winter ; kapitel 3

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kapitel drei

Fragwürdige Entscheidungen sind dieses Jahr wohl Orwells Ding, denn nicht mal eine Woche ins neue Jahr sitzt er mit Samir in seiner Küche. Judith ist noch auf der Arbeit, also haben sie die Wohnung für sich - Was sicherlich kein Grund dafür war, sich möglichst früh zu treffen.

"Keine Eltern?" Samir lacht. "Man, ich bin so neidisch."

Orwell nickt bloß, froh darüber, gerade zu Essen. Rohe Tortellini direkt aus der Packung zählen zwar nur bedingt als Essen, wie Judith ihn gerne ermahnt, aber mit neunzehn muss er sein Leben noch nicht ganz im Griff haben.

"Und das ist trotzdem noch nicht zur Bruchbude verkommen?"

"Nein", sagt Orwell zwischen zwei Tortellini und rollt mit den Augen. "Meine Schwester ist da sehr penibel." Judith arbeitet irgendwas mit sehr vielen Excel-Tabellen und einem langen, englischen Jobtitel, und während er seiner Schwester sehr dankbar für die Wohnung ist - Sie entspricht diesem Klischee manchmal etwas zu sehr.

"Dann stell ich das wohl später besser in die Spülmaschine?" Samir hält die Gabel in seiner Hand in die Höhe. "Ich will ja nicht, dass du wegen mir Ärger kriegst."

"Sie ist nicht meine Mutter." Orwell räuspert sich. "Aber das wäre nett."

"Alles klar." Samir lehnt sich nach hinten und lässt die Gabel in die offene Spülmaschine fallen. "Kann ich was zu trinken haben?"

"Kaffee?"

"Ne, danke. Mir wird da immer schlecht von, und ich lerne aus meinen Fehlern." Samirs Augen folgen Orwell, als er aufsteht und ein Glas aus dem Schrank greift. "Bis auf den von Silvester, offensichtlich."

Orwells Herzschlag beschleunigte sich, halb aus Aufregung, halb aus Angst. "Fehler?"

"Ich meine, ich habe euch gesehen, dich und Jules, und du hast nicht gewirkt, als hättest du kein Interesse an ihm, aber -" Er zuckte mit den Schultern. "Es war immer noch ein Risiko."

Orwell starrt ihn für ein paar Sekunden an, bevor er realisiert, dass er auf seine Antwort wartet. "Also bereust du es?"

"Nein! Nein, darauf wollte ich hinaus. Ich wollte sagen - Es ist ein Fehler, aus dem ich nicht gelernt habe, weil er am Ende gute Konsequenzen hatte. Schlechte Getränke haben nie gute Konsequenzen, aber schlechte Entscheidungen mit hübschen Typen?" Er nimmt das Glas an, das Orwell ihm entgegenhält.

Er hofft bloß, dass er nicht rot wird.

"Ich hoffe übrigens, dass mit Jules und dir -"

"Nur einmalige Sache." Orwell räuspert sich erneut und beginnt, sich selbst einen Kaffee zu machen. "Wir kennen uns kaum."

"Gut. Ich will ja nicht irgendwie das Arschloch sein, dass -" Samir fährt sich mit einer Hand durch die Haare, die er heute offen trägt. "Da irgendwas kaputt macht."

"Wir können tun, was wir wollen, keine Sorge." Fuck. Und gerade, als er denkt, er könnte Silvester darauf schieben, betrunken zu sein. "Ich mag dein Shirt", wechselt er das Thema. Auf dem weißen Stoff war über dem Herzen ein Dolch abgebildet, verdreht und von Blumen umrahmt, alle von ihnen schwarz.

"Danke." Er lehnt seinen Kopf in den Nacken. "Haben wir in der Crew gemacht."

Um seine Verwirrung zu überspielen, trinkt Orwell den ersten Schluck seines noch zu heißen Kaffees.

"Theater", erklärt Samir. In seinen Augen leuchtet etwas auf. "Wir haben ein Stück aufgeführt, in dem es um Mord ging und -" Er drückt eine Hand auf das Symbol auf seiner Brust. "Das hier haben wir gemacht. Als Erinnerung."

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