𝑷𝒓𝒐𝒍𝒐𝒈

41 1 0
                                    

Sie legt ihre Hand auf das kalte Element, welches gemeinhin als Eis bekannt ist. Sie spürt die Kälte nicht, sie selbst ist dafür viel zu kalt. Sie spürt keinen Schmerz, kein Stechen. Gegen dieses Element ist sie so immun wie Feuer. Und das ist ihr von Vorteil, denn ihr Vorhaben erfordert es, tief in das ewige Eis vorzudringen. So tief, wie sich nicht einmal die Eiskönigin wagt. Die Gletscher hier oben sind zu unberechenbar, zu gefährlich. Nicht nur, weil sie brechen und alles um sich herum mit ins Eismeer reißen könnten. Nein. Hier lauert eine viel größere Gefahr. Und dieser kann sie nun endlich, endlich ins Auge sehen. Sie hat lange gebraucht, um diesen Ort zu finden, er steht auf keiner Karte und die wenigen, die Handvoll, die wissen, wo er ist, haben den Mantel des Schweigens über dieses Geheimnis gelegt. Sie lächelt und streift ihre Kapuze ab. Langes, wie flüssiges Pech glänzendes Haar ergießt sich über das finstere Violett ihres Umgangs. Sie kann das Böse hier nahezu physisch spüren. Die schwarze Magie, die diesen Ort umgibt, sie spürt sie überall. Einen Moment lang lässt sie sich davon einhüllen, dann streckt sie die Finger ihrer auf das Eis gelegten Hand aus und eine Weile lang scheint nichts zu geschehen. Dann jedoch knackt es leise und Risse entstehen. Kleine zuerst nur, kaum der Rede wert. Doch die kleinen splittern, werden mit einem hässlichen Knirschen größer und breiter, tiefer. Ihre silbernen Augen sehen in die Dunkelheit, die das Eis letztendlich freigelegt hat. Sie hat es noch nicht geschafft. Doch sie zögert plötzlich. Die immense Magie, die ihr nun wie ihn pulsierenden Wellen entgegenschlägt, ist stark. Und das, obwohl er sich in einem schrecklich schwachen Zustand befindet. Sie fühlt sich dieser Magie nicht gewachsen. Früher war sie es einmal gewesen. Doch nun hatte man sie eingesperrt und gezwungen, ihre Seele zu läutern. Sie hatte eine Ewigkeit in dem Körper einer Wächterin verbracht, den reinsten Kreaturen Erdas. Wie also sollte sie die Stärke aushalten? Sie will plötzlich wieder umkehren, das Eis verschließen und zum Palast des Königs zurückgehen, aber sie kann nicht. Er hat sie gerufen. Und dem Ruf eines Meisters sollte man folgen. Sie schließt die Augen und lässt sich auf die dunkle Kraft ein. Sie muss wieder eins mit ihr werden. Wie sie es schon einmal vor langer Zeit war. Nichts hatte sie einst aufhalten können. Und so soll es wieder sein. Sie hört das vertraute Geräusch in ihrem Kopf, als sie an den Rand des Abgrundes tritt, den sie eben geschaffen hat. Erst ist es hundertstimmiges Flüstern, welches sie verführerisch lockt. Es ist die Magie. Nur wenige sind stark genug, um ihr zu widerstehen, wenn sie einmal in ihrem Kopf ist. Sie hatte das nie gewollt, sich stets voll und ganz darauf eingelassen. Und so sollte es auch jetzt sein. Entschlossen macht sie einen Schritt vor und fällt. Sie weiß nicht, wie lang. Wie tief. Das Flüstern wird immer lauter, aufgeregter und wächst schließlich zu einem ohrenbetäubenden Schreien und Kreischen heran. Es ist fast nicht auszuhalten. Ihre noch viel zu reine Wächterinnen-Seele wünscht sich nichts mehr, als in dieses Geschrei mit einzusteigen. Es tut weh, fühlt sich an, als würde Feuer durch ihre Adern flammen und sie von innen auffressen. Sie beißt die Zähne zusammen, macht keinen Mucks. Sie weiß, dass sie danach geläutert sein wird. Befreit von der schrecklichen Reinheit ihrer Seele. Also hält sie es aus. Nach einer Weile, die sie zeitlich nicht hätte einschätzen können, wird ihr Fall langsamer und sie landet sanft auf dem Boden einer eisigen Höhle. Weicher Schnee befindet sich unter unter Sohlen ihrer dunklen Stiefel. Es ist stockfinster, sie streckt ihre Hand vor sich aus und lässt eine violette Flamme aufflackern. Sie hat sie wieder. Die Dunkelheit. Noch vor wenigen Augenblicken wäre diese Flamme golden gewesen. Wieder lächelt sie und wirft das tanzende Licht vor sich auf den kalten Boden. Es wird zu einem Feuergeist, einer kleinen Kreatur, die jede nur schwach magiebegabte Persönlichkeit erschaffen konnte. Es waren seelenlose Wesen, die nur dazu dienten, einem den Weg durch die Dunkelheit zu weisen und dann wieder zu erlischen. Trotz seiner geringen Größe spendet der kleine Naturgeist viel Licht, sein violetter Schein spiegelt sich in massiven Einwänden und Eiskristallen wider, die sie umgeben. Sie dreht sich einmal um sich selbst und folgt dann dem Feuergeist. Ihre Stiefel knirschen leise, als sie über den weichen Schnee geht. Sie laufen einen schier endlosen, engen Tunnel entlang, bis such schließlich vor ihnen eine weite Höhle öffnet. Sofort verschwindet der Feuergeist. Es brennen zwei ewige Fackeln an den spiegelglatten und ebenfalls aus Eis bestehenden Wänden. Vor ihr, am Ende der Höhle, steht ein seltsames Konstrukt aus dem einzigen Material, welches dem Drachen, oder auch ihr, schaden kann. Opal. Der einzige Rohstoff mit dem man starke Schwarzmagienutzer schwächen kann. Die Wellen dunkler Energie sind jetzt sehr stark. Und wieder einmal ist sie voller Bewunderung. Selbst in diesem unsäglichen Gefängnis ist der schwarze Drache eine drohende Gefahr. Kein Wesen bei Verstand würde sich diesem Block nähern. Aber sie hat mehrere Monate dafür aufgebracht, den Weg hierher zu finden. Hat auf diesen Augenblick hingefiebert, seitdem er sie das erste Mal gerufen hat. Langsam schreitet sie auf das Monument zu. Sie kann eine gewisse Angst nicht leugnen, aber die hatte sie schon immer vor ihrem Meister. Je näher sie dem Opal kommt, desto schwindeliger wird ihr, doch sie konzentriert sich auf die Kraft, die nun, neu gewonnen, wieder in ihr steckt. In ihrer linken Hand taucht aus dem Nichts ein mächtiges Schwert auf. Sie hatte es lange nicht mehr in der Hand und die Kraft, die es ausstrahlt, ist unbeschreiblich. Entschlossen hält sie es vor sich, lässt den silbernen Blick über die pechschwarze Klinge gleiten, betrachtet ihr Spiegelbild. Sie ist wieder sie. Ein triumphierendes Grinsen sieht sie aus dem Spiegelbild an, dann saust die Klinge auf das Gefängnis nieder. Ein lautes Krachen ertönt, welches die Wände der Höhle zum Zittern bringt. Claidheamh war stärker als der Opal. Der Käfig bekommt Risse und sie tritt einen Schritt zurück, als wabernde Dunkelheit aus dem kleinen Loch austritt, welches Claidheamh in den Käfig geschlagen hat. Er hatte nur etwas Hilfe gebraucht. Sie lässt sich von den Schatten einschließen, genießt das vertraute Gefühl seiner Nähe und atmet auf. Der Block splittert schließlich mit einem hässlichen Geräusch und zerfällt dann vollends. Nun schlägt ihr das ganze Ausmaß dunkler Magie entgegen und ihr wird beinahe schlecht, gleichzeitig aber leuchten ihre silbernen Augen. Endlich war er wieder da. Wie sehr sie ihn vermisst hatte. Nach einem Moment stiller Begrüßung sammelt sich der Schatten vor den Trümmern seines Gefängnisses und formiert sich zu einer Gestalt. Ein hochgewachsener Mann mit langen, schwarzen Haaren und ebenso silbernen Augen, wie sie welche hat. Seine schwarze Rüstung glänzt und der violette Umhang auf seinem Rücken weht leicht in dem durch den Wirbel entstandenen Wind. Sie könnte sich sofort wieder in ihn verlieben, hätte sie das nicht bereits vor langer Zeit getan. Mit leicht zitternden Händen reicht sie ihm das Schwert, welches sie noch immer in der Hand hält. Er streckt eine seiner blassen Hände danach aus und seine Finger schließen sich langsam um den Griff. Es scheint ein wenig, als würde er erst wieder austesten müssen, wie es sich anfühlt. Wie schwer es ist, wie es in seiner Hand liegt. Nachdem sein Blick einmal daran entlanggeglitten ist, richtet er ihn auf sie. Sofort schaut sie respektvoll zu Boden, verneigt sich tief vor ihm. Die Zeit als Wächterin hatte sie ihre Erinnerungen nur verdrängen, nicht vergessen lassen. Sie weiß, dass er selbst von ihr, seiner Schülerin, seiner Vollstreckerin, seiner Geliebten, absolute Unterwerfung erwartet. Sie ist letzten Endes nichts weiter, als eine Dienerin schwarzer Magie, seiner schwarzen Magie. "Shivani." Seine Stimme klingt schwach und rau. Er hat sie lange, lange nicht mehr benutzt. "Mein König." Instinktiv weiß sie, dass sie sich jetzt erheben und ihn ansehen darf. Und das tut sie. Ihre silbern leuchtenden Blicke treffen aufeinander und erzählen sich unendliche, stumme Geschichten. Sie brauchen nicht die Stimmen zu erheben, um miteinander zu sprechen. "Bring mich hier raus. Erda hat lange genug in Frieden gelebt. Ich spüre, sie haben den Schrecken längst vergessen, verdrängt. Sie haben keine Angst mehr vor schwarzer Magie. Aber das wird sich schon bald ändern. Der schwarze Drache ist zurück und dieses Mal wird er nichts und niemanden verschonen."

Opal ~ Rise of Shadows Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt