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Ein paar Wochen vergingen. Ich traf den Psycho regelmäßig. Manchmal schwieg ich und manchmal redete ich. Manchmal schwieg er und manchmal redete er. Ich hätte niemals gedacht, dass es sich gut anfühlen könnte mit jemandem zu schweigen. Mein Vater wunderte sich, über die Veränderungen, die ich gemacht hatte. Mit jedem Tag wurde ich ruhiger und gelassener. Ich konnte spüren, wie das Feuer in mir kleiner wurde und das gab anderen Dingen Platz. Es fühlte sich gut an. Freier.

Yavuz habe ich überall blockiert und seit der Sache auch nicht gesehen, was vielleicht kindisch aber nötig war. Wir haben ihn aus unserem Leben entfernt und waren zufrieden damit, auch, wenn man eine leere spüren konnte. Die Jungs kümmerten sich, um alles, genauso wie sie gesagt haben und das machte mir alles leichter. Gesundheitlich hatte sich bei mir nichts verändert. Ich dachte jeden Tag darüber nach, mich untersuchen zu lassen, doch schaffte es nicht, die ersten Schritte zu machen. Vor allem, gab es wichtigeres. Meiner Mutter ging es wieder schlechter. Sie lag wieder im Krankenhaus. Dieses Mal blieb ich, die ganze Zeit bei ihr. Ich ließ sie nicht aus den Augen. Es brach mir das Herz, sie so zu sehen, doch ich musste stark für sie sein. Ich musste meinen Vater ein wenig Last von den Schultern nehmen. Er war sehr erschöpft und total fertig. Das alles war zu viel für ihn. Er versuchte, uns alle auf den Beinen zu halten und es fiel ihm schwer, währenddessen selber auf den Beinen zu bleiben. Seine Frau und sein Sohn waren dabei, kaputtzugehen und er konnte nichts dagegen tun. Er hatte das Gefühl, alles alleine machen zu müssen und dass seine Familie in die Brüche ging und das tat mir leid. Deshalb tat ich alles, um ihm unter die Arme zu greifen. Wir wechselten uns ab, wenn wir mal nicht zusammen bei meiner Mutter waren. Wenn ich zu Hause, im gym oder in der Firma war, war er bei ihr und wenn er sich zu Hause ausruhte oder in der Firma war, dann war ich bei ihr. Dieses Mal war er dran. Ich war auf dem Weg zum gym und dachte über sie nach. Ich liebte sie so sehr. Alles, was ich wollte, war, sie gesund und glücklich zu sehen. Ich versprach mir, mit ihr wegzufahren, sobald sie aus dem Krankenhaus kommt. Sie brauchte eine Pause und Ablenkung, weg von allem. Sie sollte etwas anderes sehen, als unser Zuhause und die Stadt. Sie liebte Kunst, die Natur, Tiere und Museen. Ich wollte ihr genug Zeit geben, dass alles zu sehen, denn mein Vater hatte keine Zeit dafür.

Fast beim gym angekommen rief mich Kadir an. Ich ging ran und hörte seine Stimme, durch die Freisprechanlage, hoffend, dass er keine schlechten Nachrichten für mich hat. Es war ungewohnt, nicht dabei zu sein, während sie ohne mich zugange waren, doch ich vertraute ihnen. Er hielt mich ständig auf dem Laufenden und deshalb hörte ich aufmerksam zu. "Wo bist du?", fragte er. Schon wieder war seine Stimme so tief und rau, dass ich sofort merkte, dass etwas schief war. Das machte mir Sorgen. Ich dachte, sie hätten es nicht hingekriegt und jemand wäre verletzt. Das wollte ich nicht. Sie sollten auf sich aufpassen, anstatt sich für mich zu opfern. Ich wollte niemandem schaden. "Auf dem Weg zum gym. Was ist passiert?", fragte ich. Ich betete, dass es den Jungs gut geht. Es war schlimm, plötzlich von allem entfernt zu sein und nicht selber die Kontrolle zu haben. "Dreh um und komm ins Krankenhaus.", sagte er und mein Herz blieb stehen. Das kam so plötzlich und unerwartet, dass es mich traf. Da war etwas in seiner Stimme, dass mich fertig machte. Ich legte eine Vollbremsung hin, mitten auf der Straße. Die Autos hinter mir hupten, doch ich brauchte eine Sekunde, um zu atmen. Ich war wie eingefroren, als die Autos an mir vorbeifuhren. "Was ist passiert?", fragte ich, mit zitternder Stimme und drehte um. Ich fuhr viel zu schnell und Kadir redete viel zu langsam. Er brauchte viel zu lang, um mir zu antworten. Ich war dabei, einen Herzinfarkt zu bekommen. "Komm einfach her...", sagte er und ich gab noch mehr Gas. Ich legte auf und schrie, weil ich frustriert war. Das war, wie ein Déjà-vu. Mein Kopf drehte sich, weil ich nicht richtig atmen konnte und so viele Gedanken durch meinen Kopf gingen, dass ich wie benebelt war. Irgendetwas war, mit meiner Mutter. Ich konnte es spüren. Sonst wäre er nicht im Krankenhaus gewesen. Immer, wenn etwas Schlimmes passiert war, konnte er es mir nicht am Telefon sagen. Er verheimlichte es mir, bis ich vor Ort war und es machte mich verrückt. Eigentlich konnte ich ahnen, was los war. Ich schüttelte meinen Kopf, um die Gedanken loszuwerden. Sowas durfte nicht passieren... Ich fuhr so schnell, dass ich zweimal geblitzt wurde, doch das war mir egal. Meiner Mutter ging es nicht gut und ich musste da sein. Ich wünschte ich hätte mich hin teleportieren können. Angekommen, lief ich in das Gebäude hinein und die Treppen hoch, denn auf den Fahrstuhl konnte ich nicht warten. Mit jedem Schritt, klopfte mein Herz schneller. Am Anfang des Ganges sah ich Kadir. Ich war dabei zu hyperventilieren, als er mich aufhielt. "Was ist los? Warum hast du mich gerufen? Geht es Anne gut?", fragte ich und versuchte, an ihm vorbeizukommen, doch der ließ mich nicht. Er hinderte mich daran, weiterzugehen. Alleine das, hieß etwas. "Beruhig dich... Warte...", er hielt mich fest und ich schaute ihm ins Gesicht. Seine Augen waren gerötet. Mein Herz rutsche mir in die Hose. Ich löste mich, von ihm und rannte an ihm vorbei. So schnell, dass er mich nicht kriegen konnte. Ich wurde langsamer, als ich die Jungs, meine Onkel und Tanten, vor der Tür des Zimmers sah. Sie waren alle da. Zu viele Menschen. Atalay amca sah mich zuerst und kam auf mich zu. Mein Puls stieg. Ich bekam keine Luft. Sie weinten alle und das machte mich krank. "Wo ist baba?", fragte ich, als er seine Hände auf meine Brust legte, um mich zu stoppen. Ich atmete viel zu schnell und mein Kopf drehte sich zu sehr. "Amca, wo ist Baba?", rief ich. Ich war dabei, auszurasten. Meine Augen fingen an zu brennen. Ich brauchte meinen Vater. Was immer passiert war, ich musste es von meinem Vater hören. Ich wollte nichts von niemandem hören. Ich wollte ihren Blicken, Stimmen und Gefühlen, aus dem Weg gehen. Es waren zu viele, auf einmal. Zu viel Aufmerksamkeit, zu viele Tränen, zu viel Anspannung. Mein Vater kam, aus dem Zimmer meiner Mutter und ich drängte mich an meinem Onkel vorbei und ging auf ihn zu. Seine Augen waren gerötet, und geschwollen. So hatte ich ihn noch nie gesehen. So entsetzt, fertig, traurig und am Boden. "Baba?", meine Stimme zitterte und brach. Ich ging in die Brüche. Er schaute weg und ich sah, wie seine Unterlippe zitterte. Er wollte mir nicht antworten. Er konnte nicht mit mir reden und deshalb musste ich es selbst in die Hand nehmen. Ich ging auf die Tür zu und wollte sie öffnen, doch da packte mein Vater mich am Arm und einer der Jungs, legte seine Hand, auf meine Schulter, um mich davon abzuhalten. Das war Benzin, für mein Feuer. Ich war dabei, es erneut zu versuchen, doch dieses Mal hielten mein Onkel und Bulut mich zurück. Sie packten mich, an beiden Armen und das sorgte dafür, dass ich ausrastete. Ich wehrte mich und versuchte, mich von ihnen loszureißen. Mir war es egal, ob ich sie dabei verletzte. Ich wollte sie sehen, egal, was war. Ich musste sie, mit meinen eigenen Augen sehen, wenn mein Vater schon nicht mit mir reden konnte. "Lasst mich los!", schrie ich, voller Wut und Tränen auf meinem Gesicht. Alles war mir zu viel. Ich hatte das Gefühl, dass ich aus allen Nähten platzen könnte. Was die anderen taten, war mir egal. Bis mein Vater meinen Namen sagte. Er holte mich aus dem Wutanfall, den ich hatte, raus. Ich schaute ihn an. Er sah so aus, als wäre er in einem Tag zwanzig Jahre älter geworden. Seine Tränen und hängenden Schultern brachten mich um. Er wollte nicht, dass ich sie sehe und ich musste ihm nur in die Augen schauen, um zu wissen wieso. Ich legte eine Hand, auf mein Herz, als hätte er mich mit seinen Blicken erstochen. Ich dachte, dass ich jede Art von Schmerz schon durchlebt hatte und mir nichts und niemand mehr das Herz brechen könnte, doch ich hatte mich geirrt. Dieses Mal wurde mir wirklich das Herz gebrochen. Es wurde mir, auf brutale Art und Weise, entrissen und zerstört. Ich konnte den Schmerz, auf meinem ganzen Körper spüren. Er war fast schon betäubend. Aber auch nur fast. Die Sekunden, in denen ich nachdachte, waren vorbei. Die Realität schlug auf mich ein.

hezeyanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt