Einhundert Male holten die Bauern die Ernte ein. Sie dreschten die Weizenähren mit Dreschflegeln. Später (ab Ernte sechsundfünfzig) packten sie den Weizen in eine Maschine. Die Maschine dreschte die Ähren mit Maschinenbauteilen. In dieser Zeit kauerten die Bauern neben Traktorreifen und spielten Mau-Mau. Ab Ernte achtundsiebzig hatten die Bauern der Maschine acht Räder angepflanzt. Das puffte und tuffte und schladruffte mit Schladruff und Tuff und Puff. Manchmal pflückten sie einen Dülmener Herbstrosenapfel: Wie der Apfelbaum entstanden war, wussten die Bauern nicht zu erzählen. Es interessierte sie nicht. Sie bissen hinein, oder schnitten die Äpfel zu dünnen Scheiben, legten sie in Pfannkuchenteig ein und brieten einen Apfel-Pfannekuchen in Kupferpfannen.
Ein Igel soll einst einen Apfel gefressen haben. Magensäure und Darmzotteln zersetzten und zerätzten Apfelkern nach Apfelkern. Alle? Alle außer einen: Der Apfelkern Marius thronte als letzter Überlebender auf einem Häuflein Igelkacka.
„Yes!“, soll er gerufen haben: „Yes! Yes! Yes!“ Dann: „Geschafft.“ Schließlich: „An die Arbeit!“
Glück gehabt kleiner Racker! Marius grub sich durch die Kacka entschlossen in die Erde ein, schlief ein, die Kruste des Samens knackte auf, ein Apfelbaumkeimblättchen durchschlug Erdschicht nach Erdschicht, wich wildem Regenwurmgetier aus, lechzte nach Licht und Luft:
„Okay.“, dachte das Keimblättchen: „Bis zum Apfelbaum ist es ein ewig langer Weg. Ich bin so winzig klein. Ich kann gefressen werden. Aber ich werde wachsen. Zastabasta! Auf auf auf!“
Nacktschnecken aus rohem Schleim vergaßen das Blättchen aufzufressen. Der Baum wuchs weiter empor. Junge Bäume lieben Wachsen, sie sind vernarrt darin, das Blau des Himmels zu erreichen. Baum holzte sich ein, Knospe hie und Knospe da, Blätter. Pollen staubschwirrten um neue Apfelblüten, das Startsignal des Orchestre de botanique zu jeder Sommerepisode, Befruchtung erfolgreich einleiten, Befruchtung erfolgreich abschließen, prima!
Zusammengefasst: Ein Apfelbaum thronte an des Feldes Grenze und des Weges Rande. Seine Krone bot jedem Vogel Heimstatt, der um Schutz suchte. Sein Stamm schenkte jeder freundlichen Flechte ein schattiges Plätzchen, die ein unsonniges Plätzchen suchte. Seine Wurzeln kitzelten Regenwürmer und Maikäfer. Besonders die Regenwürmer, die sich aus anatomischen Gründen selten am Mittelteil selber kratzen können, reibten und juckten am Wurzelgeflecht, bis sie zufrieden in den Erdgängen einschliefen.
So vergingen sie, die Jahrzehnte. Mit juckenden Regenwürmern und Flechten auf Heimatsuche.
Kurz vor der einhundertersten Ernte. Der Sommer vergärte. Dem Spritzigen des Hochsommers wich der Brei des Abendsommers. Eine zähe Pampe aus Orangenlaub und Rotblättern. Das Efeu-Männchen wusste Pampenbrei zu schätzen, aber das Verbreien des Sommers erschien ihm nicht ganz koscher. Noch nie, notierte es in seinem Tageträum, sei ein Sommer so verlaufen. Die Sonnenstrahlen: An einem Tag brannten sie dicke rote Flecken auf die grüne Haut, am nächsten Tag schienen sie so schwach wie durch Hochnebel zur Winterszeit. Die Tautropfen: An einem Tag träumten sie von Blumenwiesen und Gebirgsquellen, am nächsten Tag von Einöde und brennender Heide. Das Efeu-Männchen versuchte, all diese Beobachtungen zu sammeln und sie nachts in seinem Tageträum zu verankern. Nicht aus Sorge, aber mit einem Streben nach Achtsamkeit. Tagsüber ging das Efeu-Männchen seinem größten Hobby nach (Faulenzen) oder seinem zweitgrößtem Hobby (Essen) oder seinem drittgrößten Hobby (Träumen) oder seinem viertrgrößten Hobby (Ein kluschelig-kuscheliges Heim basteln).
An diesem Tag „werde ich ein bisschen Basteln an der Grundlage von allem“, dachte das Efeu-Männchen. In der Astgabel hatte es sich ein klitzekleines Baumhäuschen gebaut. Es zerrte die Schnüre seiner Hängeblattmatte nach, die es aus dicken Efeu-Blättern angefertigt hatte. Manchmal freute sich das Efeu-Männchen über die Ruhe des Webens, das Arbeiten mit Stille, das Knüpfen der Konzentration, das Einweben von Ruhe. Wie Laubblätter, von der Sommersonne orange gepinselt, die sanft zum Erdboden schweben.
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Apfel Eddy und die Entdeckung des Reisens
AdventureEin Herbst eines Jahres im 21. Jahrhundert: Obwohl zum Hängen verdammt, träumt Apfel Eddy davon die Welt zu entdecken. Gemeinsam mit dem kecken Efeu-Männchen suchen die beiden Schlitzohren nach einer kreativen Lösung. Aber der Widerstand der anderen...