4. Welcome to Paradise

3K 207 124
                                    

„Dir ist aber hoffentlich bewusst, dass ich noch niemals auf einem Surfbrett gestanden habe, oder?", merkte ich nach einer Weile vorsichtig an. Über die Art meiner Unterstützung hatten wir noch gar nicht gesprochen, aber ich hoffte inständig, er würde nicht zu viel von mir erwarten.

„Das lässt sich ganz schnell ändern", lachte mein Begleiter daraufhin auf. Anscheinend fand er die Vorstellung, mich einfach ins kalte Wasser zu werfen, ziemlich amüsant. „Es wäre lustig, wenn du für mich die Surfstunden übernehmen würdest. Eigentlich dachte ich aber eher daran, dass du den Laden schmeißt, während ich mit den Kunden beschäftigt bin. Irgendwas ist immer zu tun."

Ich nickte erleichtert und ließ mich wieder tiefer in den Sitz sinken, um mich endlich ein wenig zu entspannen. Komischerweise verspürte ich keinerlei Gewissensbisse meiner Familie gegenüber. Viel mehr fühlte es sich an, als würde sich endlich das enge Korsett aus Pflichtbewusstsein lösen und mir zum ersten Mal in meinem Leben genug Luft zum Atmen lassen.

„Alles in Ordnung?", erkundigte sich Emmanuel plötzlich, während er mir einen prüfenden Seitenblick zuwarf. Erst dann realisierte ich, dass mir Tränen über mein Gesicht liefen.

„Es geht mir gut. Ich fühle mich einfach so frei und erleichtert", erklärte ich meinen Gefühlsausbruch und dieses Mal schämte ich mich überhaupt nicht dafür. Auch, wenn ich diesen Mann überhaupt nicht kannte, gab er mir ein gutes Gefühl. Gleichzeitig fragte ich mich, was das wohl über mich aussagte.

Emmanuel nickte mir verständnisvoll zu, bevor er seine Konzentration wieder auf die Straße fokussierte. Eine Zeit lang schwiegen wir einfach nur und ich genoss die wunderschöne Landschaft Kolumbiens. Unser Weg führte uns zwischen bewachsenen Felswänden hindurch und über schier endlos erscheinende Straßen, während es mir fast so vorkam, als wären wir die einzigen Menschen auf diesem Planeten.

****

Nach einer knappen Stunde Fahrzeit erreichten wir schließlich unser Ziel und mein Begleiter lenkte den Pickup auf einen freien Parkplatz hinter einer Hotelanlage. Obwohl die Parkmöglichkeit etwas weiter vom Strand entfernt war, konnte ich das Meer bereits in der Ferne erkennen.

Wie selbstverständlich sprang Emmanuel aus dem Truck, umrundete das Fahrzeug und öffnete mir die Tür. Mit einer ausladenden Geste streckte er mir seine Hand entgegen und als ich sie ergriff, zog er mich mit einer schnellen Bewegung aus dem Wagen.

„Es liegt noch ein kleiner Fußmarsch vor uns", erklärte er entschuldigend und deutete in die entsprechende Richtung. „Leider kann man mit dem Auto nicht direkt an den Strand fahren, aber man gewöhnt sich dran."

Daraufhin durchquerten wir die Grünanlage eines exklusiven Hotels und allein die aufwändige Außengestaltung raubte mir den Atem. Überall auf dem Gelände standen kleine Fincas verteilt. Manche von ihnen besaßen sogar einen eigenen Zugang zu dem imposanten Poolbereich. Aufgrund der noch recht frühen Uhrzeit, waren zum Glück nur vereinzelte Touristen auf den Beinen, weshalb ich mich ungestört umsehen konnte.

„Hier ist übrigens der Fitnessbereich des Hotels", merkte Emmanuel im Vorbeigehen an und deutete auf ein nebenstehendes Gebäude mit einer Glaskuppel. „Wir dürfen die Sanitäranlagen mitbenutzen. Also, wenn du dich mal frisch machen möchtest, gehst du einfach dort hinein. In meiner Strandhütte gibt es nämlich weder eine Dusche, noch fließendes Wasser."

„Okay", antwortete ich und beschloss sogleich, das Angebot im Laufe des Tages anzunehmen. Das tropische Klima hatte mich bereits ziemlich ins Schwitzen gebracht und mein Körper konnte definitiv eine Dusche gebrauchen.

Emmanuel war mir bereits ein paar Schritte voraus und so beeilte ich mich, um wieder zu ihm aufzuschließen. Es dauerte nicht mehr lange, da lag endlich der weiße Sandstrand vor uns. Ich stoppte augenblicklich in meiner Bewegung und gab mich vollends der Schönheit des Moments hin. Der Sand war ganz fein und bildete einen tollen Kontrast zu dem türkisblauen Wasser des Meeres, während sich sanfte Wellen geräuschvoll ihren Weg zum Ufer bahnten. Der unverkennbare Duft des Ozeans lag in der Luft und auf einmal schien mir das hektische New York so weit entfernt, dass ich mich kaum noch damit identifizieren konnte. Großgewachsene Palmen säumten den Sandstrand und zwischen ihnen waren ein paar karibische Hütten mit Strohdächern platziert. Während mein Blick über den Sandstrand schweifte, fragte ich mich augenblicklich, welche der Hütten wohl zu Emmanuel gehörte.

„Danke", richtete ich schließlich das Wort an meinen Begleiter, während ich mich herunterbeugte, um mich meiner Turnschuhe zu entledigen. Als meine nackten Füße schließlich den warmen Sand berührten, wurde mein Körper erneut von Glücksgefühlen durchflutet.

„Hey", entgegnete Emmanuel lachend und streckte seinen Zeigefinger gespielt warnend in die Luft. „Freu dich lieber nicht zu früh. Die Touristen können manchmal wirklich anstrengend sein."

Ich folgte ihm weiter, bis er schließlich vor seiner Hütte stoppte. Er zog einen Schlüsselbund aus der Hosentasche, um die Tür für uns zu öffnen. Während Emmanuel das Schloss bediente, ließ ich den Blick über mein neues zu Hause wandern. Die Wände bestanden aus einer Mischung aus Holz und geflochtenen Kokosmatten, wohingegen das Dach aus Palmenblättern und Stroh geformt wurde. Zu meiner Überraschung war das Strandhaus zweigeschossig, so dass eine außenliegende schmale Holzleiter in das obere Geschoss führte. Neben dem Hauptgebäude befand sich noch ein Holzverschlag, welcher ebenfalls mit einem Schloss gesichert war und vermutlich die Surfbretter beinhaltete.

„Charlotte?", rief Emmanuel nach einiger Zeit und erst jetzt fiel mir auf, dass ich noch immer völlig überwältigt vor der Strandhütte stand. Daraufhin löste ich mich aus meiner Starre und betrat das Innere der unteren Etage.

Die Einrichtung bestand aus einer Holzvitrine, welche sich über die gesamte rechte Wand erstreckte und mit zahlreichem Zubehör für Surfboard-Pflege bestückt war. Auf der gegenüberliegenden Wand war ein offenes Regal angebracht, wo augenscheinlich ebenfalls entsprechendes Surfzubehör ausgestellt wurde und in der Mitte des Raumes lag der Verkaufstresen mit einer kleinen Sitzbank dahinter.

„Wir sollten kurz die Rahmenbedingungen abklären", wandte sich Emmanuel schließlich an mich, während er sich lässig gegen den Verkaufstresen lehnte und mich musterte. „Ich habe dir ja vorab gesagt, dass ich nicht sonderlich viel zahlen kann. In Kolumbien läuft das Leben etwas anders, wie du dir wahrscheinlich vorstellen kannst und ich hoffe, du bist mit 15 Dollar pro Tag einverstanden. Wenn du zwischen Dienstag und Sonntag jeweils von 10 bis 16 Uhr arbeiten könntest, wäre das hervorragend. Montag ist dein freier Tag und wie vereinbart, darfst du hier übernachten. Wenn du willst, kannst du dir das Zimmer auch gleich mal ansehen, dafür musst du nur von außen die Leiter hochklettern."

„Ich bin mehr als einverstanden und kann gar nicht in Worte fassen, wie dankbar ich dir bin", rief ich enthusiastisch. Diese glückliche Fügung des Schicksals war so viel mehr, als ich nach der Sperrung meiner Kreditkarte erwartet hatte. Da spielte die Einrichtung des Zimmers absolut keine Rolle für mich.

Einem plötzlichen Impuls folgend zog ich Emmanuel in eine stürmische Umarmung. Als mir klar wurde, was ich da gerade getan hatte, trat ich erschrocken einen Schritt zurück und stammelte verlegen eine Entschuldigung vor mich hin.

„Alles gut", beschwichtigte er mich sogleich lachend und ich war wirklich froh darüber, dass ihn mein überschwängliches Verhalten nicht abgeschreckt hatte.

Perfect Getaway.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt