«Da bist du endlich!», sagt mein Vater schon ungeduldig und reisst mir die Zigaretten aus der Hand, sobald ich das Wohnzimmer betreten habe.
Es stinkt fürchterlich und ich bin kurz vorm Erbrechen. Wie lange er wohl schon diesen Raum nicht mehr verlassen hat? Wie lange er wohl nicht mehr geduscht hat oder die Kleidung gewechselt hat?
«Wieso hast du solange gebraucht?», fragt er mich, während er sich wieder in seinen Sessel zurückfallen lässt und sich gemütlich seine Zigarette anzündet. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er einen Stummel der Zigaretten in den Teppichboden oder in den Sessel fallen lässt und das ganze Haus in Flammen aufgeht.
«Bahir musste ins Lager gehen. Er hatte deine Zigaretten nicht mehr im Regal vorne», sage ich leise und gehe wieder in den Flur hinaus, um meinen Rucksack an den Hacken zu hängen, bevor ich mich aber wieder ins Wohnzimmer bewege.
«Wer ist Bahir?», fragt er wütend nach und stemmt sich aus seinem Sessel. Leichte Panik beginnt in mir zu flattern und mein Herz schlägt schneller. Als seine Hände zu seinem Hosenbund und somit zu seinem Gurt gehen, könnte ich losheulen. «Habe ich dir nicht klar und deutlich verboten, mit Jungs zu reden?»
«Bahir ist doch bloss der Verkäufer vom Tabakla-...»
Ein Zischen geht durch die Luft, als das Leder meinen Rücken trifft. Ich schnappe sofort nach Luft und schaue ihn geschockt an. Diese Schmerzen!
«Heul jetzt bloss nicht los du ungehorsame Hure! Frauen sind da, um Befehlen zu gehorchen! Gehören in die Küche. Für nichts anderes ausser Sex und Hausarbeiten sind sie zu gebrauchen!», sagt er wütend und schlägt nach jedem Satz wieder auf meinen Rücken ein, während ich jedes Mal wieder Luft schnappe und probiere einen Weg zu finden, von hier weg zu kommen. Doch ich bleibe wie angewurzelt stehen. Nichts tut sich mein Körper ist wie versteinert. «Und jetzt lass mich in Ruhe! Lass dich nicht mehr sehen!», schreit er mich an und lässt dann endlich seinen Gurt wieder sinken. Das lasse ich mich nicht zwei Mal sagen. Sofort fliehe ich, gehe wieder aus dem Haus.
In dem kleinen Schuppen neben unserem Haus mache ich die drei Taschenlampen an, die ich über die Balken gehangen habe, um ein bisschen Licht in dieser dunklen Welt zu haben. Dieses Licht reicht gerade, um mein geliebtes Motorrad zu sehen.
Eine Husqvarna 701.
Es ist die Husky meines Bruders. Er hat sein volles Herz in diese Maschine hineingesteckt. Tage und Nächtelang daran gearbeitet, doch fertig wurde er nie. Er war zuerst fertig mit der Welt, bevor seine Maschine fertig war. Wenn der Fahrer den Weg vorgeht, damit die Maschine sicher folgen kann.
Ich war nie begeistert von diesen gefährlichen Dingern. Es kam mir immer zu gefährlich vor, so etwas zu fahren. Der Tod steht einem hinter den Ohren, wenn man mit diesem Ding fährt. Erst seit er und meine Mutter weg sind, fahre ich sie. Denn der Tod ist womöglich im Moment die bessere Lösung. Besser als in dieser Welt zu leben.
Ich setze mich wieder auf das einfache Handtuch vor dem Motorrad auf den Boden. Der Schneidersitz wie immer, und der gleiche gebogene Rücken. Der Kopf gleich auf die Hände gestützt wie immer. Der gleiche Blick zu dem Motorrad.
Es gibt mir jedes Mal einen Stich ins Herz, wenn ich diese Maschine sehe. Jedes Mal, wenn ich sie sehe, ohne meinen Bruder drauf. Sofort kullert wieder eine Träne aus meinen Augen. Eine Träne für den Schmerz, der mein Vater mir antut und noch eine Träne für den Tod meines Bruders und eine dritte Träne für den Tod meiner Mutter.
Eine gefühlte Ewigkeit sitze ich vor dem Bike und lasse meine Gedanken spielen, bevor mein Handy vibriert. Eigentlich habe ich wirklich nie jemand der mir schreibt. Ich hatte zwar immer eine beste Freundin. Doch nach dem Tod der zwei wichtigsten Menschen in meinem Leben, habe ich mich abgeschottet und auch diese Freundschaft ging in Brüche.
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rien n'est éternel
PertualanganRafael ist ein positivgestimmter junge Mann, der versucht sein Leben mit den letzten Zügen zu geniessen, denn der Krebs steht in seinem Nacken. Brooke ist das Gegenteil von Rafael, am liebsten würde sie nur noch sterben und nie mehr Auferstehen müss...