Kapitel 13: Der Eintopf

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Hallo zusammen!

Wie angekündigt, will ich die Upload-Rate erhöhen und versuche jetzt, folgendes durchzuhalten: ungerade Monate = ein Kapitel am 1., gerade Monate = ein Kapitel am 1. und eins am 15.



Gotha, Deutschland, Samstag, 08. Juni 1991


"Und jetzt kommt meine Familie, die Kelly Familie", kündigte Paddy sie an.

Unter dem Beifall des Publikums betrat Izzy hinter Barby die Bühne. Seit nun zwei Monaten hatten sie die LKW-Bühne und jeder von ihnen konnte reinen Gewissens sagen, dass das eine gute Investition gewesen war. Der Aufbau ging jetzt um Einiges schneller und man konnte einen richtigen Backstage-Bereich schaffen.

Vor der Bühne hatte sich eine kleine Menschentraube gebildet und sie sah erfreut, dass weitere Passanten ebenfalls stehen blieben. Das Konzert war das zweite an diesem Tag und sie meinte, das eine oder andere Gesicht bereits am Vormittag schon einmal gesehen zu haben.

Mit "When I was in town" hatte Johnny wie gewohnt das Konzert eröffnet, ehe Paddy sie alle auf die Bühne gerufen hatte. Izzy hatte gerade ihren Platz eingenommen und schon erklangen die ersten Takte von "The rose". Die Menschen lauschten Patricia, die die erste Strophe sang. Ein Vater hob seine kleine Tochter auf die Schultern, damit sie auch von weiter hinten etwas sehen konnte und in der dritten Reihe stellte sich ein Mädchen - ungefähr so alt wie sie selbst - auf die Zehenspitzen, um einen besseren Blick auf die Bühne zu haben. Und dort drüben, direkt vor dem Kleidungsgeschäft, blieben zwei ältere Mädchen stehen und steckten kichernd die Köpfe zusammen, als Johnny die zweite Strophe übernahm.

Nach dem nächsten Song würde sie kurz hinter der Bühne verschwinden müssen, um nach dem Eintopf zu sehen. In der Pause war sie mit Kathy einkaufen gewesen und die Zutaten waren auch schon alle klein geschnitten und kochten vor sich hin, aber auch bei Eintöpfen musste ab und an einmal umgerührt werden. Also schlüpfte sie - für die meisten Zuschauer vermutlich unbemerkt - hinter den LKW und sah nach dem Essen. Ja, das roch bereits gut. Mit dem Löffel rührte sie einige Male um. Das würde reichen, bis sie nach den nächsten Liedern wieder nachsehen würde.

Als "Good neighbour" gespielt wurde, war sie wieder auf der Bühne, hatte sich hinter die Congas gestellt und war bereit. Es waren noch weitere Menschen dazugekommen, da war sie sich sicher. Und es kamen immer noch mehr. Von dort hinten schlenderte ein älteres Ehepaar interessiert auf sie zu. Als die beiden die Menschentraube erreicht hatten, blieben sie stehen und vermolzen mit den anderen Zuschauern.

Gleich nach dem Lied würde sie auch ein Solo haben. Sie spürte, wie ein bisschen Aufregung sie überkam. Man sollte ja meinen, es wäre inzwischen selbstverständlich für sie, vor fünfzig, vielleicht auch sechzig Menschen eine Strophe zu singen, aber es war eben doch jedes Mal etwas anderes - vor allem, wenn sie alleine sang und nicht nur eine von vielen sondern in diesem Moment die Eine war.

Sie genoss die Aufmerksamkeit des Publikums, das an ihren Lippen hing und fast bildete sie sich ein, in dem Blick des etwa gleichaltrigen Mädchens, das sich vorhin auf Zehenspitzen gestellt hatte, einen Anflug von Neid zu erkennen. Ja, sie stand hier oben und diese Menge von Leuten hörte ihr zu. Und sie liebte es. Dieser kleine Moment und vor allem ihre Aufmerksamkeit gehörte ihr - nur ihr alleine. Und sie konnte in diesem Augenblick dafür sorgen, dass diese Menschen eine schöne Zeit hatten und die Sorgen ihres Alltages vergessen konnten, bis sie geendet hatte.

Sie übergab das Mikrofon und stellte sich wieder zurück auf ihren Platz. Der Moment war vorbei. Sie hatte sich nicht versungen und auch den Text hatte sie nicht vergessen. Das war immer ihre größte Angst. Das Publikum würde es vermutlich nicht einmal bemerken, aber trotzdem war es kein schönes Gefühl. Kurz dankte sie Gott, dass er sie vor einem solchen doofen Fehler bewahrt hatte und griff dann zu dem Schellenring für den nächsten Song. Und den nächsten. Und den nächsten. Der Tag war wirklich schön. Die Sonne schien und ein leichter Wind sorgte dafür, dass es nicht zu warm wurde.

Nach zwei weiteren Liedern wurden die Zuschauer unruhig. Sie redeten miteinander und reckten schnuppernd die Nasen in die Luft, ehe sie den Mund verzogen. Was war denn los? Aber jetzt roch auch sie etwas. Es war ein ekelhafter Geruch. Als ob es irgendwo brennen würde. Verbrennen. Oh nein. Panisch stürzte sie von der Bühne. Der Eintopf!

Und tatsächlich: Je näher sie dem Bus kam, desto stärker wurde der Gestank. Sie hatte das Essen vergessen! Hastig schaltete sie die Herdplatte aus und riss die Fenster auf, um den Rauch herauszubekommen. In dicken Schwaden verschwand er. Igitt. Als sie in den Topf sah, bemerkte sie, dass sich das, was darin war, auch mit dem besten Willen nicht mehr als essbar bezeichnen ließ. Als sie den Löffel bewegte, brachte sie eine schwarze Masse, die einmal ein Teil des Eintopfes gewesen war, zutage. Bäh. Schleunigst entsorgte sie den Inhalt des Topfes in den Mülleimer, was sich aber leider nicht so einfach bewerkstelligen ließ, wie sie gehofft hatte. Den Topf würde sie wegschmeißen müssen. Nicht in hundert Jahren würde sie den wieder sauber bekommen. Zu allem Überfluss kam in diesem Moment Patricia auf sie zugestürmt, um zu erfahren, was los war. Zuerst war sie wütend und dann begann sie zu lachen. Na toll. Nicht nur dass der Eintopf verbrannt war, nein, jetzt machte sich ihre ältere Schwester auch noch über sie lustig. Und das war bei Weitem noch nicht das Schlimmste, denn schließlich war ihr Missgeschick nicht unbemerkt geblieben: Der ganze Marktplatz hatte es mitbekommen. Wie peinlich. Sie konnte diesen Leuten doch nicht einfach wieder unter die Augen treten. Aber auch wenn sie sich wünschte, der Boden möge sich auftun; es half nichts: The show must go on.

Kelly lifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt