Prolog

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Als die Neue in die sonst so unruhige Klasse 10e trat, verstummten sowohl die Jungen, als auch die Mädchen bei ihrem Anblick nacheinander. Sie hatte etwas an sich, etwas war anders an ihr. Vielleicht war es ihr selbstsicheres Auftreten, vielleicht ihr merkwürdigen Augen. Dabei war sie eher unauffällig gekleidet und war weder geschminkt, noch trug sie Schmuck oder Schuhe mit klackenden Absätzen. Sie sah sich einfach nur um und gewann ungeteilte Aufmerksamkeit. Das unheimliche Mädchen trug schlichte Lederstiefel und eine schwarze, halb offene Lederjacke. In dieser Kombination würde man denken, sie käme direkt von einem Motorrad. Eine ebenfalls schwarze DAKINE Mappe hing lässig über ihrer Schulter. Die waldgrünen Augen mit den wunderschön geschwungenen Wimpern des Mädchens schauten sich wach um. Sie schimmerten im Licht der Sonne. Es sah aus, als beobachte sie jeden gleichzeitig. Die schwarzen Haare gingen ihr bis zu Hüfte, obwohl die Neue sie zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden trug.

„Ich bin Sam", stellte sie sich kurz und lässig vor und ging mit knirschenden Sohlen auf einen der Tische zu, auf dem zwei Jungen hockten. Sam schien nicht sonderlich schüchtern zu sein. Im Gegenteil. „Hallo Dylon und Justus", begrüßte sie die Jungen flüsternd. „Woher weißt du unsere Namen?", verlangte Justus zu wissen. Die Neue lächelte. Sie hatte so perfekt Zähne, da würde jeder Zahnarzt nach dem Trick fragen. „Betriebsgeheimnis."

Dylon kniff die Augen zusammen.

Justus auch.

Die Klasse tuschelte.

Sam lächelte stur und drehte sich plötzlich blitzartig zu einem Mädchen um, das weiter vorn saß. Mit bedrohlich langsamen Schritten ging sie auf das Mädchen zu. Es versuchte sich unter ihrem Blick zu ducken. Sam hob mit drei Fingern das Kinn des Mädchens und hob die Augenbrauen. Dann lächelte sie amüsiert. „Was?", fragte das Mädchen alarmiert und riss die Augen auf.

„Ach Aletta, ich spiel mich nicht auf. Ich weiß, du bist sonst hier die Angehimmelte, aber heute geht es ausnahmsweise mal nicht um dich, sondern um Dylon", grinste Sam.

Aletta schnaufte und richtete sich auf. „Was soll das? Woher weißt du, was ich gesagt hab? Was willst du? Lass mich in Ruhe!" Sie versuchte tapfer zu klingen, doch ihre Stimme zitterte.

„Ich habe Recherchen angestellt. Und eine Menge über Dylon heraus gefunden. Auch die ganzen Namen seiner Klassenkameraden, also auch meiner.", antwortete Sam.

„Du bist also nur Dylons wegen jetzt in unserer Klasse?!", hackte Aletta verzweifelt nach.

„Ja", lächelte Sam zufrieden. „Du hast es verstanden. Naja, aber es gibt eigentlich noch einen Grund. Von der anderen Schule bin ich geflogen, weil ich angeblich allen so viel Angst gemacht hab, dass sie nicht mehr kommen wollten oder sich nicht mehr konzentrieren konnten... Tja., Dabei bin ich doch nicht furchteinflößend, oder?!"

„Äh... nein.", versuchte Aletta es.

„Warum lügst du?", fragte Sam sanft und sah plötzlich ganz anders aus. Viel weicher und weiblicher. Ein wenig wie eine Mutter wenn sie das verletzte Knie des Kindes betrachtet und der verzweifelten Stimme des Kindes lauschte, die erzählt, wie der böse große Bruder das Kind geschubst hatte und es deshalb über den Asphalt geschlittert war. „Weil ich dir Angst mache, richtig?!"

Aletta schluckte.

Sam legte ihre Hände zu einem Trichter an Alettas Ohr und flüsterte hinein.

Dann drehte Sam sich wieder den zwei Jungs zu.

Es gab ein dumpfes Geräusch , als Aletta sich auf ihren Stuhl fallen lies.

„Ach, äh, Justus", sprach Sam wieder den einen Jungen an und ging wieder auf die Freunde zu. Dort angekommen setzte sie sich auf den Tisch gegenüber von den Beiden. „Lasst doch Aletta in Frieden. Ich habe ihr nichts wichtiges gesagt. Fabian. ... Ich habe was gesagt, oder soll ich jedem verraten, in wen du verliebt bist?!", rief Sam nachdrücklich, aber ohne den Kopf zu drehen. Das Getuschel um Aletta herum verstummte urplötzlich. Es war allen klar: Sam wusste viel. Und damit hatte sie hier sehr viel zu sagen. Aletta hatte sonst das Kommando, da ihr Vater steinreich war. Doch allem Anschein nach wusste Sam von jedem das tiefste Geheimnis um sich Respekt zu verschaffen und Druck auf jeden ausüben zu können.

„So. zurück zu dir Justus", hob Sam erneut an. „Tut mir Leid, dass wir unterbrochen wurden. Ich glaube Dylon ist selbst fähig, wenn er es möchte eine Freundin zu finden. Du brauchst ihn nicht verkuppeln. Das lag ihm schon seit längerem auf der Zunge, aber er wollte euer freundschaftliche Beziehung nicht in Gefahr bringen. Aber eigentlich bin ich ja nur wegen Dylon hier. Ich wollte dir sagen, dass das mit deiner Schwester sicher ein harter Schlag für dich war, aber sie lebt. So viel kann ich dir verraten. Sie ist in New York in einem Krankenhaus. Mount Sinai Hospital heißt es glaube ich. Kannst ja mal dort anrufen. Vorbeischauen ist allerdings schwierig, so von San Francisco aus..."

Dylon schnaubte. „Woher weißt du das?"

„Betriebsgeheimnis", wiederholte Sam und drehte sich um.

In diesem Moment stürzte Dylon sich auf sie und umklammerte sie von hinten. Doch die Neue schien darauf vorbereitet gewesen zu sein und drückte bloß auf eine Stelle an beiden Handgelenken ihres Angreifers und dessen Hände öffneten sich. Sam drehte sich um und umfasste Dylons Handgelenke fest.

„Ich warne dich ein Mal. Ein einziges Mal. Das ist meine Pflicht. Dann nie wieder. Ich. Bin. Anders. Ich. Bin. Stärker. Ich. Bin. Tödlich!", zischte Sam Dylon deutlich und drohend ins Ohr. Dann lies sie den extrem blass gewordenen Jungen los und ging zur Tür.

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