre eine Abfuckbeziehung und entspricht nicht unseren Präferenzen. Jeder von uns hat eine eigene Etage im Haus aber wir kleben trotzdem immer aufeinander. "Gut", antworte ich Cla, "Aiden hat vor ein Gartenhaus zu bauen und dort ein Atelier einzurichten. "Ein Atelier? Wer malt denn?", ich zucke mit den Schultern und grinse vor mich hin. Niemand bei uns ist künsterlisch nur ansatzweise begabt und vor allem wird dort wahrscheinlich alles mögliche gemacht, nur nicht gemalt. Cla fragt glücklicherweise nicht nach. Auf der Strasse fahren diverse teure Wagen und gelbe Taxis umher, selbst nachmittags herrscht hier Stau. Ich würde gerne bei Zeiten gehen, da ich nicht in die Rush Hour geraten möchte. Langsam leite ich das Ende ein und verlange die Rechnung. Cla greift showmässig zum Portemonnaie, doch ich übernehme wie immer die Kosten. Er macht das nur aus Höflichkeit und wenn man bedenkt, dass ich ihm jeden Monat Geld "leihe", immer mit dem Wissen, es nie wieder zu sehen, würde er die Rechnung sowieso mit meinem Geld begleichen. Sinnlos.

Nach meinem Feierabend entscheide ich mich, dass ich mich mal wieder in der Greene Bar vorbei schauen könnte. Mein Tick sind Bars und Restaurants: ich kaufe sie auf und liebe es sie aufzumotzen. Das Greene ist einer meiner liebsten Projekte und zu gleich eines meiner ersten. Ich habe nie damit abgeschlossen es zu erneuern. Es besteht aus einer Bar und einer riesigen Terasse mit zahlreichen Pflanzen in Töpfen und im Boden. Fast das ganze Inventar ist aus Holz, geschmückt mit Lampions und Lichterketten. Als ich eintrete umhüllt mich sofort die frische Briese aus Natur und Blumen, ein direkter Kontrast zu den Abgasen in der Innenstadt. Fast alle Tische sind belegt von Anzugsträgern, Freundesgruppen oder Familien. Alle sind heiter und quatschen über ihren Tag. Obwohl der Laden mir gehört erblicke ich kein bekanntes Gesicht, ich kenne nur die Führungskräfte, welche nicht sichtbar an der Bar arbeiten. Also stelle ich mich hinter eine Gruppe Girls in die Bestellschlange und nehme mein Geschäftahandy hervor. 3 verpasste Anrufe von unbekannten Nummern, augenblicklich verfliegt meine einigermassen passable Laune und wird in die eines blutrünstigen Wolfs. Ich erhoffe mir gute neue Klienten oder Angebote in der Gastronomie Branche und will gerade zurückrufen, als ich an der Reihe bin. Ich bestelle ein Wasser ohne Kohlensäure weil mir Kaffee gerade gar nicht zusagt und warte geschlagene 17 Minuten. Die Bardame quatscht  währenddessen noch mit ihrem Mitarbeiter und nimmt kurz aber wahrscheinlich unbewusst ihr Handy hervor. Ich wollte hier immer eine entspannte Atmosphäre FÜR GÄSTE. "Was war denn so wichtig, dass sie 17 Minuten für ein Wasser benötigen?", frage ich sie und ziehe provokant eine Augenbraue hoch. Sie wird unruhig, ich kann es riechen und ihre Hände beginnen leicht zu zittern. Sie stammelt etwas von einer Arbeitskollegin und kurz helfen, dabei kann sie mich nie länger als eine Sekunde ansehen. Eine offensichtliche Lüge. Am liebsten würde ich ihr meine Macht unter die Nase reiben und sie feuern, doch heute ist ein angenehmer Tag, also entscheide ich mich für eine simple Frage: "Was macht der Job hier attraktiv?", sie verblüfft und schockiert mich zugleich mit ihrer Ehrlichkeit und der Unwissenheit, wer eigentlich vor ihr steht. "Das Arbeitsklima ist immer gut, man kann sich so viel Freiheit nehmen wie man will und wird dafür auch noch super bezahlt. Ich nehme an Sie sind irgendein Wallstreetguy aber wenn Sie einmal arbeitslos sein sollten kann ich Ihnen den Laden hier nur empfehlen." "Danke", antworte ich simpel und drehe mich auf der Suche nach einem Platz um.

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