lieben

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Die letzte Prüfung des Jahres geschafft zu haben ist ein unglaubliches Gefühl.
Ich wusste nie, was ich durch meine spärlichen Schulbesuche verpasse - also abgesehen von unglaublichen Stress, mobbenden Lehrern und todlangweiligen Unterrichtsstoff.
Aber jetzt, hier, am Ende dieses mörderischen Marathons will die Euphorie gar nicht mehr abebben - und das nicht nur bei mir; Nico lehnt leicht grinsend an meiner Schulter, unsere Klassenkameraden sitzen tuschelnd und kichernd an der langen Tafel und auch die anderen Häuser machen einen ähnlichen Eindruck.
Keiner des Lehrpersonals macht auch nur Anstalten dem aufkommenden Lärm Einhalt zu gebieten, es wäre vermutlich eh jeder Versuch zwecklos gewesen.
Schon bald erscheinen verschiedenste Snacks auf dem langen Holztisch und der Krieg um Schokotörtchen, Haferkekse und Salz-Karamell-Macarons hat begonnen, jeder versucht möglichst nah an das wirklich gute Zeug zu kommen während die Gemüsesticks eher gemieden werden.
Auch Nico beteiligt sich und hat mit einem einzigen finsteren Blick schnell einem Mädchen einen Keksteller abgenommen.
Es ist abstrus.
Noch vor wenigen Monaten, selbst vor wenigen Wochen, wäre diese Stimmung, diese Emotionen, diese Verhaltensweise undenkbar gewesen - wir hätten nicht einmal gewagt, es uns zu erträumen.
Aber jetzt sitzen wir hier, wie bescheuert strahlend und - in Nicos Fall - einen Keks mit den Worten »Müslikeks? Naja, was soll's...immerhin, meine Stiefoma wäre Stolz auf mich« essend.
Wir scherzen, werfen alberne Sprüche durch den Raum und lassen den ein oder anderen Kommentar über unsere Lehrer fallen.
Und zum ersten Mal seit dem sie gegangen ist möchte ich nirgendwo anders sein - nicht auf dem College, nicht mit ihr im Elysium, nicht in einem Paralelluniversum wo alles okay ist.
Ich will hier sitzen, lachen und ja, auch trauern - aber nicht nur.
Es fühlt sich richtig an.

Das tut es auch Stunden später noch, als wir zusammen auf einem Sofa im Gemeinschaftsraum Platz genommen haben und leise Gespräche führen, wie die meisten anderen auch.
»Wir kommen nächstes Jahr wieder, oder?«, Nico blickt fragend zu mir auf, dreht mit einer Hand an dem goldenen Ring an seiner Hand. Es ist keiner mit Totenkopf - nicht mehr - sondern mit einer eingravierten Sonne und einem Schriftzug, den ich nicht sehen kann aber kenne, weil er es mir einmal in einer dunklen Nacht voller Tränen erzählt hat: »Für immer in Liebe«.
Er legt ihn nie ab.
»Diese Frage ist albern« ist das erste, was mir durch den Kopf schießt.
Aber stimmt das wirklich?
Bis vor kurzem nicht.
Also nicke ich stattdessen bestätigend und lege einen Arm um ihn.

»Wir werden trotzdem für zwei Monate zurückkehren müssen.«
Ich weiß.
Und ich habe Angst.
Aber es ist okay:
»Wir schaffen das schon zusammen.«
Er lächelt nicht breit, aber unglaublich ehrlich und pur.
»Ja, das werden wir wohl.«
Der Kamin knistert und wir schweigen für einige Minuten.

»Letztens meinte ein Mädchen - Hufflepuff, glaube ich, ich solle ihn ablegen«, er macht eine Kopfbewegung in Richtung des Ringes, »weil ich immer so traurig aussehe, wenn ich ihn anschaue.«
Sofort umfasst meine Hand die kleinen handbemalten Perlen und den Eulenanhänger welche um meinen Hals hängen. Allein beim Gedanken daran sie nicht mehr zu tragen steigt Übelkeit in mir auf.
»Und?«
Er schüttelt bestimmt den Kopf.
»Nein. Er erinnert mich an ihn - und daran, dass ich ihn liebe. Die Trauer würde nicht weniger werden, nur unerträglicher. Außerdem habe ich Angst Perc - davor, dass ich irgendwann vergesse wie das ist: ihn zu lieben.  Natürlich auch zu vergessen wie er aussieht, richt, wie seine Küsse sich anfühlen, wie es ist in seinen Armen einzuschlafen, aber vor allem davor.«
Verständnis breitet sich in mir aus.
Ich habe diese Gedanken oft, auch wenn ich sie meist nicht teile.
Die Frage was man ohne diese Liebe wäre - und, ob ich je wieder lieben kann ohne das allgegenwärtige Gefühl sie zu verraten.
Man wird die Zweifel einfach nicht los
Werde ich je wieder lieben können?
Werde ich je wieder lieben können?
Werde ich je wieder lieben können?
Werde ich je wieder lieben-
»Ich finde aber, dass ich noch ein paar hinzufügen sollte.«
Überrascht blicke ich ihn an.
»Naja, ich werde ihn immer lieben - will ihn immer lieben - aber da sind auch noch mehr Menschen, Perc. Da müssen noch mehr sein. Vielleicht«, er atmet tief durch, als würde ihn das folgende all seinen Mut kosten, »wird irgendwann, viel viel später, auch ein Verlobungsring meinen Finger zieren. Aber er wird es neben diesem hier tun, nicht stattdessen. Es zu erhalten heißt nicht, nichts neues zulassen zu dürfen. Glaube ich - hoffe ich. Deswegen will ich noch andere, für andere Dinge, andere Menschen. Verstehst du das?«
Ein Lächeln breitet sich bei diesen Worten auf meinem Gesicht auf und ich antworte mit nun deutlich weniger gedrückter Stimme: »Ich denke, du hast recht. Und ich habe auch noch Platz für ein paar weitere Ketten.«, ich räusper' mich kurz unsicher, »Wie wär's mit einer Schlange? Oder unsere Anzahl an UTZs?«
Er lacht.
»Die machen wir erst nächstes Jahr, Perc. Aber vielleicht die der ZAGs?«
»Als wüssten wir da schon, wie viele wir haben.«
»Stimmt. Dann doch lieber erstmal ne Schlange - und einen Fisch.«
Irritation breitet sich bei seinen zum Ende hin immer leiserem Satz aus, aber dann überkommt mich eine wohlige Wärme.
Ich finde sicher eine Kette mit einem Totenkopf.
Den Rest des Abends verbringen wir in angenehmer Zweisamkeit und ein paar blau gefärbten Cookies vor dem wohligen Kamin, lachen und überlegen uns teils absurde  Symboliken, auf der Suche nach den Dingen, die die Welt bedeuten - die wir lieben.

zurückkehren ; Nico di Angelo und Percy Jackson || Harry Potter CrossoverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt