༺ 2 ༻ Onar, der Richter

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vor 20 Jahren ...

Die Luft stand stickig im Raum. Schweiß und Uringestank wabberte in ihr wie ein Fisch im trüben Wasser.

»Weißt du überhaupt wen du vor dir hast?«

»Wisst Ihr denn, wen Ihr vor Euch habt?«, säuselte Erana ruhig zurück.

»Ein Weibsbild, das wohl nicht ihren Platz kennt«, gab Onar zurück, teils belustigt, teils unbeeindruckt.

'Onar der Richter' nannte man ihn unter dem einfachen Volke. Ein Mann, der nur allein den Schwachen diente und diese schützte. Ein ehrenhafter, stolzer Mann, der keine Furcht kannte, wenn er dem Unrecht und dem Bösen gegenüber stand und für die Menschen kämpfte.

Erana besah sich ihn noch einmal von oben bis unten. Entweder war es sein überschwänglicher Mut, dass er sich nicht vor ihr fürchtete oder er war einfach jemand, dessen Intelligenz nicht weiter reichte als seine blank polierten Schuhspitzen und er wusste tatsächlich nicht wer hier vor ihm stand.

An seinen Schuhen blieb Eranas Blick hängen. Sie waren ungeheuerlich sauber für Jemanden, der stehts im Kampf stand, wenn man denn den Gerüchten hinterher horchte. Ihr zweiter Blick fiel hinter den breitschultrigen Mann, auf das Bett, auf dem eine Frau lag. Sie hatte die Decke sporadisch über ihren Körper gezogen und das Gesicht darin vergraben.

Erana betrachtete ihren schmächtigen Körper genau. Jedenfalls solange, bis sich Onar vor sie hinstellte und ihren Blick auf sich zwang.

»Mach dich nützlich oder verschwinde«, sprach er im ruhigen und leisen Ton und genau dieser ließ Erana die Fäuste ballen.

»Ganz wie ihr wünscht ... mein Herr«, murmelte sie daraufhin und ihre Stimme war genauso trocken wie ihr Blick, den sie ihm zuwarf.



Es gab viele Dinge, die Eranas gespaltene Seele in Aufruhr brachten. Einige ließen dabei manchmal nur ihre menschliche Seite vor Wut züngeln, einige nur die ... andere. Doch es war nicht die Unstimmigkeit untereinander, weshalb die Wut manchmal nur die eine Hälfte berührte, es war eher der Versuch der menschlichen die Ruhe zu bewahren und die Zahl der Toten zu verringern.

Jede dieser Dinge, Vorfälle und Aufeinandertreffen mit solchen Menschen wie Onar bedarf sicherlich einer Handlung, doch würde Erana jedes Mal dem Trieb Freiraum gewähren, so würden sich die Geschichten, die man sich bereits über sie erzählen, mit Sicherheit innerhalb weniger Tage zu grausigen Gerüchten verändern und ungewollt zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Ihre Taten waren bereits jetzt schon in mancher Munde, doch in der jetzigen Masse waren sie noch ihr Vorteil. Erana war ein Name, der zwar Schrecken verbreitete - in manchen Ländereien-, doch noch nicht so viel, dass man sie plakativ in Kindergeschichten einbaute, um die kleinen Zwerggestalten zum guten Verhalten zu zwingen. Und doch war sie auch kein fantasievolles Märchen ohne jeglichen Funken Wahrheit. Sie war bereits ein Monster in diesen Erzählungen, ein Monster, welches durchaus eine Gestalt hatte und bluten konnte. Eines, welches große Helden tötete, wenn sie sie denn fand.

Und so sehr sich Erana anfangs gesträubt hatte ehrlich zu sich selbst zu sein, hatte sie nach einiger Zeit zugeben müssen, dass ihr die Taten, die Ausführung ihres Lebensziels in irgendeiner Hinsicht Zufriedenheit schenkte.



So auch jetzt, als sie über den massigen Männerkörper hinweg stieg, den nun weder atmete, noch sich bewegte. Erana achtete darauf, dass der Saum ihres dünnen Kleides nicht Onars Blut berührte und dieses aufsog. Es wäre zu schade, denn das Blut von solchen Helden ließ sich erfahrungsgemäß nur schwer wieder herauswaschen.

Ohne auf die Frau, die immer noch reglos auf dem Bett lag, zurückzuschauen, trat Erana aus der Tür hinaus.

Ihre Aufgabe war getan.

Der kalte Frühlingswind schlug ihr um die Waden. Sie sah in der Ferne einige wenige Menschen in dicken Mäntel herumwandern und erinnerte sich an die Zeit zurück, in der auch sie noch gefroren hatte. Doch es war ein Teil ihrer Menschlichkeit, den sie tatsächlich nicht vermisste. Sie musste sich nicht mehr darum sorgen wegen der Kälte zugrunde zu gehen. Und doch zog sie sich den Mantel, den sie aus Onars Hütte mitgenommen hatte, über ihre zierlichen Schultern.

Menschen fiel es auf, wenn sich jemand sonderbar benahm und in einem dünnen, sommerlichen Kleid herumzuwandern, während der kalte Wind einem entgegen peitschte, sah nun mal in aller Augen sonderbar aus und machte stutzig.

Das Fell schmeichelte ihrer Figur nicht und auch nicht dem filigranen Muster ihres Kleides. Es war groß und klobig, grob geschnitten und schwer. Was sie am meisten jedoch störte waren die Goldbroschen, die überall auf den Schultern verteilt waren und dort prangten wie ehrfürchtige Abzeichen für heldenhafte Taten. Sogar ein Edelstein ließ sich darin finden und sie fragte sich, ob der rote Stein nur wegen dem Blut seine Farbe erhalten hatte, welches er über die ganzen Jahre in sich aufgesogen hatte.

Wütender als es Erana vor hatte, riss sie den pompösen Schmuck heraus, warf ihn achtlos ins hohe Gras und strich das Fell glatt.

Sie musste weiterziehen, weiter in das nächste Land. Vielleicht gab es dort mehr Geschichten über glorreiche Helden. Glorreiche Helden und deren selbstlose Taten.

Erana - Die Heldentöterin - | ABGESCHLOSSENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt