༺ 1 ༻ Minah, die Gutmütige

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vor 23 Jahren  ...


»Wir sind doch beide ehrfürchtige Frauen, Erana. So ist doch Euer richtiger Name, nicht wahr?«

Die Angesprochene bewahrte die Ruhe, die über ihr Antlitz in gleichmäßigen Zügen hinweg strich. Sie wussten also beide wer ihr Gegenüber war und Erana überlegte, was dies für sie bedeutete. So war ihr Vorteil ganz klar fort und das trügerische Bild von einer zierlichen Frau konnte sie nicht mehr einsetzen. 

Bis jetzt hatte sie nur wenige solcher wie diese Frau aufspüren können. Wenige dieser ... Helden. Die Kämpfe waren schnell vorüber gewesen, denn stets hatte sie sie alle mit diesem einen Vorteil gegenüber gestanden: Mit der Maske einer schwachen Frau. Aber bis jetzt waren es auch immer Männer gewesen und diese fielen grundsätzlich leichter auf solche Trugbilder herein.

Bei Frauen, vor allem bei dieser hier, war es anders. Deshalb hatte Erana die Vorsicht an erste Stelle zu setzen.

Minah, die Gutmütige. Was für ein prächtiger Name, dachte Erana sich. Bis jetzt tatsächlich sogar der am wenigsten lächerlichste, fand sie. Er hatte etwas religiöses. Etwas absolut ehrliches, aufrichtiges und liebevolles. Ein guter Name, um zu täuschen. Im gleichen Zug fragte sie sich wie ihr eigener wohl auf Fremde wirkte. Klang er vertraut? Sanftmütig?

Trotz ihrer abschweifenden Gedanken, ließ sie ihr Ziel nicht aus den Augen. Dieses wartete noch auf ihre Antwort und betrachtete sie mit Blicken, die auch einem in der Jagd bewährten Adler hätten gehören könnten.

»So nennt man mich, richtig«, stimmte Erana schlussendlich mit ruhigem Atem zu.

Minah, die die Größe eines Arenakämpfers hatte, lächelte zufrieden. Ihr blondes Haar glich dem eines Himmelsgeschöpfes und auch ihre Rüstung schien in dem dumpfen Kerzenlicht wie aus Gold geschmiedet zu sein. Jetzt verstand Erana auch, weshalb der Ruf dieser Frau so unverwüstlich war, egal was sie tat. Sie klang mit ihrer Stimme nicht nur wie eine Göttliche, sie sah auch danach aus. Diese Frau wusste sowohl ihr Äußeres richtig einzusetzen, als auch ihre Körperkraft. Und doch war sie in erster Linie immer noch eines: Eine absolut tödliche Kriegerin. Eine harmlos wirkende Schlange, die jedoch zubiss, sobald man auch nur zu blinzeln versuchte.

»Weshalb schauen wir nicht in eine mögliche, gemeinsame Zukunft? Wir sind uns sehr ähnlich. Ich spüre das. Ihr scheint eine ganz eigene ... Macht zu besitzen.« Minah hatte sich mit der Schulter an den tragenden Holzbalken angelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt.

Erana schwieg vorerst. Jedes Wort, vor allem jedes unbedachte, könnte sie auf diesem Pfad schwächen. Jede nicht gewollte Reaktion könnte zum Triumph des Gegenübers werden. »Eine mögliche, gemeinsame Zukunft«, wiederholte sie deshalb nur mehrdeutig klingend, weder als Frage, noch als Antwort formuliert. Weder erfreut, noch abgeneigt.

»Den Anfang habt Ihr bereits getan, Erana. Eure Figur, Euer schmales Gesicht. Während ich die Sanftmütige bin, könntet Ihr die Verführerin werden. Die Männer müssen Euch doch bereits jetzt aus der Hand fressen wie rammelnde Köter, nicht wahr? Werft ihnen einen Knochen zu und ihr werdet sogar entscheiden können wo sie hinpissen sollen.«

Und genau das war etwas, das Minah, die Gutmütige nicht gänzlich perfekt ausführlich, bemerkte Erana nun und kam nicht umhin leicht zu schmunzeln. Ihre Wortwahl glich, wenn sie denn einen Moment nicht darauf achtete, entgegen ihrer göttlichen Erscheinung und dem schönen Klang ihrer Stimme, einem tölpelhaften Bauern.

Ihr Lächeln nahm die Heldin wohl aber als Zustimmung auf und lächelte deshalb auch nun zurück. »Nur noch einen Hauch Rot auf Euren Lippen, ein wenig mehr vom Busen und die langen, dunklen Haare nicht ganz so wild und wirr auf Eurem Kopf und Ihr seid eine unberechenbare Waffe für jeden Mann auf dieser verdammten Welt.«

Erana - Die Heldentöterin - | ABGESCHLOSSENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt