Kapitel 10

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"Hey, Transe!", rief einer und wieder ertönte das verheißungsvolle Hämmern gegen die Toilettentür. "Sag mal, wieso versteckst du dich immer auf'm Klo, wenn wir uns zum Sport umziehen?"

"Lass mich in Ruhe!", rief Rebekka, die es satt hatte, sich dauernd vor den Jungen zu rechtfertigen.

Auch, wenn ihr Körper sich noch nicht von denen der Jungs unterschied, so mussten sie akzeptieren, dass sie nicht dasselbe Geschlecht teilten und somit auch nicht die Umkleide!

"Eins muss man dir lassen, du zierst dich wie ein Mädchen!"

Gackerndes Lachen ertönte.

"Verschwindet!"

"Was, wenn nicht? Holst du dann deinen Kumpel Asher?"

"Wenn, könnt ihr euch warm anziehen!"

"Ach, ja?"

Mit einem Mal rüttelte es so heftig an der Tür, dass die ganze Toilettenkabine zu wackeln begann. Fäuste hämmerten dagegen und die Jungen grölten nach ihr.

Erschrocken kauerte sich Rebekka auf den Toilettendeckel.

Die blöden Streiche, die man ihr dauernd spielte waren harmlos, im Gegensatz zu dem, was gerade passierte. Allmählich begann sie zu hassen, dass sie auf diesem Jungeninternat festsaß und dass sie sich dazu entschieden hatte, ihr Geschlecht offenkundig zu zeigen. Sie hatte geglaubt, sie könnte mit Hilfe ihrer Freunde über den dummen Sprüchen und den Vorurteilen stehen. Doch das Verhalten von insbesondere Kevin Brixius und seinen Kumpels ging eindeutig darüber hinaus und machte es ihr verdammt schwer, zu sich zu stehen.

Einer der Jungs versuchte sich an der oberen Kante hinaufzuziehen. Wollte er rüberklettern? Ihr wurde heiß und kalt. Sie wünschte wirklich, Asher käme ihr zu Hilfe oder irgendwer sonst.

Das grinsende Gesicht von Kevin Brixius höchstpersönlich tauchte nun über ihr auf. Mit seinem Oberkörper hing er über die obere Türkante gebeugt.

"Sieht so aus, als würdest du so schnell nicht hier wegkommen."

Der Junge hob sich fies grinsend über die Klotür und streckte eine Hand nach Rebekka aus. Er versuchte sie zu greifen.

"Lass mich in Ruhe!", rief sie und presste sich mit dem Rücken gegen die Klospülung.

Ohne Mühe bekam er ihren Schopf zu packen und zog daran.

"Aua, was soll denn dass, lass los!", rief Rebekka unter Tränen.

Kevin Brixius lachte gehässig.

"Was geht denn hier ab?", schmetterte jemand seine Stimme durch die Toiletten.

Rebekka wusste, wer das war, was sie keineswegs beruhgen mochte.

"Was soll das werden, Brixius?"

"Verpiss dich, Palmer! Der Transvestit gehört mir."

"Rebekka?"

Sie wagte es nicht darauf zu antworten, doch ein lautes Schluchzen ließ sich nicht verhindern.

"Das ist schäbig, selbst für dich, Brix. Du hackst auf 'nem Mädchen rum?"

"Das ist kein Mädchen. Das ist ein Typ, der drauf steht Frauenunterwäsche zu tragen. Mein Vater sagt, sowas sollte deportiert werden. Leute, wie das da, verseuchen unsere ganze Spezies."

Wieder ertönte ein herzzerreißendes Schluchzen. Ständig sagten die Leute so etwas Gemeines. Nicht nur diese Jungen. Solche Menschen, wie diesen Vater, der seinem Sohn so etwas einredete, gab es zu hauf. Sie beschimpften sie als "Es" und beharrten darauf, dass sie kein Mädchen war und verstanden nicht, warum sie eins sein wollte. Sie war kein Junge! Wieso verstanden sie das nicht? Warum war es so schwer für diese Menschen, das zu akzeptieren?

"Oh nein, jetzt heult es!"

Er hatte kaum ausgesprochen, da verging ihm sein süffisantes Grinsen. Julius packte ihn an den Beinen und riss ihn von der Klotür. Seine Kumpels machten einen Schritt vor, um ihrem Anführer zu Hilfe zu kommen, doch der scharfe Blick, mit dem Julius sie anblitzte, ließ sie sogleich wieder zurückweichen. Er wusste, dass sie nicht den Mumm dazu hatten, sich mit ihm anzulegen. Ganz zum Ärgernis von Kevin Brixius, der sich auf dem Hosenboden wiederfand. Hasserfüllt glotzte er Julius an.

"Was soll das, Fettsack? Seit wann bist du so ein Spaßverderber? Du kannst Dennis und seine bescheuerten Freunde doch selbst nicht ausstehen."

"Halt den Rand, Brixius!", sagte Julius und funkelte ihn böse an.

"Habt ihr Schiss vor dem?", blaffte Kevin Brixius seine Kumpel an, die wie angewurzelt dastanden.

"Ich hab keinen Bock auf Stress", sagte einer sichtlich nervös. Vielleicht jagte ihm der Gedanke an Julius und sein Ringerteam Angst ein. Sich mit so einem anzulegen war keine gute Idee.

"Lass uns abhauen", kam es von dem anderen.

Julius trat einen Schritt beiseite und machte Brixius den Weg frei.

Nur widerwillig richtete der sich auf und marschierte an ihm vorbei. Nicht, ohne ihm einen giftigen Blick zuzuwerfen. Man konnte ihn noch eine Weile auf dem Gang nach draußen mit seinen Kumpels streiten hören, was für Waschlappen sie doch waren.

"Vollidioten", schnaubte Julius, der diesen Jungen noch nie hatte ernstnehmen können. "Große Klappe und nichts dahinter."

Das Schluchzen hinter der Klotür wollte nicht abreißen.

"Na los, komm' schon raus", sagte Julius und klopfte.

Nur zögerlich schnappte der Riegel zurück und eine verheulte Rebekka erschien.

"Geht's denn?"

Sie nickte, sah aber nicht so aus.

"Hast du noch Unterricht?"

Sie schüttelte den Kopf.

"Dann bringe ich dich zu deinem Wohnhaus." Als sie sich nicht in Bewegung setzte, sagte er: "Was ist?"

"Wieso hast du mir geholfen? Kevin hat recht, wenn er sagt, dass du uns nicht leiden kannst."

"Es ist eine Sache, jemanden zum Spaß zu ärgern, aber eine andere, jemanden zu mobben."

Er sagte das mit solch einer Ernsthaftigkeit, die Rebekka nachhaltig beeindruckte.

"Ist das das erste Mal, dass die dich so bedrängt haben?"

Auch, wenn Rebekka dazu nichts sagte, konnte Julius an ihrem Blick ablesen, dass es wohl nicht das erste Mal war.

"Schon darüber nachgedacht, zu deinem Tutor zu gehen?"

"Das würde doch alles nur schlimmer machen. Aber danke, dass du mir geholfen hast."

"Erzähl's nicht den Hohlbirnen. Ich habe einen Ruf zu verlieren", sagte er halbernst.

Davon würde sie ihren Freunden ganz bestimmt nichts erzählen. Wenn Asher ausrastete und sich Brixius schnappte, würde das böse enden. Noch eine einzige Prügelei und er wurde vom Internat geschmissen. Das würde sie sich nie verzeihen.

Verloren! [First Draft]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt