"Wollen Sie die Sonnenbrille in der Bibliothek nicht ablegen, Miss?" Mit neutraler Miene nahm ich dem älteren Mann die Eintrittskarte ab und schüttelte stumm mit dem Kopf.
Schließlich durfte mich niemand erkennen. Anderes wäre ein Desaster.
Nachdem der Eingang passiert wurde, blickte ich mich in der fast hundert Jahre alten Bibliothek um. Von innen sahen die Wände riesig aus, sie waren alle bis ganz nach oben mit Büchern gefüllt.
Auf der Suche nach meinem Date blickte ich durch den mäßig besuchten Saal, in dem ich noch nie zuvor gewesen bin.
Ich ließ meine Hände über die Bücher Reihen fahren, welche unter ihnen jeden Moment zu fallen drohten, so alt sahen die Regale bereits aus. Ein hauchdünnes Büchlein ließ mich allerdings stoppen. Es zog mich in seinen Bann. Meine Finger fuhren über die verzierte Überschrift an der Kante, jedoch wurde meine Aufmerksamkeit daraufhin auf den mir an die Schulter tippenden Finger gerichtet.
Ich drehte mich zu einem großen Mann um, welcher ebenfalls eine schwarze Sonnenbrille trug. Mit einem verstohlenem Grinsen blickte ich an ihm herunter, er tat das gleiche bei mir.
Vicente stand mir so nah, dass ich sein Gesicht gut ausmachen konnte. Grübchen hatten sich auf seinen rosigen Wangen gebildet, die glatt rasiert waren. Mein Blick glitt weiter nach unten auf die kleinen Falten um den Mund, die herausstachen, wenn er breit lachte. Er freute sich wie ein kleiner Junge.
"Ist es an diesem herrlichen Frühlingstag nicht ein wenig zu warm für einen Schal, Sir?"
Ich schmunzelte und zeigte gleichzeitig auf seinen olivgrünen Schal, welchen er mit einem gleichfarbigen, kratzend aussehenden Mantel trug.
"Nun, ich erkälte mich nicht gern, werte Dame", antwortete er mit gespielt tiefer Stimme, "Würden Sie mir bitte folgen?"
Nickend hackelte ich mich in seinem Arm ein und verließ zusammen mit Vicente das Gebäude über einen Seiteneingang.
"Wo gehen wir hin?"
"Wirst du gleich sehen." Er beschleunigte sein Tempo, wobei ich nicht ganz hinterherkam. Mein Becken schmerzte.
Vicente zog mich weiter hinter sich her. Wir liefen den Gehweg entlang, an zig kleineren Läden und Wohnhäusern vorbei. Es war ihr Viertel der Stadt, das der Garcías. Deshalb kannte ich mich hier auch nicht aus.
Irgendwann Bogen wir in eine Seitengasse ab, die menschenleer war. Es stellte sich heraus, dass der Durchgang nicht für alle gestattet war. Hier standen an jeder Ecke Securitys, sie bewachten alles. Dies war nichts Neues für mich, denn in unseren Privatbereichen waren ebenfalls Kameras und Bodyguards aufgestellt.
Vicente und ich zogen langsam weiter, wir waren inzwischen auf einem Feldweg angekommen, der meiner Morgenstrecke ziemlich ähnlich sah.
"Wie hast du eigentlich den Stein dahin bekommen?", wollte ich wissen und blickte mein Date neugierig an.
Er war jedoch nur auf den Weg konzentriert, sodass die Antwort auf meine Frage ausblieb. Abrupt kamen wir zum Stehen.
"Hier ist es."
Rot, Orange, violett und ein saftiges Grün machte sich vor meinem Auge auf.
Gladiolen.
Ein ganzes Feld voll.Davor unser nun nach rechts führender Weg und vor diesem ein Baum, in dessen Schatten sich eine Decke mit einem Picknickkorb sowie einem Strauß Blumen befand.
"Nein, wie schön!"
Ich war überwältigt.
Denn so etwas Schönes hatte noch nie jemand für mich getan.

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Unverwelkbar
Teen Fiction❝ Er war meine Chance, auszubrechen aus einer Welt, die sich durch den Druck der Gesellschaft, Geld und Perfektion auszeichnete. Er zeigte mir eine Welt voller Liebe, die einfach nur war.❞ __ Auf der Suche nach sich selbst und den wahrhaftigen Dinge...