Tod

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Ich bin tot.

Ja tot. Nein, natürlich nicht richtig tot. Also nicht so tot tot! Aber tot. Naja ich esse noch. Und ich atme. Und ich laufe. Und ich gehe auch zur Schule. Jeden Tag wieder. Da setzt man dann ein Lächeln auf und reißt seine obligatorischen Witze. Und tja was soll ich sagen - es klappt. Als nicht lebendige Puppe ist es ja auch nicht schwer zu lachen. Man kann sich selber erstaunlich gut steuern wenn man nichts fühlt! Aber vielleicht auch genau deshalb weil man nichts fühlt. Weil nicht Gefühle deine Handlungen steuern, sondern ganz allein dein Kopf. Oder besser dein Instinkt. Denn denken tue ich ja lange nicht mehr. Ist euch schon mal aufgefallen, dass wir quasi fast alle unsere Handlungen von unsren Gefühlen bestimmen lassen? Immer und immer wieder verfallen wir Ihnen. Das ist wie so eine Krankheit. Egal wie stark wir versuchen sie abzuschütteln - es wird niemals im Leben klappen. Außer bei mir. Aber nein eigentlich nicht! Denn ich lebe ja nicht. Ich bin ja eine Puppe ein leerer Körper. Einzig und allein auf mich fixiert! Es gibt nichts mehr das mir wichtiger ist als ich selbst. Vielleicht ist das eine Nebenwirkung vom Leben ohne Gefühle. Okay Nein ist es nicht! Es ist eine Nebenwirkung vom Totsein! Und zu fühlen und sich dadurch bestimmen lassen, das ist eine Nebenwirkung vom Leben. Ziemlich lästige Sache dieses Leben, oder? Ich glaube ich sollte froh sein, dass ich davon befreit bin! Ja wahrscheinlich bin ich froh, dass das vorbei ist. Oder nein bin ich nicht! Ich kann ja nicht froh sein. Ich kann nicht erleichtert sein. Ich kann auch nicht verletzt werden. Also körperlich vielleicht. Aber selbst da kann ich keinen Schmerz fühlen. Das wäre ja wieder ein Gefühl! Aber meine Seele, mein Herz, mein Kopf. Die sind frei von sowas. Da kann mir nix passieren. Und könnte ich fühlen, dann wäre ich froh darüber! Ja, das wäre ich wirklich. Wäre Fühlen etwas schönes dann wäre ich nicht das, was ich bin. Und falls ihr es vergessen habt. Ich bin tot. Das einzige was ich bin ist tot. Ich lebe nicht, ich existiere nur. Fühlen kann das allerschönste überhaupt sein. Oder das allerschlimmste. Und in meinem Fall war es eigentlich ausschließlich letzteres. Ich hab ihn geliebt. Ja das habe ich wirklich. Und er hat mich geliebt. Jaja klingt toll, nicht? Wahnsinnig romantisch! So nach große Liebe fürs Leben und so! Ach haltet doch alle die Klappe. Das war es nicht. Nie! Und warum? Wegen mir! Weil ich nie etwas ändere. Das habe ich noch nie und ich werde jetzt auch ganz sicher nicht mehr damit anfangen! Egal für wen! Und was haben wir jetzt davon? Nein, nicht von meiner unglaublichen Sturheit in Sachen Veränderungen! Ich rede von der großen, romantischen Liebe. Wir sind tot. Beide. Also meine große Liebe ist wohl eindeutig töter als ich. In dem Sinn bin ich wohl eher in einem Totheitszwischenstadium. Naja aber ich bin tot. Und tot ist ein nicht flektierbares Adjektiv, das hat man uns eigentlich schon ziemlich früh erklärt. Also ist tot gleich tot. Ob jetzt tot unter der Erde oder tot nur halb lebendig. Der Tod nimmt uns beide ein. Auf unterschiedliche Weise eben, aber okay das ist ja okay. Wortwiederholung. Böser Fehler im Deutschunterricht! Aber ist nicht auch unser ganzes, verdammtes Leben eine einzige Wortwiederholung? Alles dreht sich im Kreis. Du stehst auf, verbringst den Tag, gehst schlafen. Am nächsten Tag stehst du wieder auf, verbringst noch einen Tag und gehst wieder schlafen! Und am nächsten Tag wieder. Und du lebst nur um letztendlich doch zu sterben! Wo kann man da denn bitte den Sinn sehen. Manche Religionen glauben ja auch an eine Wiedergeburt! Also noch ein Kreis. Leben, sterben, leben und sterben. Das ganze macht keinen Sinn. Es sei denn man sucht sich einen. Eine große Liebe ist vielleicht ein Sinn. Und ich hab ihn aufgegeben. Ich hab mich gegen den Sinn entschieden. Damit hab ich ein Leben zerstört. Und dieses zerstörte Leben zerstört jetzt mich. Schon tricky vom Leben. Du nimmst ein Leben, dafür nimmt es dir deines. Ach der Satz macht keinen Sinn. Streicht das das ist Quatsch. Hach was für eine Ironie. Eine Sinnlosigkeit in der Sinnlosigkeit. Hübsche Sache.
Wenn ich könnte, ich würde es rückgängig machen. Ich würde mich aufgeben um das andere Leben zu retten. Oder nein, streicht das auch. Das würde ich nicht. Es ist gut, so wie es ist. Denn sollte es anders sein, dann wäre es anders. Das Leben gibt und nimmt willkürlich. Wenn es will dass man glücklich ist, dann ist man glücklich. Aber wenn es dich zerstören will, dann tut es das auch.
Es hat mich dazu gebracht ein anderes Leben zu zerstören. Oder nein, eigentlich habe ich das Leben dazu gebracht sich selber zu zerstören. Und damit meines! Boah wie schön diese Kettenreaktionen.
Und jetzt stehe ich hier. Oder nein, ich sitze. Auf dem Geländer. Einmal abstoßen, dann wäre ich tot. So richtig tot. Also töter. Und es ist mir egal. Ob ich sitzen bleibe oder springe - es ist egal. Denn ich könnte nichts fühlen.

Denn ich lebe nicht. Nicht mehr!

GedankenspielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt