14. Krebs

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Ich lag seit Stunden weinend in seinen Armen.
Die Tränen hörten nicht auf und ich musste mich konzentrieren ab und an Luft zu bekommen.
Elyas versuchte mich anfangs zu beruhigen, hatte aber irgendwann keine Kraft mehr und lag nur noch neben mir.
Meine Laute mussten auch für ihn eine pure Qual sein.
Ich schniefte ein letztes Mal und sah ihm dann ins Gesicht.
Ein Gesicht, was mir fremd geworden war.
Nur die braunen Augen und die perfekte lange Nase waren geblieben.
„Ich wollte nicht das du mich so siehst.", gab er zu, als er bemerkte wie ich ihn musterte.
„Deswegen bin ich nicht früher zu dir gekommen.", sagte er ehrlich.
Elyas Ehrlichkeit durchzog unser heutiges Zusammentreffen förmlich.
Er hatte mit seinem Leben abgeschlossen, das bemerkte ich sofort.
Seine Einstellung führte dazu, dass auch ich langsam meine Lebenslust verlor.
Eine Welt ohne Elyas konnte ich mir nicht ein Mal vorstellen.

„Ich bin froh das du hier bist.", wisperte ich.
Ich wollte nichts falsches sagen, ihm nicht noch mehr Schmerzen zufügen.
„Ich auch.", antwortete er leise.
Er nahm meine Hand und verschränkte seine Finger mit meinen.
„Du trägst noch mein Armband.", flüsterte Elyas.
Ich nickte: „Natürlich."
„Ich hätte dir einen Ring geben sollen.", sagte er vorwurfsvoll.
Doch ich schüttelte den Kopf, das Armband bedeutete mir mehr als ein Ring je würde.
Erneut floß mir eine Träne über die Wange, wenn ich daran dachte, das Elyas bald nicht mehr sein würde.
„Elyas?", fragte ich ihn vorsichtig.
„Ja.", sagte er und sah zu mir.
Ich atmete tief ein.
„Ich liebe dich.", flüsterte ich.
Sein angespanntes Gesicht wurde plötzlich erhellt von einem Lächeln.
„Ich liebe dich auch.", sagte er und berührte dann mit seiner Hand meine Wange.
Er küsste mich ganz sanft auf die Lippen und wie damals fing mein Körper an zu kribbeln.
Ich erwiderte seinen Kuss und wünschte er würde nie aufhören.
Doch irgendwann war es soweit.
Er zog sich zurück und schloss die Augen.
„Ich bin erschöpft, Yasemin.", flüsterte er nur noch, dann war er auch schon eingeschlafen.
Zufrieden sah ich ihm beim schlafen zu und deckte ihn zu.
Ich strich noch Mal über sein Gesicht und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Dann ging ich raus, es war schon unangebracht genug, dass ich so lange bei ihm gewesen war.
Dazu waren wir nicht mehr verlobt...
Aber wenn es unsere Mütter groß stören würde, wären sie schon längst gekommen.

Als ich später mit den beiden zu Abend aß, sagte keiner etwas.
Ich war im Gedanken nur bei Elyas.
Aylin Teyze erzählte von der harten Zeit, als Elyas mit der Chemotherapie anfing.
Er war wohl nur noch zuhause in seinem dunklen Schlafzimmer und kam nur noch nach draußen, wenn ein Arzttermin anstand.
So hätte ich mir Elyas vor ein paar Stunden noch nicht Mal ansatzweise vorstellen können.
Anfangs hatten wir noch viel gefacetimed, da hatte er wie immer gewirkt. Fröhlich, hoffnungsvoll.
Doch seine fehlenden Anrufe kamen wohl dadurch, das er sich schämte für wie er nun war.
Hätte ich nur den Mut gehabt zu ihm zu gehen. Ich schämte mich zutiefst davor, wie ich zu ihm gewesen war.
Ich hatte so oft tagelang nicht geantwortet oder seine Anrufe weggedrückt. Und das alles wegen Nadim.
Einem Jungen, der mich nicht seit meiner Kindheit liebte und alles dafür getan hatte mich zu heiraten...
Und doch mochte ich ihn.
Elyas und er waren so unterschiedlich und doch in manchen Dingen so gleich.
Nadim sah das Leben nicht so ernst, liebte es Witze zu machen und verrückt zu sein.
Doch er hatte, genau wie Elyas, dem Tod ins Gesicht gesehen.
Unbemerkt schüttelte ich den Kopf.
Meine Gedanken sollten bei Elyas sein.

„Ich möchte Elyas heiraten.", sagte ich entschlossen und die beiden Frauen sahen mich entsetzt an.
„Yasemin.", sagte meine Mutter, in diesem altbekannten, du-weisst-das-das-nicht geht-Ton, den jedes Kind kannte.
Doch Elyas Mutter schien nicht ganz so zu denken, wie meine.
Sie sah mich mit Tränen in den Augen an und nickte nur.
„Du liebst meinen Sohn, kizim. Nicht wahr.", sprach Aylin Teyze glücklich.
Ich nickte eifrig.
„Hilal.", sprach sie nun zu meiner Mutter: „Wir können unseren Kindern nicht das Glück vorenthalten, was Allah für sie bereithält. Elyas liebt Yasemin schon seit er denken kann, ich kann mir niemand anderen für ihn vorstellen."
Ich sah gespannt zu meiner Mutter. Sie schien nachzudenken.
„Möchtest du das wirklich, Yasemin?", wollte sie von mir wissen.
Ich wusste was ihre Bedenken waren, genau wie die der anderen.
Das Elyas bald von uns gehen würde, war unumgänglich. Doch wieso sollten wir ihn jetzt schon aufgeben? Und nicht die Zeit die ihm noch blieb zu einer der Schönsten und Glücklichsten machen, die er je hatte!
„Ich kann ihn noch nicht aufgeben, Annem.", sagte ich ehrlich.
Darauf nickte sie.
„Wenn ihr Kinder es so wollt.", sagte sie dann und zog mich in eine Umarmung.
Sie weinte, wie jede Mutter, die ihre Tochter gehen lassen musste.
„Ich werde mit euren Vätern reden, geh du zu Elyas und überbring ihm die frohe Botschaft."; wies Aylin teyze mich an.
Ich nickte und löste mich von meiner Mutter.
„Bitte weine nicht, Annem.", sagte ich zu ihr und küsste sie auf die Wange.

Bis der Tod uns scheidetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt