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Der Psycho schaute mich an und es fühlte sich so an, als würde er durch mich durchschauen. Als wäre ich gar nicht da. Ich fühlte mich, meiner Existenz beraubt, da die Person, die mich auf die Welt gebracht hat, nicht mehr da war. Plötzlich war ich nichts mehr wert. Sie war der Grund, weshalb ich mich so stark, wichtig und groß fühlte. Es war erst eine Woche her. Ich hatte jeden Tag schmerzen. Meine Seele brannte. An diesen Schmerz würde ich mich niemals gewöhnen. Er war grausam und gnadenlos. Seit sie weg war, konnte ich nicht richtig atmen. Die Luft, die ich einatmete, erreichte nie meine Lungen. Ich blieb leer. Ich konnte Nachts nicht schlaffen, hasste das Sonnenlicht, konnte nicht essen, war kaum Zuhause, bekam mehr Anfälle. Alles wurde immer schlimmer. Mein Vater war immer noch zerrissen, wie am ersten Tag. Er schaffte es aber weiterzuleben. Er war nicht mehr so motiviert und stark wie früher aber konnte seinen alltäglichen Tätigkeiten nachgehen. Er konnte bei Meetings sprechen und sich konzentrieren, während ich geistig total abwesend war und kein Wort rausbrachte. Er konnte essen und in seinem Bett schlafen, während ich kaum aß und lieber im Büro oder im Auto schlief, anstatt nachhause zu kommen. So war es einfacher für mich, als in ein leeres und kaltes Haus zurückzukommen. Es machte mich kaputt, nach Hause zu gehen. Deshalb war ich so egoistisch und ließ meinen Vater alleine. Ich wusste, dass er am Leiden war. Ihm ging es überhaupt nicht gut, doch er war viel besser darin, es nicht zu zeigen und weiterzuleben. Er hatte sich und sein Leben im Griff und ich wurde erwachsen.

All unsere Fortschritte waren wie weggewischt. Der Tod meiner Mutter hatte alles ruiniert. Er brachte mich zurück, in die Zeit, in der ich wütend war und alles zerstören wollte. Es war sogar schlimmer, als vorher. Mein Kopf brannte ständig, es gab keine Sekunde, in der ich nicht angespannt war und ich war ununterbrochen gereizt. Der einzige Unterschied war, dass ich nicht mehr laut war. Ich schrie nicht herum, zog keine voreiligen Schlüsse oder schlug um mich herum. Ich machte, all meine negativen Gefühle, mit mir selbst aus und konnte mich unter Kontrolle halten. Niemand, außer dem Psycho, erfuhr von meinen Gefühlen oder Gedanken und somit war er, der einzige Mensch auf der Welt, der mich vernichten konnte.

"Was fühlst du?", fragte er und auch wenn mir die frage etwas klischeehaft und dumm vorkam, antwortete ich. Die Phase, in der ich nicht antwortete oder frech zu ihm war, hatten wir schon hinter uns. "Wut. Wie immer.", antwortete ich und lehnte mich zurück. Ich fühlte mich sehr klein, in dem Sessel. So müde war ich noch nie. Wäre ich nicht bei ihm gewesen, wäre ich am Schlafen gewesen. "Was würdest du jetzt gerne tun?", fragte er und ich atmete tief durch. Ich war mir nicht sicher, was ich tun wollte. Da war so viel und gleichzeitig auch gar nichts. Ich war total verwirrt und verloren. Das war aber nichts Neues. "Am liebsten würde ich etwas in Flammen setzen. Ich würde alles verbrennen, bis nichts mehr übrig ist. Mich mit eingeschlossen.", antwortete ich, wahrheitsgemäß und er runzelte die Stirn. Mir war es egal, was er dachte. Mir war alles egal. Nichts war mehr wichtig. "Wieso?", er legte seinen Stift und sein Heft weg und schaute mir direkt in die Augen. Ich ballte die Fäuste. "Ich kann mich selbst nicht mehr sehen und ich hab die Schnauze voll, von diesem brennen in mir. Es ist so lästig. Eigentlich kann ich gar nichts mehr sehen. Ich halte es nicht aus.", antwortete ich. Ich war mir nicht einmal sicher, ob das irgendeinen Sinn machte, aber es war mir auch egal. Da war zu viel, in meinem Kopf, als dass ich es in Worte fassen konnte. Er musste mich auch so verstehen. "Eigentlich bist du gar nicht wütend. Du bist traurig.", sagte er und ich schaute ihn an, ohne etwas zu sagen. Normalerweise hasste ich es, wenn mir ein anderer sagte, was ich fühle oder was mit mir ist, weil niemand mich so gut kannte, wie ich und weil niemand das recht hatte, mir etwas zu sagen. Doch er hatte recht. Ich wusste, dass ich traurig war aber meine Wut war stärker, als meine Trauer. Vielleicht war es auch so, dass ich Trauer in Wut umwandelte. Ich nickte, langsam. "Ja. Ich bin traurig. So verdammt traurig, dass ich nicht einmal mehr atmen kann. Ich komm nicht mehr klar, ich weiß nicht, was ich will und was ich fühle, ich kann meinem Vater nicht helfen. Alles ist so sinnlos und grau, ich pass nicht mehr in meine eigene Haut.", erklärte ich, hoffend, dass er mich verstehen würde, obwohl ich mich selber nicht verstand. So langsam ging mir die Luft aus. Er nickte. Das war schon mal ein guter Anfang. "Das kann ich verstehen. Zwing dich nicht etwas zu fühlen. Du musst nicht unbedingt so trauern, wie dein Vater oder sonst wer. Du kannst so trauern, wie du willst. Wenn du wütend bist, dann sei wütend. Mach etwas kaputt, geh in den Wald und schrei so laut du kannst.", sagte er und ich hob eine Augenbraue. Damit hatte ich nicht gerechnet und deshalb fand ich es amüsant. Fast musste ich lachen. In der Stimmung war ich aber noch nicht. "Müsstest du mir nicht sagen, dass Gewalt keine Lösung ist und dass ich nichts und niemanden schlagen soll?", fragte ich, denn ich war wirklich verwirrt. Er war anders, als erwartet. Ich hatte erwartet, dass ein Psychologe mich mit Müll voll labert. Von wegen Gewalt sei keine Lösung und ich soll meditieren. Irgendwie war ich froh, dass er nicht so war. Wäre er es gewesen, wäre ich gar nicht da gewesen. "Nein. Ich werde dir niemals sagen, was du nicht tun sollst. Du bist alt genug, um das selber zu entscheiden. Ich bin nicht verantwortlich, für dein Gehirn.", erklärte er und ich musste grinsen. Es war das erste Mal, dass ich seit dem Tod meiner Mutter lächeln musste. Er hatte recht. Es fühlte sich gut an, zu wissen, dass er kein Gehirn nicht komplett vergiften wollte. "Hast du letzte Nacht gut geschlafen?", er nahm seinen Stift und sein Heft wieder in die Hand. Mein Grinsen verschwand. "Ich habe überhaupt nicht geschlafen.", gab ich ehrlich zu. Ich erklärte ihm, wie mein schlaf aussah und dass ich nicht einmal in meinem Bett schlief. Er sah nicht überrascht aus. Ich war ja auch nicht der Erste, dem es so ging. Er hatte bestimmt schon unzählige, wie mich, vor ihm gehabt. Wie konnte er sich solche Sachen immer und immer wieder anhören, ohne zu platzen und dabei auch noch so ruhig bleiben? Ich hätte schon lange die Schnauze voll gehabt. Er erklärte mir, was ich dagegen tun könne und was helfen würde. Ich war mir schon sicher, dass nichts davon etwas bringen würde, doch hörte ihm trotzdem zu. Er erledigte nur seinen Job und ich saß da, mit der Hoffnung, dass es helfen würde.

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