Der Elfenkönig

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Ein neuer Tag bricht an, der angenehmes Wetter mit sich bringt. Da die herrlichen Sonnenstrahlen nicht zum melancholischen Gemüt von Elfenkönig Oberon passen, suchte er sich ein möglichst schattiges und düsteres Plätzchen unter einer großen Eiche. Dort lässt er seine Gedanken kreisen, während er den Bäumen zusieht, die durch angenehme Windbrisen zum Tanzen gebracht werden.

Sein treuer Diener Puck hüpft irgendwann aus einem Gebüsch hervor und reißt Oberon mit seiner schrillen Stimme aus dessen Gedankenwelt: „Eure Majestät, kann ich Ihnen dienen? Mir ist so unglaublich langweilig. Heute gibt es gar nichts zu tun." Aufgeregt läuft Puck umher, um neue Gelegenheiten für Schabernack zu entdecken. Etwas müde erhebt Oberon seine Stimme: „Mein treuer Diener Puck, der heutige Tag steht ganz im Zeichen der Melancholie. Ich möchte mich daher ausschließlich dem Gedanken an meine zerbrochene Ehe mit Titania widmen. Erst gestern habe ich sie ziehen lassen, nachdem unsere Streitereien zu nichts führten. Warum sollten wir weiter in Zweisamkeit leben, wenn das Zusammensein uns so sehr zermürbt? Ich gebe es ja zu: Gerne hätte ich das Sorgerecht für das indische Kind erhalten, um das sie sich so rührend kümmert. Selbstverständlich hätte ich mich noch rührender gekümmert. Doch es bringt nichts, dieses bittere Resultat der Liebe zu verkennen. Ja, ich liebe Titania und deshalb trennte ich mich. Meine Liebe zu ihr bewegte mich auch dazu, ihr das Kind nicht länger streitig zu machen. Denn Liebe bedeutet, Opfer zu bringen. Liebe bedeutet, denjenigen loszulassen, der nicht länger gehalten werden will. Es stimmt mich traurig, sie nicht mehr um mich zu haben. Und doch verspüre ich einen leichten Frohsinn, weil ich endlich erkannt habe, was Liebe wirklich bedeutet."

Etwas verdutzt blickt Puck auf seinen König. Ihm fehlen die Worte, da er sich in Liebesangelegenheiten nicht auskennt. Er entscheidet sich deshalb dazu, von einem Baum zum nächsten zu springen, um nach Abenteuern Ausschau zu halten. Und tatsächlich entdeckt er zwei Athener, die sein Interesse wecken. „Mein König, seht euch die zwei dort an! Ist das diese Liebe, von der ihr gesprochen habt?" Oberon erhebt sich und schreitet zu seinem Diener. Gemeinsam beobachten sie Lysander und Hermia, die durch den Wald laufen. Plötzlich stolpert die Athenerin. Lysander kommt ihr sofort zur Hilfe: „Liebste Hermia, hast du dir wehgetan? Lass uns hier pausieren, bis es dir bessergeht."

„Nein, Lysander. Mir geht es gut. Ich halte es für unklug, jetzt schon Rast zu machen. Wir müssen so schnell wie möglich fliehen, damit Theseus und mein Vater uns nicht einholen. Nur so können wir garantieren, dass wir für immer zusammenbleiben." Hermia steht rasch auf und die beiden laufen tiefer in den Wald hinein. „Ach, welch ein schönes Paar. Möge das Glück mit ihnen sein." Oberon wischt sich eine Träne aus seinem Gesicht. Der Anblick dieser jungen Liebe berührte sein Herz. „Da kommen noch zwei Gestalten, oh mein König." Der Elfenkönig und Puck legen sich erneut auf die Lauer. Sie beobachten Demetrius, dem die verliebte Helena hinterhereilt. „Demetrius, bitte warte doch. Ich kann nicht so schnell!"

„Habe ich dir gesagt, dass du mir hinterherlaufen sollst? Elendiges Weib!" Er dreht sich zu Helena um und schubst sie in Laub und Geäst. Die junge Frau beginnt bitterlich zu weinen. „Es tut mir leid, Demetrius, aber du ziehst mich magisch an wie ein Magnet. Meine Liebe zu dir ist einfach zu stark." Demetrius blickt suchend um sich. „Für dich empfinde ich aber kein Fünkchen Liebe. Ich bin hier, um Hermia zu finden. Mir wurde gesagt, dass sie mit Lysander, diesem erbärmlichen Hund, geflohen ist. Mit aller Macht werde ich sie zurückerobern und sie zu meiner Frau machen."

„Warum möchtest du sie zu deiner Frau machen, wo sie dich doch gar nicht liebt? Das kann keine glückliche Ehe werden! Wenn dir Liebe am Herzen liegt, nehme ich einen Ring von dir jederzeit mit großer Herzensfreude an!" Demetrius nimmt einen großen Ast und wirft ihn auf die am Boden liegende Helena. „Alles, was du verdienst, sind Schläge für deine Ungehorsamkeit. Ich will dich nicht, also lauf mir nicht nach!" Er rennt davon. Helena hat Schwierigkeiten, sich aufzurichten. Sie nimmt jedoch ihre letzte Kraft zusammen, um Demetrius schnellen Schrittes zu folgen.

„Oh weh, welch ein trauriger Anblick. Beide haben den Kern der Liebe nicht verstanden. Beide sind nicht bereit, ein Opfer zu bringen." Oberon läuft auf und ab, während er angestrengt überlegt. Kurz darauf wendet er sich an Puck: „Du sagtest mir vorhin, dir sei langweilig. In diesem Sinne hätte ich eine Aufgabe für dich: Irgendwo hier im Wald gibt es ein Kraut mit einer schwarzen Blüte, das einen Menschen die Liebe seines Lebens vergessen und dessen wahren Charakter erkennen lässt. Bring mir dieses Kraut. Ich möchte es den beiden letzten Athenern auf die Augen träufeln, um ihnen auf die Sprünge zu helfen. Auch sie sollen ihre Verliebtheit vergessen, wie ich allmählich Titania vergesse. Nur so können sie irgendwann das wahre Lebens- und Liebesglück entdecken. Für den jungen Athener, der eine Dame in den Dreck schubst, habe ich außerdem noch einen besonderen Zaubertrunk vorbereitet."

„Ich eile wie der Wind, oh Herr, und bringe Ihnen geschwind das Kraut!" Im Nu ist Puck verschwunden. Oberon hat gerade einmal Zeit, sich in eine Laube zu setzen, ehe sein Diener wieder vor ihm steht. „Handelt es sich um dieses Kraut? Welch ein Kinderspiel!"

„Sehr gut, mein lieber Diener! Nun warten wir noch, bis die Nacht den Tag ablöst und die Athener sich im Wald schlafen legen. Dann wird unsere Chance kommen."

In Your Face, DemetriusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt