Neujahr

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Gedankenverloren stehe ich neben meiner
Familie, die eigentlich aus meinem Vater, meiner Mutter und meiner jüngeren Schwester besteht, und warte darauf, dass es endlich Mitternacht ist. Heute ist nämlich Silvester und ich kann es kaum noch abwarten, endlich das neue Jahr zu beginnen.

Vor ungefähr einer Woche haben meine Eltern beschlossen, über Silvester zu unseren Verwandten zu fahren, die an der Nordsee leben, da wir sie schon ein paar Jahre nicht mehr gesehen haben. Zuerst war ich von dieser Idee nicht wirklich begeistert, da ich eigentlich geplant hatte, mit ein paar Freunden Denki, Mina, und Sero in das neue Jahr reinzufeiern, später ließ ich mich dann doch dazu überreden, mitzufahren. Schließlich finde ich es immer gut, mal für ein paar Tage aus unserem klein Viertel in Japan herauszukommen.

Als ich einen Blick auf mein Handy werfe, stelle ich fest, dass es noch gut zwanzig Minuten sind, bis das neue Jahr beginnt. Ich unterdrücke mir ein Seufzen, stecke mein Handy zurück in meine Jackentasche und sehe dann zu meinen Eltern herüber. Die beiden stehen eng umschlungen da und schauen auf die See, als würde das Feuerwerk in wenigen Sekunden losgehen. Aber das tut es leider nicht.

Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen wende ich meinen Blick ab und mustere stattdessen die anderen Leute, die mit uns hier draußen stehen und warten. Meine Tante und mein Onkel haben vorgeschlagen, uns ans Wasser zu stellen, da man von hier angeblich einen tollen Blick auf das Feuerwerk hat, und natürlich waren meine Eltern sofort Feuer und Flamme für diese Idee. Ich sah das Ganze etwas skeptisch, da es erstens echt kalt ist und zweitens meine Eltern bereits eine ganze Stunde früher hierhin kommen wollten.

Und das beste an der ganzen Sache ist, dass meine Tante und mein Onkel, sowie meine Schwester nun verschwunden sind. Sie sind vor etwa 10 Minuten losgegangen, da meine Schwester unbedingt eine Waffel und einen Kakao haben wollte. Als mich meine Tante fragte, ob ich mitkommen wolle, lehnte ich freundlich ab, jetzt bereue ich diese Entscheidung jedoch, da mir bereits die Füße einfrieren. Innerlich verfluche ich mich dafür, nicht doch die Kuschelsocken angezogen zu haben, so wie meine Mutter es mich gebeten hat.

Während ich nach weiteren acht Minuten immer noch hier stehe, in der Gegend herumstarre und nichts Spannendes passiert, wird mir erst so richtig bewusst, wie sehr ich mich freue, dieses Jahr endlich abzuhaken und ein neues zu beginnen. Denn dieses Jahr hatte zwar viele schöne und natürlich auch nicht so schöne Momente, doch ich weiß, dass im nächsten Jahr noch viel bessere Erlebnisse auf mich warten. Außerdem ist in diesem Jahr einiges passiert, das ich gerne rückgängig machen würde, doch dieser Wunsch bleibt mir leider unerfüllt.

Grundsätzlich bin ich nicht der Typ für Neujahrsvorsätze oder irgendwelche Wünsche, aber dieses Jahr werfe ich das alles. über Board, denn ich brauche die Hoffnung, dass sich nächstes Jahr endlich mal wirklich etwas ändert.

Wenn die Raketen in weniger als fünfzehn Minuten hochgehen, werde ich mir wünschen, die Dinge und Personen in meinem Leben mehr zu schätzen, etwas zu riskieren, den ersten Schritt zum Erfüllen meiner Träume zu machen und mich nicht mehr so oft zu stressen, sondern das Leben zu genießen. Natürlich wünsche ich mir auch, dass ich nicht mehr so stur bin, richtig glücklich zu sein, alles etwas positiver zu sehen, meine Ziele zu erreichen, mich endlich mal in jemanden zu verlieben und den ganzen anderen Kram. Die Standarddinge eben.

Als sich meine Eltern zu mir umdrehten
und mir erneut ihre volle Aufmerksamkeit schenkten, ist es bereits zehn Minuten vor Zwölf. »Schatz? Kannst du bitte nach deiner Schwester sehen? Die drei sollten schon längst zurück sein«, sagt meine Mutter und mir entgeht nicht, wie besorgt ihre Stimme klingt. Ich nicke zustimmend, schenke meinen Eltern ein kurzes Lächeln und verschwinde dann in der riesigen Menge.

Mir war von Anfang an klar gewesen dass
man sich nicht auf eine 12-Jährige verlassen
kann, von meiner Tante und meinem Onkel bin ich dann doch etwas enttäuscht. Schließlich kann es doch nicht so schwer sein, eine blöde Waffel und einen überteuerten Kakao zu besorgen.

꧁𝕆𝕟𝕖 𝕊𝕙𝕠𝕥𝕤꧂Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt