Streben nach Sterben

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In my time of dying - Led Zeppelin


Der charakteristische Gitarrenklang Pages erklang. Die gepresste Stimme Plants drang laut aus dem Radio. Sie begann mit ♫In my time of dying♫. Wie passend. Alvaro liess schon lange nichts mehr von sich hören. Sie machte sich Sorgen. Zum ersten Mal so richtig. Drei Wochen seit der letzte Brief angeflattert kam. Sie summte zur Melodie mit.

Er steckte zwischen übelriechenden Futtersäcken im Dunkeln. Männliche Stimmen erklangen. Ihre Sprache verstand er nicht. Ein Motor heulte auf. Eine neue Ladung kam an. Füsse marschierten. Draussen hörte man Schüsse aus Sturmgewehren. Es klang ähnlich wie Schlagzeuge in den Rockbars. Besonders wie das neue Stück von Led Zeppelin. Wie passend. Er erinnerte sich an eine Frau. Georgina.

Sie befand sich im Bus. Er hielt. Draussen wurden Platten verkauft. Physical Graffiti von Led Zeppelin lag zuoberst. Dem portugiesischen Soldaten von letztem Urlaub würde diese sicherlich gefallen. Sie bereute diese Begegnung. Portugal war im Umbruch – wo er wohl stationiert ist? fragte sie sich. An der nächsten Haltestelle stieg sie aus. Sie musste noch ein, zwei Besorgungen tätigen.

Wand anstarren. Mücken zählen. Vollkommen vereinsamt inmitten einer Stadt. Der Lärm dröhnte. Verkehr, Vögel, Menschen, Musik. Ein undefinierbarer Brei. «Jesus Maria» hörte er. Es gab doch so ein Lied? Nur für Junge. Was ist wohl mit Micaela? Er vermisste ihre Spuren. Ihre Qualitäten. Eine bessere gab es nicht.

Sie putzte und musste an ihren letzten Chef denken. Drei Flugstunden weg. Dem hätte diese Musik sicher nicht gefallen. Das Lied liess sie nicht mehr los. Ein ewiger Ohrwurm. Einmal hatte sie gehört, Ohrwürmer entstünden, wenn man nicht das ganze Lied gehört hat. Falls das stimmte, musste sie sich wohl oder übel eine Platte gönnen. Led Zeppelin ging ja noch.

Marschierende Heere stampften vorbei. Oder waren es Engel? Laute Motoren heulten auf. Lauter als zuvor. Panzer. Die Schlacht begann. Kein gutes Zeichen. Wessen Zeichen? Es muss Jesus' sein. Er erinnerte sich nicht mehr an diesen Liedtitel. Das Lied mochte er aber. Was hätten Led Zeppelin in seiner Situation wohl getan? Gebetet? Er betete. Georgina. Jesus.

Sie schlenderte durch die Strassen, hing den Gedanken nach. Hatte ihr Vater einmal eine portugiesische Pflegerin? Oh, den hatte sie ganz vergessen! Sie kehrte mit einem schlechten Gewissen um. Da lag das Plattencover an der Bushaltestelle. Jetzt war sie schon zu weit. Led Zeppelin. Die mochte sie nicht. Zu rau, zu hart, zu brutal die Klänge. Da war sie ausnahmsweise gleicher Meinung wie ihr Vater.

Er hatte seine Spuren auf dem ganzen Erdball hinterlassen. Überall ein wenig aber nirgends so richtig. Die Spuren seiner Pflegerinnen machten dasselbe. Er war nur eine kleine Station. Und nur die eine vermisste er. Micaela. Die beste Pflegerin. Und schön dazu. Kein Vergleich zu den Osteuropäerinnen momentan. Was war wohl mit Georgina? Er erwartete schon gar nichts mehr.

Sie sah Schwärze. Hatte die Augen vor Schreck verschlossen. Keinen Boden unter den Füssen. Fliegen. Sie roch Angst. Wo war sie? Sie hörte jemanden schreien. Wo war denn der Ohrwurm hin? Sah, wie jemand hart aufprallte. Wo waren denn die Ersatzflügel? Stille.

Sein Körper wurde durchgeschüttelt. Er verspürte einen stechenden Schmerz im Oberschenkel. Da war Lärm. Viel Lärm. Er zuckte, der Schmerz traf ihn am Oberarm. Die Schritte ertönten wieder. Noch ein Zucken seines Körpers.

Jetzt war sie in der richtigen Strasse. Endlich. Langsam schritt sie in Richtung Vater. Ein Bus hielt. Sie musste warten, bevor sie über die Strasse kam. Alles machte sie falsch. Immerzu. Wie konnte man so unaufmerksam sein? Es knallte. Die Welt stand Kopf.

Er hörte einen Knall. Einen Schrei. Er schloss seine Augen. Seine Zeit war gekommen. Genug von dem Leid. Genug von den Spuren. Zeit, seinen elenden Zustand zu beenden. Fertigzumachen. Er fiel ins Bodenlose.

Sie nahm eine klebrige, flüssige Substanz an. Die drückende Hitze verflüssigte sie. Wie Metall schmolz sie dahin. Unfähig um zu hören, unfähig, Musik zu empfangen, unfähig zu fliegen. Sie hatte aber nichts falsch gemacht. Wofür also diese Qual?

Er fiel in sich zusammen. Wie ein Kartenhaus. Staubige Erde wie nach einer Schlacht. Vertrocknet durch die feurige Hitze, verstaubt, geäschert. Die Engel fielen vom Himmel. Was hatte er falsch gemacht? War er nicht schon genug gestraft gewesen?

Wie Spinnfäden zog sich ihr Geist hin. Wie die Linien auf den Liniennetzen der Busunternehmen. Lange, undurchdringbare Striche. Hitze schlug ihr entgegen, versengte sie. Sie hatte nie etwas falsch gemacht. Schaden angerichtet hatte sie aber. Das wusste sie. War aber immer gut zu allen.

Die hohe Temperatur traf ihn wie ein Faustschlag. Er hatte doch nichts falsch gemacht. Die Faust schlug erbarmungslos auf ihn ein. Er schwebte dahin, hinterliess keine Fussspuren. Ungebremst steuerte ein neuer Schlag auf ihn zu.

Ein ewiger Strom. Wie Lava. Langsam. Qualvoll langsam unterwegs. Und immer langsamer. Nicht erstarren! Wie ein Vogel, immer in Bewegung bleiben. Ein Ohrwurm. Beweglich bleiben. Bewegung.

Aufgewirbelt. Schmerz. Aufwirbeln. Schmerz. Windzug, aufwirbeln, Schmerz. Kleinste Teilchen. Partikel. Staubpartikel. Jedes einzelne Schmerz. Rache der Engel für Soldaten. Töten. Getötet.

Sie brannte. Ihre Seele. Durchhalten. Sammeln. Rauschendes Feuer. Ein Knacken. Warum? Ja, sie hatte böse Gedanken. Ja, sie hatte ihren Vater vergessen. Ja, sie hatte diese Affäre. Aber reichte das?

Hätte er bloss nicht so viel gejammert. Hätte er sich bloss nicht so beelendet. Denn das hier war richtiges Elend.

oh meet me in the middle of the air

War die Luft nicht schon lange weg? Ausgegangen?

hear the angels marchin'

Kamen denn noch mehr? Noch mehr Bestrafung, Rache?

I've only been this young once

Dieses Lied konnte ihr gestohlen bleiben!

I must have left some traces

Sicher, überall. Leider.

Sie erstarrte, erhob sich und da war dieses Tor.

Er sammelte sich. Der Wind liess nach. Tor.

Es kühlte ab. Sie wurde durch ein Tor gesogen. Das Feuer erlosch.

Er spürte Grund. Das Tor zur Sicherheit.

Hornbläser erklangen.

Das Tor und der TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt