At the Door – The Strokes
«Ich hab' Angst.» «Wovor?» «Dass du nicht mehr da bist. Plötzlich.» «Ich hab' ja die Medikamente. Bald bin ich wieder gut eingestellt.» «Aber was ist...?» Er schnitt ihm das Wort ab. «Jetzt ist jetzt und morgen ist morgen.» Er wusste aber ganz genau, dass auch er Angst hatte. Natürlich hatte er Angst. Teils fielen ihm die tiefen Atemzüge schwer. Doch vor seinem Sohn musste er stark bleiben. Das war er ihm schuldig. Und er wollte die Dämonen besiegen. Oder zumindest bekämpfen. Er konnte jetzt nicht gehen. Sein Sohn brauchte ihn. Seit Kurzem geschieden, weder Frau noch Kind noch Mutter. Und jetzt der Vater auch noch? Er war vielleicht unscheinbar, sogar unsichtbar in der Gesellschaft. Aber er konnte die einzige Person, der er noch wichtig war, nicht verlassen.
«Ich habe mit Sofie geredet.» «Ach echt? Ein normales Gespräch?» «Ja. Ohne Geschrei. Wir haben die Sache mit dem Sorgerecht geregelt.» «Wow.» «Ja. Ich hielt es nicht für möglich. Dachte, der Schaden sei nicht mehr reparierbar.» «Liebst du sie noch?» «Ich liebe sie als Mutter unseres Kindes.» «Und als deine Frau?» «Ich habe eine lange Zeit an ihrer Seite verbracht. Ich habe mir wahrscheinlich mehr eingebildet, es sei Liebe. Es war Bequemlichkeit.» «Geht es dir jetzt gut?» «Ja. Ich lernte hier auf dem Flur eine nette Frau kennen. Ich bin glücklich.» «Das ist gut.» Er richtete sich auf, gab seinem Vater einen Kuss auf die Stirn und sagte: «Adieu.» Sonst sagte er immer 'Auf Wiedersehen'.
Er verschluckte sich. Bei einer Krise normal. Doch diesmal war es schlimmer. Zusätzlich bekam er fast keine Luft. Und seine Arme streikten. Er kam nicht an die Klingel. Da nützte eine Intensivstation herzlich wenig. Und auch die Privatklinik konnte ihn nicht retten. Er erstickte.
Plötzlich spürte er eine nie gekannte Kraft. Er sah nur noch verschwommen, doch er kämpfte gegen das Unsichtbare. Er hörte immer undeutlicher, unscharf wurden die Bilder. Er war machtlos. Seiner wichtigsten Sinne beraubt, war ein Kampf aussichtslos. Er wurde weitergezogen, immer weiter und weiter. Seine Nase gab den Geist auf. Auch schmecken konnte er nichts mehr, doch er fühlte den kalten Windzug. Es war zugig. Feucht. Die Kälte ging durch Mark und Bein.
Plötzlich kam er ins Trockene. Es fühlte sich an wie eine Art Vordach. Was sollte er hier? Er klopfte alles ab. Er rief. «Ist da jemand?» Er glaubte zumindest zu rufen. Er hörte ja nichts. Ihn durchzuckte ein Blitz. War da seine Frau? Hinter dieser Tür? Würde er sie wiedersehen? Wieder treffen? Blind, taub, anosmisch.
Er klopfte ins Leere. Einen Schritt vorwärts und – gähnende Leere.
Er spürte die Stimme seiner Frau.
«Endlich bist du da. Jetzt kann ich diese kalte Strasse verlassen.»
Das Gespür war weg. Gedanken weg.
Sein letzter Gedanke: 'Angst. Ich hab' Angst.'
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Das Tor und der Tod
Short StoryIn dieser Kurzgeschichtensammlung geht es um das Thema Tod. Die Kurzgeschichten sind inspiriert worden von Songs. Der Übergang vom Leben in den Tod wird mit dem Symbol 'Tor' dargestellt. Diese Sammlung habe ich für meine Abschlussarbeit geschriebe...