Ich war wirklich nicht davon ausgegangen, dass der Plan auf viel Gegenliebe stoßen würde. Eigentlich war es nur eine fixe Idee gewesen. Der Zwerg brauchte ein Dressurpony- eins, das weniger phlegmatisch daherkam als Lugar, ungefähr zehn Jahre jünger war und vermutlich auch eins, dass sich besser bewegen konnte. Niro war dieses Pony- oder könnte dieses Pony zumindest sein. Kim fand die Idee großartig, wenngleich sie und ich wussten, dass Sina nicht an ein schwer übergewichtiges, schnappendes Pony gedacht hatte, das seit Jahren nicht mehr richtig im Training war und eine Vorliebe dafür entwickelt hatte, seinen Reiter unverhofft in den Dreck zu setzen. Und so beschrieb Kim Niro- zumindest mir und Paul gegenüber. Paul war es, der unserem Plan schließlich mehr Richtung gab- und ihn mit einem Mal gar nicht mehr ganz so unrealistisch erscheinen ließ: ob man das Pony nicht erstmal herholen solle. Ob man nicht erstmal ausprobieren solle, ob Felix und Niro zusammenpassten. Und ob man dann nicht weitersehen und entscheiden solle, ob Niro bleiben oder verkauft werden solle- dann aber in antrainiert, massereduziert und mit einer aufgefrischten Erinnerung ans Dressurponydasein. Kim war von dem Plan so angetan, dass sie keinen Wimpernschlag zögerte und- während wir drei noch zusammenstanden- Pia anrief, die erst zögerte, dann aber Kim doch grünes Licht dafür gab, Julian und Sina zumindest mal von der Idee zu erzählen. Ich war mir sicher, dass sie- wie ich- nicht ernsthaft davon ausging, dass unsere Idee diese nächste Hürde nehmen würde. Das tat sie aber. Niro würde- zumindest übergangsweise- bei uns unterkommen. Felix tat extrem cool und unbeteiligt, als er davon hörte, ließ sich dann aber doch von Kim Bilder von Niro zeigen, die ihre Wirkung nicht verfehlten. Jedenfalls guckte er tagelang verklärt, wenn immer er sich unbeobachtet fühlte.Verklärter gucken konnte nur Kim- und das zog sie so konsequent durch, dass Julian nicht umhin konnte, seine Vorbehalte gegenüber Paul aufzugeben. Zumindest beschloss er, es zu versuchen. Sina klopfte ihm gleichermaßen anerkennend und spöttisch die Schulter, als er sich das noch an dem Abend vornahm, an dem auch der Niro-Deal eingefädelt worden war.
„Ich glaube nicht, dass du enttäuscht wirst."
„Mir ist egal, ob ich enttäuscht werde.", murmelte er ungehalten. „Solange Kim nicht enttäuscht wird."
„Als ob." Sina ächzte und verdrehte die Augen.
„Er ist so verliebt in sie, dass es wehtut.", fügte ich bekräftigend hinzu und schnappte mir noch eine handvoll Nüsse, die auf dem Küchentisch zwischen uns standen. Felix schlief schon und Kim war wie jeden Abend bei Paul. „Ich glaube, dass das gutgeht." Tat ich tatsächlich- und ich wollte irgendwie auch daran glauben. Nicht zuletzt, weil mein Handy immer noch aus war. Irgendwie traute ich mich nicht, es anzuschalten und mich dem auszusetzen, was mich erwarten würde. Verpasste Anrufe und enttäuschte Nachrichten oder – und ich wusste nicht, was mir mehr wehtun würde- nichts dergleichen. Ich wusste wirklich nicht, ob ich mir wünschen sollte, dass Inga nochmal versucht habe, mich zu erreichen.
Julian machte ein undefinierbares Geräusch zwischen Belustigung und körperlichem Schmerz und bemühte sich sichtlich darum, nicht zu finster in seine Teetasse zu gucken. „Felix hat erzählt, Inga hätte hier angerufen?", fragte er, ganz als habe er meine Gedanken erraten und er hob den Kopf, um mich anzusehen.
Sina zog ihre Augenbrauen so hoch, dass offensichtlich war, dass sie diese Neuigkeiten noch nicht gehört hatte. „Hat sie?"
„Hat sie." Ich nickte und klopfte mir das Salz von den Nüssen an meiner Jeans ab. „Ich habe nicht zurückgerufen, wenn ihr das wissen wollt."
Julian sagte nichts und Sina biss sich auf die Unterlippe. Offensichtlich lag ihr etwas auf der Zunge, das sie dann doch lieber nicht aussprechen wollte.
„Ungewohnte Zurückhaltung.", murmelte ich in die Stille.
„Ich frage mich nur, wie viel Überwindung sie das gekostet haben muss, hier anzurufen." sagte Julian mit einem bedauernden Schulterzucken. „Wenn sie hier auf dem Festnetz anruft, dann muss sie wirklich dringend mit dir haben sprechen."
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Lieblingstag
Fiksi RemajaInga hatte schon gezeichnet, als ich sie kennengelernt hatte. Sie war kein Picasso, aber was sie auf Papier brachte, das lebte. Asymmetrisch unperfekt, niemals seelenlos. Ihre Bilder waren, wie sie die Welt sah und ich hatte mich in diesen Skizzen v...