25. Kapitel

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Mein Start ins Jahr war sicherlich turbulent und voll von Eindrücken, die ich in der Nacht gar nicht wirklich wahrgenommen hatte. Reece und ich waren zusammen zur Party gegangen, haben ausreichend getrunken und in einer Menge gefeiert, die wir nicht kannten und die uns nicht kannte.

Wir haben getanzt, wie Freunde oder enge Bekannte, damit uns nichts nachgesagt werden konnte. Aber im Laufe der Nacht wurden wir lockerer, unachtsamer und wir haben uns in irgendeiner Besenkammer verkrochen und sind über uns hergefallen, wie frühreife 14-Jährige.

Irgendwann verließen wir mit geschwollenen Lippen und geröteten Wangen das Zimmer und gingen auf die Straße, um uns das Feuerwerk anzusehen. Wir standen abseits, hörten, wie die vielen Menschen anfingen, herunter zuzählen, bis Reece sich im neuen Jahr mitten auf der Straße zu mir herunter beugte und mich küsste. Ich wusste, dass das eine Ausnahme war, dass er aufgrund des Alkohols lockerer war und doch wünschte ich mir, dass das zur Normalität wurde.

In diesem Moment kam mir der Gedanke, dass das Jahr noch jung war und viel Gutes mit sich bringen konnte, auch wenn ich das im Nachhinein besser wusste.

Die Tage vor der Eröffnung vergingen so schnell, dass ich schon nicht mehr wusste, was wir an welchem Tag erledigt hatten. Am Abend des 08. Januars hatten wir schließlich alles von unseren Listen abgearbeitet; wir hatten aufgeräumt, die Dekorationen im Haus verteilt und einfach alles für die Eröffnung vorbereitet.

Natürlich merkte man, dass wir beide auf einer Seite irgendwie nervös waren, denn es näherte sich einfach der Moment, auf welchen wir so sehr hingearbeitet hatten. Und wir hatten wirklich hart daran gearbeitet, selbst wenn das für manche nicht sichtbar war. Gerade in den letzten Wochen mussten wir wirklich viele Dinge gleichzeitig erledigen, aber es hat dabei auch sehr viel Spaß gemacht. Zusammen standen wir schließlich vor der weißen Wand, auf welche man direkt zuging, wenn man das Haus betrat. Ich hielt Reece Hand in meiner und pinselte sie mit meiner anderen Hand grün an.

»Das kitzelt«, murmelte Reece ehrlich, weshalb ich lächelnd zum ihm aufsah.

»Ich wusste gar nicht, dass du kitzelig bist«, erwiderte ich und nahm schließlich auch die gelbe Fingerbarbe, um meine Handfläche zu färben.

»Bin ich auch nicht«, entgegnete er ernst, konnte aber nach wenigen Sekunden sein leichtes Grinsen nicht verstecken.

Ich verdrehte erkennbar die Augen, ehe ich mich wieder zu der noch weißen Wand drehte.

»In die Mitte?«, fragte ich ihn nach seiner Meinung und sah gleichzeitig zu ihm auf, um zu sehen, wie er mit den Schultern zuckte.

»Gut, dann in die Mitte«, beantwortete ich schließlich selbst meine Frage und ging einen Schritt nach vorne, um meine bemalte Handfläche auf die weiße Oberfläche zu drücken. Reece tat es mir wenige Sekunden später gleich. Während ich mir bereits die Farbe wieder abwischte, beobachtete ich unsere Handabdrücke, die von nun an, diese Wand zierten. Stumm gab ich meinem Nebenmann das Tuch weiter, damit auch er seine Hand von der grünen Farbe befreien konnte.

»Ich bin gespannt, wie sie aussehen wird, wenn die Kinder ihre Handabdrücke neben unsere setzen«, erklärte ich ihm ehrlich und konnte mir wirklich gut vorstellen, wie die weiße Wand immer bunter wurde. Ich nahm mir schließlich den schwarzen Edding und unterschrieb die gelbe Hand, ehe ich den Stift Reece übergab und auch er seinen Namen in seinen Handabdruck schrieb. Damit waren wir fertig. Das Haus war vollendet und es durfte der Öffentlichkeit gezeigt werden.

»Ich bin nervös«, murmelte ich ehrlich und verschränkte meine zitternden Hände. Ich spürte, wie er auf mich herabsah, weshalb ich meinen Kopf hob und in seine grünen Augen blickte, ehe er erwiderte, dass es ihm ähnlich ginge.

Wir standen draußen, beobachteten, wie das hiesige Fernsehteam und das ortsansässige Radioteam die Equipments aufbauten und wie immer mehr neugierige Familien und Kinder ihren Weg zu uns fanden. Reece bemerkte unseren Bürgermeister als erster und versteifte seine Haltung noch mehr. Ich behauptete, dass er gar nicht gekommen wäre, wenn Reece nicht Brown mit Nachnahmen heißen würde. Aber es war trotzdem eine spannende Erfahrung, dass ich ihm die Hand schütteln und ihm bei seinem Gespräch mit Reece zuhören durfte. Die lokale Zeitung hatte schon vorab mit uns gesprochen und wartete nun jetzt auf einen geeigneten Moment für ein passendes Foto.

»Es wird ernst«, ging es mir nervös durch den Kopf, während ich versuchte, das Lächeln aufrecht zu halten.

Es vergingen wohl nur wenigen Sekunden und doch kam mir die Zeit unendlich vor, denn ich konnte es einfach nicht abwarten, bis das ganze vorüber war. Bis Reece schließlich den Bürgermeister bat, das Wort zu ergreifen. Ich glaube, immer wenn ich das Wort Bürgermeister höre, dann denke ich an einen etwas pummeligeren, kleinen und älteren Mann.

»Also wie der Weihnachtsmann... nur ohne Bart«, kam mir der Gedanke, während ich unseren super schlanken, dunkel- und vollhaarigen Bürgermeister beobachtete, wie er die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich zog. Nebenbei gesagt, war er auch noch keine fünfzig Jahre alt.

Ich hörte seiner Stimme gar nicht wirklich zu, denn ich studierte die verschiedenen anwesenden Gesichter. Es waren wirklich viele unterschiedliche Menschen da und ich freute mich über die breite Facette, denn das hieß, dass Reece mit seiner Idee einen Nerv in der Stadt getroffen hatte.

Reece und ich standen für einige Fotos zur Verfügung, ehe wir dem Schritt näher kamen. Mein Nebenmann sah mich auffordernd an und forderte mich mit einem wirklichen faszinierenden Lächeln auf, die Tür für alle zu öffnen. Dieses Lächeln brannte sich in mein Gedächtnis, denn es war so zufrieden, so ehrlich. Aufgeregt lächelte ich ihm nun entgegen, ehe ich mich zur Tür drehte, die Klinke herunter drückte und ihr einen Stoß gab, damit die Anwesenden einen Blick ins Innere erhaschen konnten.

Es ging plötzlich so schnell; die Menschen gingen mit neugierigen Gesichtsausdrücken an uns vorbei, betraten das Haus, welches fast ein Jahr nur uns gehört hatte. Dieses so berauschende Gefühl spürte ich in jeder Faser meines Körpers.

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