3. Kapitel

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-Ava-

Wir sprachen noch eine ganze Weile über alles Mögliche, das Hauptthema war aber natürlich der Neue, bevor sie nach Hause musste. Ich habe mich dazu entschieden, sie mit nach Hause zu begleiten, weil ich sowieso noch mit Bella raus muss.

Ich habe mir vorgenommen danach noch einen kleinen Stopp im Park zu machen, da es schon bald dunkel werden sollte. In der Dunkelheit ist der Park am schönsten, obwohl er kaum erkennbar ist, da nur schwache Lichtquellen den Ort beleuchten.

Lange mussten wir nicht zu ihr nach Hause laufen, da sie nur drei Straßen weiter wohnt. Ihre Eltern haben ein wunderschönes, modernes Haus in schwarz-weiß, dessen Ausblick einzigartig ist. Außerdem haben sie einen riesigen Pool, der im Mondschein glitzert. Mir persönlich wäre das alles zu viel, aber trotzdem kann man nichts anderes sagen als das es atemberaubend ist.

Schnell umarme ich sie noch, als sie mir eine Mitfahrgelegenheit für morgen anbot. Ich bin so dankbar so eine Cousine wie sie zu haben, die mich so akzeptiert wie ich bin.

Sobald Isabell im Haus verschwunden ist, mache ich mich zusammen mit Bella auf dem Weg zum Park. Ich habe gehofft das es schon stockdunkel ist, wenn wir bei Isa Zuhause angekommen sind, da ich die Nacht liebe. Ich weiß selbst nicht so genau, warum ich mich in der Dunkelheit so wohl fühle, aber wahrscheinlich liegt es daran, dass ich die Nacht mit der Ruhe in Verbindung bringe.

Aber die heutige Nacht ist noch viel besonderer als sonst. Am Himmel leuchten Milliarden von Sternen, die alle in einem anderen Licht scheinen. Es ist einfach spektakulär.

Ich vergleiche Sterne schon immer mit Menschen.

Jeder von ihnen sieht anders aus.

Jeder von ihnen erzählt eine andere Geschichte.

Manche Geschichten ähneln sich vielleicht, aber keine ist gleich.

Niemand hat das gleiche gesehen und dabei das gleiche gefühlt.

Jeder ist besonders.

Doch keiner von ihnen sieht es.

Sie leuchten nur für andere, man selbst weiß nämlich gar nicht, wie hell man leuchtet.

Zusammen mit Bella laufe ich einmal quer durch den Park und setze mich unter unseren Lieblingsbaum. Als wir in den Sommerferien das erste Mal spazieren waren, sprintete Bella aus dem nichts los und legte sich unter diesen Baum. Mehrere Male zerrte ich an der Leine, aber sie blieb einfach stur auf ihrem Platz, bis ich mich ergab und mich neben ihr hinsetzte. Sofort verliebte ich mich in diesen Ort. Hier hat man den besten Ausblick auf den wunderschönen Brunnen, der von hunderten Blumen umkreist ist.

Dieser Platz hat irgendwas Magisches an sich. Ich wollte hier nie wieder weg.

Während sich Bella direkt neben mich legt, hole ich mein kleines Tagebuch raus, dass mit meinem Namen bestückt ist. Ohne weiter drüber nachzudenken, öffne ich das Buch und fange an zu schreiben.

Liebes Tagebuch,

wie so oft sitze ich zusammen mit Bella an unseren Lieblingsplatz und denke über alles nach.

Heute gibt es nicht sonderlich viel zu berichten, denn es ist ein Tag wie jeder andere. Ein Tag an dem man sich immer und immer wieder fragt, was der Sinn des Aufstehens und Schlafen gehen ist. Hat jeder Mensch eine Mission, die man erfüllen muss, die man aber nicht kennt? Wenn ja, was ist meine Mission? Wann werde ich meiner Aufgabe endlich gegenüber stehen? Das sind alles Fragen, die mir niemand beantworten kann. Niemand außer ich selbst. Und nun stelle ich mir die Frage, gibt es Menschen in meinem Alter, die schon ihr Lebensziel erreicht haben? Oder erreicht man es erst, wenn man stirbt?

War das Verbrechen was dieser Neue angerichtet hat, sein Lebensziel?

Es ist das erste Mal, dass ich das Bedürfnis habe über jemanden zu schreiben, der mir noch unbekannt ist. Wahrscheinlich liegt es an seiner Geschichte, die mich dazu bringt, über ihn nachzudenken. Ich kann es einfach nicht verstehen, wie kann man ins Gefängnis wollen? Wieso erklärt man sich schuldig, wenn man genau weiß, dass es noch einen Ausweg gibt. Ich würde unglaublich gerne wissen, was er gemacht hat und wie genau man ihn noch retten konnte, obwohl er selbst meinte, dass er es verdient hat ins Gefängnis zu gehen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass da mehr hinter steckt als man vermutet. Eine Identitätskrankheit würde es erklären, denn dann hat man keine Kontrolle über das Geschehen. Eines ist sicher, diese ganze Geschichte ist viel tiefgründiger und interessanter als all die Menschen erzählen.

Ich werde mich morgen aber definitiv von ihm fernhalten. Mein erster Schultag nach den Ferien soll so uninteressant sein wie möglich.

Ich bin gespannt, was ich morgen über den Neuen durch Erzählungen erfahre.

Vorsichtig lege ich mein Tagebuch wieder in meine Tasche, in der sich noch Bellas Lieblingsball befindet, den man kaum noch als Ball betiteln kann. Ich betrachte den wunderschönen Himmel, dabei frage ich mich, wie das Leben da oben wohl ist.

Da oben im Himmel.

Wie geht es den Engeln dort? Haben sie ein schönes Leben? Können sie uns sehen? Können sie spüren, wie es uns geht? Beschützen sie und wirklich?

All diese Fragen schwirren in meinem Kopf herum, wenn ich nachts hier bin.

Warum ich mir diese Fragen Tag für Tag neu stelle?

Das liegt wohl daran, dass ich meinen Schutzengel da oben kenne und ich mich frage, ob es ihm wirklich so gut geht, wie alle denken.

Von mir wird er immer Mein Held genannt,

Er ist seit einiger Zeit da oben und führt sein Leben weiter, ohne mich.

Ich freue mich für ihn.

Wenn es da oben wirklich so schön ist wie ich denke, dann hat er jetzt ein entspanntes Leben.

Langsam fasse ich zu meiner kleinen Goldkette und umklammere den Anhänger fest mit meinen Fingern. Es ist ein feines, kleines Herz.

Die erste Träne verbindet sich mit dem noch trockenen Boden.

Immer und immer wieder lese ich mir den kleinen eingravierten Spruch auf dem Herzen durch.

Ein kleines Lächeln erscheint auf meinem Gesicht.

Währenddessen bildet sich jedoch eine kleine Pfütze unter mir.

Ich erinnere mich an den Spruch, den ich als Kind nie verstand.

Meine Tränen sind eingefroren.

Ich verstand diesen Satz so lange nicht. Ich meine, wie können Tränen einfrieren? Geht das wirklich? Und wann tauen sie wieder auf?

Erst als du gingst, verstand ich es.

Ich habe es probiert, probiert so stark zu sein wie du.

Es funktionierte nicht.

Ich konnte es einfach nicht.

Warum musstest du gehen?

Du hättest mir beibringen können, wie man so stark ist.

Ich kann das nicht mehr.

Ein letztes Mal, schaue ich mir den kleinen Spruch auf der Kette an.

Meine Kinder sind das Beste, was mir je passiert ist. Ich liebe euch -Papa

Bevor ich komplett zusammenbreche...

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"Wenn die Sonne des Lebens untergeht, dann leuchten die Sterne der Erinnerung"

Prisoner | verloren in mirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt