Kapitel 6

2K 57 4
                                    

Verwirrt sah ich mir all die Dokumente, die auf dem Tisch lagen, an. Noch immer brauchte ich eine Weile, um zu realisieren, was für ein Leben meine Eltern eigentlich führten.

»Also habe ich das jetzt richtig verstanden? Ihr verschifft Drogen und Waffen an verschiedenste Orte der Welt, habt womöglich mehr Feinde als Freunde, müsst euch die ganze Zeit vor Angriffen schützen und lebt genau wegen solchen illegalen Geschäften im Luxus?«, entgeistert legte ich mir die Hand auf die Stirn, als mein Vater nickte.

»Du hast es erfasst, Kind.«

Mein Blick wanderte zu meiner Mutter, die reaktionslos mit dem Kopf gesenkt auf ihre Finger starte. Ihr lag viel an mir, das wusste ich. Auch wissen tat ich, dass sie sich in dem Moment wahrscheinlich die schlimmsten Aurora-verlässt-uns-Szenarien ausdachte.

Es war nicht einfach eine Situation dieser Art zu akzeptieren als wäre nichts. Zwar hörte man immer wieder in den Nachrichten von solchen Geschäften und auch solchen Familien, doch dass ich jetzt auf einmal ein Teil einer Familie war, die genau das Gleiche machte, ließ mich recht komisch fühlen.

Ein normales Leben würde ich wohl nie führen können.

Aber als wäre das alles nicht schon genug, musste ich noch einen mir komplett fremden Typen heiraten. Und wie es aussah kam eine Absage nicht infrage, da dieser komische Ex-Freund meines Vaters uns alle höchstwahrscheinlich umbringen würde.

»Hast du ihr schon von Leo erzählt?«, fragte dann meine Mutter auf einmal. Ihre Stimme hörte sich so zerbrechlich an, es tat schon fast weh ihr zuzuhören. Irgendwie fühlte ich mich schlecht, obwohl es überhaupt gar keinen Grund gab, mich schlecht zu fühlen.

»Ja habe ich. Wir treffen uns morgen mit den beiden.«

Entsetzt riss ich meine Augen auf. Morgen schon?! Sollte das etwa ein Scherz sein?

»Warum so eilig? Wir können die ja auch wann anders sehen«, meinte ich dann nur genervt. Es wäre das alles nicht schon genug Action. Er aber schüttelte nur den Kopf.

»So haben wir es ausgemacht. Eigentlich wollte und sollte ich dir alles viel früher erzählen, doch die Zeit passte einfach nicht. Es tut mir leid, dass du es so erfahren musstest«, die Traurigkeit in seiner Stimme machte mir zu schaffen. Ich wollte keine Mitleid verspüren, doch versagte leider dabei. Die beiden hier waren Menschen, die mich zum ersten Mal in meinem Leben geliebt fühlen ließen, sich um mich kümmerten und sorgten. Mein Kopf sagte zwar, dass das alles hier kompletter Bullshit war und ich mich nicht hineinziehen lassen sollte, doch mein Herz meinte genau das Gegenteil. Wenn ich gehen würde, würden sie mich finden und uns alle eh umbringen, also konnte ich das mit dem Abhauen knicken.

Es brachte kein bisschen hier sinnlos rumzudiskutieren, wenn wir es mit einem Psycho zutun hatten, der jemanden umgebracht hatte. Allein der Gedanke kotzte mich an. Was, wenn sein Sohn genauso wie er war?

Schnell versuchte ich diesen Gedanken aus dem Kopf zu bekommen. Panik war nämlich das Letzte, was ich gerade brauchen tat.

»Dein Kleid für morgen liegt schon bereit, du findest es auf deinem Bett«, diesmal sah mir mein Vater nicht ins Gesicht, sondern blickte einfach nur die Wand an. Ob er sich für all das Passierte schämte?

Etwas in mir bröckelte, als ich meine Eltern so zerstört vor mir sah. Es war klar, dass beide dies nicht wollten, doch wegen Fehlern aus der Vergangenheit hatten jetzt zwei sich gar nicht kennende Menschen zu heiraten. Eigentlich hörte es sich komplett absurd an, war aber leider Realität. Morgen würde ich meinen zukünftigen Ehemann kennenlernen, während ich vor noch einigen Stunden nichtmal von seiner Existenz wusste.

Wie beschissen das Leben nur sein konnte.

Seufzend atmete ich aus und ging dann ohne ein weiteres Wort zu sagen hoch. In meinem Zimmer angekommen sah ich mir das Kleid etwas genauer an. Es war schwarz und eher eng liegend, bestand aus hochwertig aussehender Seide und hatte einen Riss vorne an der Stelle meines linken Oberbeins. Wahrscheinlich würde man diesen noch besser sehen, wenn ich das Kleid dann auch trug. Gleich daneben lagen Stiletto Heels, in der gleichen Farbe wie das Kleid.

Vorsichtig nahm ich das Kleid und hing es auf. Danach nahm ich mir meine Pyjamas und fand mich schnell im Bad wieder. Eine warme Dusche würde jetzt gut tun.

Das warme Wasser prasselte auf meine Haut und verpasste mir sofort Gänsehaut. Gleichzeitig aber beruhigte es mich auch. In Gedanken ging ich nochmal alles, was bis jetzt passierte, durch. Mein ganzes Leben hörte sich wie ein schlecht gemachter Film an, schon fast märchenhaft. Einziger Unterschied:

Die Hauptfigur hier war kein Prinz sondern womöglich ein Mafiosi.

Als hätte diese arrangierte Ehe nicht schon gereicht, durfte ich jetzt auch noch den Sohn solch einer Familie heiraten. Und dass meine Familie genauso war machte all dies auch nicht besser.

Morgen würde ein anstrengender Tag werden. Und ich war mir definitiv nicht sicher, ob ich diesen auch überstehen würde.

• • • • • ✍︎ • • • • •

AuroraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt