Am Dorf hinter dem Getreidefeld beziehungsweise am Getreidefeld hinter dem Dorf schob ein Efeu-Männchen einen Apfel vor sich her. Zwar hatte der Herbst bereits begonnen, wie Kenner an der Farbänderung der Laubblätter erkennen vermochten; und das Schieben, Zerren, Transportieren, Beladen, Rollen, Schlittern, Verladen und Abladen von allerlei Obstfrüchten passte ganz gut zur Jahreszeit; trotzdem irritierte der Anblick eines Efeu-Männchens, das ausgerechnet einen Apfel vor sich herschob.
„Efeu-Männchen!“, murmelte ein Igel aus einem Laubhaufen an der Buchenhecke: „Was machst du mit dem Apfel?“
Und das Efeu-Männchen, einen moosgrünen Schweißtropfen von der Stirn abwischend, knurrte mürrisch „Na, irgendwer muss das eben tun.“ zurück.
„Einen Apfel schieben?“
„Nein, du Oberpfeife. Einen Igel piksen. Hm? Was mache ich hier wohl?“ Gute Laune klingt anders, das begriff auch der Igel. „Efeu-Männchen, wenn du einen Apfel schieben musst; warum hast du keinen Apfelschieber?“
Da stoppte das Efeu-Männchen augenblicklich, auch, um kurz zu verschnaufen. Der Igel grinste ein bisschen. „Mit einem Apfelschieber kannst du viel entspannter einen Apfel schieben.“, fügte er schelmisch hinzu.
„Und wo, Herr Oberschlauigel, soll ich einen Apfelschieber herbekommen?“ Das Efeu-Männchen ließ sich auf seinen Bobbeshintern fallen, dass ein paar Staubkörner aufwirbelten. „Schau dich mal um. Ein Feld. Ein Dorf. Ein paar Menschen. Und langweilige Ähren, die sich im Wind krümmen. Kein Apfelschieber weit und breit! Oder?“ Es verschränkte die Arme. Ein dummer Witz war das, bereute der Igel. Vielleicht hatte ja das Efeu-Männchen einen sehr schlauen Grund, einen Apfel quer und kreuz über alle Lande zu schieben. Eine Wette? Eine Mission? Er beschnupperte die beiden Fremden. Seltsam, wunderte sich der Igel, der Apfel schien von weit, weit herzukommen, hinter dem Horizont des Sonnenaufgangs vorm Horizont des Sonnenuntergangs. Köstlich roch er, so würzig süß. Hingegen waren Efeu-Männchen in dieser Gegend ein rarer, wenn gleich nicht unbedingt unbekannter Anblick bzw. Anduft.
„Entschuldige für den dummen Vorschlag.“, sagte der Igel: „Ihr beide scheint nicht von der Hecke oder vom Dorf zu sein. Warum schiebst du einen seltenen Apfel so weit und so lang?“
Der Apfel schwieg. Das Efeu-Männchen kratzte sich ein paar Mal am Kopf, biss sich auf die Lippe, nahm dann einen Schluck Efeusaft aus einer kleinen Viole. Aber der Igel wartete geduldig auf eine Antwort und wenn etwas Igel eigen haben, dann die Geduld (böse Zungen behaupten sogar, dass ein Igel bei Herzstillstand ruhig solange wartet, bis das Herz wieder schlägt)
„Ihr könnt gerne eine Nacht in meinem Laubhaus übernachten. Dort ist es warm und es riecht nach Herbst. Aber nur, wenn ihr mir erzählt, warum ihr hier seid.“
Der Apfel hätte, erzählte das Efeu-Männchen, seinen Apfelbaum verloren. Ein Tritt, ein Schmerz, ein langer Flug, der Apfel sei in einen Bach geplumpst. Ein Mensch in bunten Kleider hätte ihn vom Apfelbaum gerissen. Tagelang ließ sich der Apfel nach Norden treiben, passierte Uferkanten, misstrauische Libellen und Fische, die ihn nach seiner Herkunft fragten. Auf der lange Reise hätte der Apfel das Sprechen vermieden. Erst am Meer habe das Efeu-Männchen den Apfel gesehen.
"Meer?", fragte der Igel. "Was soll das sein, der Meer?"
"Das ist eine Pfütze, die unglaublich riesengroß ist!" Mit den Armen formte das Efeu-Männchen das Wort "unglaublich riesengroß".
An Land zog es den Apfel. Saugte das Salzwasser aus seinem Fruchtfleisch, bis der Apfel wieder ein Wort sprach: "Apfelbaum." Das Efeu-Männchen habe die Küste entlanggeschaut, das Seegras, die Schilfhalme, zwischen denen sich Salzschwaden verfingen. Kein Apfelbaum. Nicht mal Baum, dafür Apfel. Okay, habe das Efeu-Männchen: Ich bringe dich zu deinem Apfelbaum.
Sicherlich, als Igel hört man so manche Geschichte. Aber die des Efeu-Männchens, das einen wohlriechenden Apfel vor sich herbschiebt, zählte zu den eigenartigsten Geschichten, die er je gehört hatte. "Kommt!", sagte er plötzlich: "Die Nacht bricht bald hinein. Euch will nicht auf eurer Reise stören, doch wenn hier nächtigen wollt, tretet ein. Tretet ein in mein Laubhaus..."
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Apfel Eddy und die Entdeckung des Reisens
AventurăEin Herbst eines Jahres im 21. Jahrhundert: Obwohl zum Hängen verdammt, träumt Apfel Eddy davon die Welt zu entdecken. Gemeinsam mit dem kecken Efeu-Männchen suchen die beiden Schlitzohren nach einer kreativen Lösung. Aber der Widerstand der anderen...