3. Kapitel: Virginia

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In das Handtuch eingewickelt, saß ich nun auf seinem Beifahrersitz. Ich zitterte wie Espenlaub.

Meine Schuhe hatte ich bereits ausgezogen, sodass ich meine Beine eng an die Brust ziehen konnte, um mir noch mehr Wärme zu spenden. Seit ich zu ihm eingestiegen war, hatte ich es nicht gewagt, ihn anzusprechen.

Deacons Augen waren unverändert auf den wachsenden Strom von nassen Fahrzeugen gerichtet, auf deren Lack sich die Silhouetten der hohen Gebäude um uns spiegelten.

Unser Weg führte uns durch Häuserschluchten, über große Kreuzungen bis zur Interstate, die uns von hier wegbringen würde. Wohin wusste ich immer noch nicht. Hauptsache weg.

„Ich kann dein Zittern ja schon von hier aus spüren", sagte Deacon plötzlich in die Stille hinein. „Nimm dir von hinten etwas Trockenes zum Anziehen, das kann man ja nicht mit ansehen." Dabei deutete er auf die Kommode neben seinem Bett, während der Van unter der Beschleunigung laut protestierte.

Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was er mir gerade angeboten hatte, doch schließlich riss ich mich aus meiner Trance, schnallte mich ab und ging auf wackeligen Beinen nach hinten.

Auch wenn es so vieles gäbe, was ich ihn hätte fragen können, hatte ich es genossen mich eine Weile in meinen Gedanken zu verlieren. Es war alles andere als einfach, zu begreifen, dass ich erst mal nicht nach Philadelphia zurückkehren würde.

Jedes Schlagloch, über das wir fuhren, ließ mich zusammen mit der halben Einrichtung des Innenraums in die Höhe fahren.

Ohne größere Blessuren bekommen zu haben, war ich endlich an der Kommode angelangt, aus der er mir letzte Nacht die Decke gegeben hatte. Mir war es unangenehm, in den persönlichen Dingen eines Fremden zu wühlen, deshalb schnappte ich mir ein weißes Sweatshirt und eine graue Jogginghose, die vor der Matratze auf dem Boden lagen.

Ich zog ich mich in das kleine Bad zurück. Zu meiner großen Erleichterung waren die Klamotten sauberer als das, was Deacon gerade selbst trug. Der Duft von frisch gewaschener Wäsche stieg mir in die Nase, als ich mir das Sweatshirt überzog.

„Besser?", fragte er, als ich mich wieder neben ihm niedergelassen hatte.

„Viel besser. Danke. Du hast mich gerettet, ich hoffe dessen bist du dir bewusst." Ich studierte die Züge seines Gesichtes von der Seite.

Er warf mir einen kurzen Blick zu.

Ich biss mir auf die Zunge. Es war nicht schwer, zu erkennen, dass er nicht zu der Sorte Mann gehörte, die es liebte, sich ausgiebig zu unterhalten. Außerdem hatte ich ja versprochen, ihm nicht auf die Nerven zu gehen. Ich respektierte das und versuchte, meine angeborene Neugier zu unterdrücken. Stattdessen sah ich genauer hin.

Seine Finger umklammerten das Lenkrad so fest, dass die Knöchel bereits weiß hervortraten. Ich fragte mich, was seine Geschichte war. Wieso er mit einem rostigen alten Mini-Bus durch die Gegend fuhr. Was das Ziel seiner Reise war.

„Was schaust du denn so? Habe ich etwas im Gesicht?", fragte er unerwartet, während ich hastig meinen Blick wieder auf die rasende Auto-Herde vor uns richtete.

„Nein, ich bin nur neugierig, wohin du uns überhaupt bringst", gab ich zurück.

„Shenandoah."

„Der National Park?" Ich erntete dafür jedoch erneut nur einen kritischen Seitenblick. „Was?"

„Keine nervigen Fragen."

„Ich wollte nur wissen, wohin du fährst und nicht wie deine Sozialversicherungsnummer lautet." Ich blickte verlegen in die Ferne.

Er blieb stumm.

The Way to Your Heart (ehem. Turnpike) // LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt