Kapitel 1

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Pünktlich mit dem Klingeln klappe ich mein Schulbuch zu und wische meine Sachen mit einer achtlosen Handbewegung in meine Tasche. Noch eine Stunde, dann würde ich endlich sechs Wochen meine Ruhe haben. Wer die Sommerferien erfunden hatte, war garantiert ein super Kerl. Wie jedes andere Kind in der Schule kann ich es kaum erwarten, den alten Kasten zu verlassen und meine Ferienparty zu starten. Nur, dieses Jahr hatte es sich was mit Partyurlaub mit meiner Clique, oder gemütlichem Abhängen im Freibad mit meiner besten Freundin. Vielen Dank auch, Mum und Dad!

Meine letzte Stunde für heute ist Chemie bei meinem Drachen von Klassenlehrerin, und ich bin kurz versucht, zu schwänzen und direkt nach Hause zu gehen, entscheide mich aber doch dagegen. Ärger so kurz vor den Ferien ist nun wirklich nicht nötig. Ich schiebe mich durch die überfüllten Flure bis zum Chemiebereich, wo zwei Gute Freundinnen von mir bereits auf mich warten. "Natiii!", ruft eine von ihnen und winkt mir zu. Sie hat schnittlauchglatte kastanienbraune Haare und leuchtend grüne Augen. Ich winke zurück. "Hey, Elisa!", und begrüße dann das andere Mädchen: "und hi, Lea!" Sie rückte ihre Brille zurecht und streicht ihren lilafarbenen Kapuzenpulli glatt. "Hi."

Lea und Elisa sind, seit ich denken kann, die besten Freundinnen. Früher war Elisa sowas wie meine zweite beste Freundin, aber seit sie in ihrer Freizeit im Tierheim aushilft, hat sie kaum noch Zeit für anderes Dafür habe ich jetzt mehr mit Lea zu tun, vor allem, seit wir in der gleichen Tanzgruppe sind. Lea ist eine wirklich talentierte Tänzerin. "Kommst du in den Ferien zum Training?", fragt sie mich in dem Moment. Ich schüttele den Kopf. "Familienurlaub!", stöhne ich und rolle die Augen zur Decke. Pünktlich mit dem Gongschlag rauscht unser Lehrerinnen-Drache Frau Haller in den Gang, schließt die Tür auf und scheucht uns in den Raum. Die zieht ihr Ding garantiert wieder durch bis zur letzten Minute. Ich lasse mich seufzend auf meinen Platz fallen und blicke rüber zu Lea und Elisa, die auf der gegenüberliegenden Seite sitzen. Wir sind grade mit Hilfe von Handzeichen und Gesichtsausdrücken in ein angeregtes Gespräch vertieft, als Frau Hallers scharfe Stimme zu mir durchdringt: "Natalie Enzenhofer, die Formel für die Zellatmung lautet wie?" Ich schaue in ihr triumphierendes Gesicht und weiß, sie glaubt, mich eiskalt erwischt zu haben. Ich zwinge mich in meinem Stuhl in gerade Sitzposition und danke allen Göttern, die mir auf die Schnelle einfallen, dass ich sie gehört hatte. "C6H12O6 + 6O2 → 6H2O + 6 CO2!" leiere ich betont gelangweilt herunter und blicke sie mit hochgezogenen Augenbrauen direkt an. In. Your. Face. Der gesamte Kurs muss dagegen ankämpfen, nicht laut loszuprusten, als die Lady sich tödlich beleidigt zur Tafel wendet und kurz nach Worten suchen muss. Da ich weiß, dass sie mich jetzt in Ruhe lassen würde, schaue ich aus dem Fenster und träume von Strand und Meer. Als mich der Gong schließlich in die Wirklichkeit zurückholt, springe ich auf und eile mit dem Strom der Schüler nach draußen. Endlich! Freiheit! Ich habe Mühe, den Bus zu erwischen, und kann deshalb nicht auf meine beste Freundin Kira warten, schicke ihr aber sofort eine SMS, dass wir uns am Nachmittag treffen sollten. "Okay, Süße. Sehen uns!" Perfekt.

Nach dem Mittagessen mit meinen Eltern - am Tisch herrscht eisiges Schweigen, ich habe ihnen immer noch nicht verziehen, dass sie mir meinen Sommerurlaub verdorben haben - verziehe ich mich in mein Zimmer und warte auf Kira, die auch nicht lange auf sich warten lässt. Wir begrüßen uns mit einer Umarmung und setzen uns auf mein Bett. "Also...", fängt sie an und schüttelt sich ihre Sandalen von den Füßen. "Und du bist sicher, dass deine Eltern nicht umzustimmen sind?" "Keine Chance. Die sind so begeistert von ihrer eigenen Idee, das ist unglaublich!" Kira streichelt mitfühlend meinen Arm. "Spanien ohne dich macht doch gar keinen Spaß. Vielleicht sollte ich ihnen das mal sagen!" Ich schüttele den Kopf und ziehe meine beste Freundin Schrägstrich Möchtegern-Retterin am Arm zurück. "Vergiss es, Ki." "Nur weil dieser Kleingangster sein Leben nicht auf die Reihe kriegt...!", regt sie sich auf.

Ja, das hatten meine Eltern sich wirklich schön ausgedacht. Vor zehn Jahren ungefähr hatten wir bei einem Urlaub die Familie Leemann kennengelernt. Vater, Mutter, eine Tochter und ein Sohn. Niko. Nach Jahren der Funkstille hatten sich jetzt mein Dad und Joseph, Nikos Dad, auf Facebook wiedergefunden und gleich mal einen gemeinsamen Urlaub geplant. Was mich eigentlich nicht gestört hätte, wäre da nicht die Tatsache, dass Niko sich anscheinend auf Abwegen befand und Mami und Papi ihn darum nicht allein lassen wollten. Aber sich pausenlos im Urlaub mit ihm herumärgern, das wollten sie auch nicht. Und hier komme ich ins Spiel. Babysitter, Unterhaltungskünstler, nennt es, wie ihr wollt. Innerhalb weniger Minuten waren meine Urlaubspläne mit meinen Freunden nichtig und ich darf mich auf zwei Wochen Starnberger See plus eventueller Verlängerung freuen. Freuen. Haha. Jegliche Überredungskünste meinerseits scheiterten, der Entschluss stand fest. Ich kann mich kaum noch an diesen Niko erinnern. Er ist ein Jahr älter als ich, damals war er ganz lieb gewesen. Aber seit ich mir aus reiner Neugierde sein Facebook-Profil angesehen habe, bin ich überzeugt davon, dass von dem niedlichen Goodboy von damals nicht mehr viel übrig ist. Na toll.

Ich seufze. "Du, ich muss dann mal... hab noch Fußball." Kira erhebt sich und dreht sich zur Tür. "Sehen wir uns morgen nochmal?" "Nope. Wir fahren ganz früh. Starnberger See ahoi.", gebe ich lustlos zurück. "Ich wünsch dir viel Spaß in Spanien." "Ich meld mich bei dir!", verspricht sie und wir verabschieden uns mit einem Küsschen. "Ciao!"

Nachdem sie weg ist, beginne ich lustlos, meine Sachen zu packen. Dieser Urlaub wird super... ja. Klar.

Bad Boy, Good HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt