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Sprachlos starrte Dora ihn an.

"Knox?", fragte sie. "Was soll das?"

"Du kannst gehen." Knox sah sie mit unergründlicher Miene an und schien darauf zu warten, dass sie sich bewegte. Misstrauisch beäugte Dora den Captain des Schiffes.

"Ist das eine Falle?"

"Nein." Nach einer weiteren unangenehmen, aber kurzen Zeit, in der beide schwiegen, es aber klar wurde, dass Dora sich ohne jegliche Informationen nicht bewegen würde, seufzte Knox auf. "Ich nehm' an, Kit hat dir von der Falle erzählt?"

Dora nickte.

"Dann weißt du, dass du uns das Leben gerettet hast. Ich schulde dir deines."

Dora vermutete, das war seine Art, danke zu sagen. Aussprechen würde er es nicht.

"Ich darf also hier raus?", hakte Dora vorsichtig nach. Es klang zwar ganz danach, aber sie wollte auf Nummer sicher gehen.

"Ja", sagte Knox ungeduldig. "Und jetzt mach schon, bevor ich's mir anders überlege."

Die letzten Worte waren fast ein Knurren und Dora erinnerte sich wieder, wie es war, als er ihr eine Klinge an den Hals gehalten hatte. Sie schluckte schwer und keine Sekunde später rappelte sie sich auf und trat auf unsicheren Beinen aus der Zelle, die sie seit fast sieben Tagen nicht verlassen hatte.

Knox trat hinter ihr die Treppe hoch und stellte sich neben sie an die Reiling, als sie gebannt aufs Festland starrte. Die Sonne ging langsam auf und ein paar betrunkene Mitglieder der Crew torkelten übers Deck, aber dann war es still. Die meisten schliefen. Einen Moment sagte keiner etwas, dann räusperte sich Knox.

"Wie ich sagte, bist du frei zu gehen. Wohin auch immer du willst." Der Blick, mit dem Knox sie bedachte, beunruhigte Dora. Er war dunkel, aber längst nicht so gefährlich, wie sie es schon gesehen hatte. Wirklich deuten konnte sie ihn allerdings nicht.

Erst dann wurde ihr die gesamte Bedeutung klar. Sie hatte erwartet, dass sie die Zelle verlassen durfte. Nicht, dass er sie von seinem Schiff ließ.

"Ich darf die Dark Treasure verlassen?", wollte Dora wissen. Knox rollte mit den Augen, als könne er nicht glauben, dass sie so schwer von Begriff war.

"Wie ich anfangs gesagt hab. Wenn du uns nicht schadest, bist du frei zu gehen. Und du hast sogar das Gegenteil gemacht."

Ein weiteres Mal, dass Dora sich das unterschwellige Danke dazu dachte. Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht drehte sie sich zu ihm um. Im Gegensatz zu ihm hatte sie keine Probleme damit. "Danke!", sagte sie und wollte sich gerade zum Gehen wenden, als Kit ihren Namen rief. Oder das, was er für ihren Namen hielt.

"Was ist los?", fragte er, nachdem er sie erreicht hatte.

"Ich darf gehen."

"Du wirst uns verlassen?" Kits Gesichtsausdruck war traurig und Dora fühlte sich automatisch schlecht. Seit sie die Neuigkeiten erfahren hatte, verschwendete sie keinen Gedanken an Kit. Sie dachte lediglich daran, endlich hier wegzukommen.

"Ach komm", sagte sie mit einem tröstlichen Lächeln. "Wir wissen doch alle, dass ich nicht für die See gemacht bin."

"Du könntest es lernen", schlug Kit vor, aber so hoffnungsvoll er auch klang, er glaubte nicht wirklich an seine eigenen Worte.

Statt zu antworten, zog Dora ihn einfach in eine feste Umarmung. Bis ihr wieder einfiel, dass sie eigentlich für einen Jungen gehalten wurde. Umarmten sich Piraten?

Die Antwort war anscheinend ja, denn bevor sie die Gelegenheit hatte, Panik zu bekommen, erwiderte Kit die Umarmung. Sie wusste nicht, ob es auf diesem Schiff eine Seltenheit war oder nicht, aber Kits Umarmung tat gut. Es war seit einer gefühlten Ewigkeit die erste freundliche, warme Berührung und als Dora sich von ihm löste, war sie tatsächlich traurig, Kit zu verlassen.

"Kit, Theo", sagte eine Stimme neben ihnen und es war nicht Knox, wie Dora erwartet hatte. Es war Jake, der fast so müde aussah wie Kit, sich jedoch besser auf den Beinen halten konnte. "Was is' los?"

"Theo geht."

"Der Bursche geht?"

Und das war nicht Jake. Das war Grobian. Dora hatte keine Ahnung, wo der auf einmal herkam, aber es gefiel ihr nicht. Der Kerl konnte sie nicht leiden und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Nicht, dass Smitty je wirklich nett zu ihr gewesen war, aber seit einer Woche hatte es einen neuen Tiefpunkt erreicht. Obwohl, nicht ganz. Er tat ihr nichts, immerhin hatte sie die ganze Zeit in einer Zelle verbracht, aber seine Blicke waren finsterer als vorher.

Bis heute zumindest.

Jetzt war er nur misstrauisch.

Im Gegensatz zu Kit wusste er ja, dass Dora mit Knox gesprochen hatte, kurz bevor der Angriff abgesagt wurde. Wahrscheinlich hatte er ihr die Schuld dafür gegeben und jetzt erfahren, dass sie ihnen das Leben gerettet hatte.

Dora konnte sich nicht erklären, warum Smitty der restlichen Crew nichts verraten hatte. Knox musste schweigen, weil ihn alle für verrückt erklären würden, wenn er erzählte, dass er aufgrund der Worte eines seltsamen Mädchens (Jungens) gehandelt hatte. Aber Smitty? Dem konnte es doch egal sein, es waren nicht seine Befehle.

"Ja, ich gehe", sagte Dora und grinste Smitty an. "Deine grimmigen Gesichtsausdrücke werde ich echt vermissen."

Smitty brummte nur und zog die Augenbrauen zusammen, während er die Arme vor der Brust verschränkte. Eigentlich sah er furchteinflößend aus, aber Dora war im Moment viel zu glücklich, dass sie endlich von dem Schiff runter kommen würde, als dass sie das einschüchterte.

Jake legte ihr kurz die Hand auf die Schulter und verabschiedet sich mit einem Nicken.

Knox musterte sie immer noch mit unergründlicher Miene und Dora verzichtete darauf, sich von ihm zu verabschieden. Stattdessen ließ sie sich von Kit in eine zweite Umarmung ziehen und dann verließ sie das Schiff.

In die Freiheit.

***

A/N
920 Wörter

Was denkt ihr, in welche Richtung die Geschichte geht?

Und wer ist euer Lieblings Charakter?

Theodora ~ Eine Kreuzfahrt mit PiratenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt