Höhenflug

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Ihr könnt doch ohne mich gehen", sagte Alicia kleinlaut. Die 17-Jährige betrachtete sich mit kritischem Blick im Spiegel. Sie trug den weißen Bikini, der zurzeit total im Trend war. Dauernd wurde sie mit Insta-Pics konfrontiert auf denen die Influencerinnen wie Göttinnen in dem weißen Stoff posten. Alicia hatte gehofft, wenn sie das Teil bestellte, würde das Urlaubs-Feeling wenigstens zu ihr nach Hause kommen, denn in diesem Jahr hatten sich ihre Eltern dazu entschieden, nicht irgendwo an den Strand, oder in die Berge zu fahren.
Alicias Vater war in Japan- aber nur auf Dienstreise. Er arbeitete in einem Labor und musste nun in Japan Messungen vornehmen. Dabei hatte es hauptsächlich mit der Luftverschmutzung dort zu tun, mehr wusste Alicia nicht. Ihre Mutter entschied sich, ihre Praxis in den Ferien nicht zu schließen, sondern arbeitete den Sommer durch. „Das alles wird sich auszahlen, meine Liebe!", entgegnete sie auf die Überredungsversuche ihrer Tochter, die ihr anfangs als Assistentin dienen sollte. Natürlich bekam sie auch Geld dafür, welches sie nun zum Teil für neue Bademode ausgegeben hatte.

Heute wollte sie mit Ink zum See gehen, der etwa in 20 Minuten mit dem Rad zu erreichen war. Inks Brüder waren auch schon dort. Sie hatte ingesamt fünf Geschwister. Vier Brüder und eine Schwester. Letztere war erst zehn und ihre Mutter hatte ihr verboten, mit ihren Geschwistern an den See zu gehen. Vermutlich wegen der Geschichten: Vor Jahren sollten zwei kleine Kinder in dem Gewässer ertrunken sein.
Aber Alicia wusste, dass das nur zur Abschreckung erzählt wurde, denn der See war gar nicht tief.

Sie drehte sich seitlich und betrachtete ihren Hintern, der von einem etwas dünnerem Stoff bedeckt war. „Ich glaube, das ist mir doch zu freizügig", murmelte die Abiturientin. „Vielleicht zieh ich doch lieber die Nike- Hose an, bevor man noch was sieht..." Ink wirkte genervt. „Nein, du ziehst dich jetzt nicht noch einmal um, wir sind eh schon spät dran!" Sie tippte auf ihrem Handy etwas, dann fing sie den besorgten Blick ihrer besten Freundin ein. „Hör mal zu...", begann sie. „Niemand wird dich blöd angaffen, das ist ein ganz normaler Bikini und er steht dir ausgezeichnet!" Alicia lächelte dankbar. „Du siehst super aus. Lass uns jetzt endlich los...bitte!" Alicia zog sich schnell einen lockeren Jumpsuit darüber, sie gingen aus dem Haus und fuhren auf ihren Fahrrädern los.

Am See angekommen, merkte Alicia zu ihrer Erleichterung, dass nicht viel los war. Tatsächlich waren die meisten zu dieser Zeit im Urlaub. Die Sonne schien und es war unglaublich heiß. Die Freundinnen setzten sich in den Schatten an einen großen Nussbaum. Danach cremten sie sich gegenseitig den Rücken ein. Bei diesen Temperaturen sollte man das Haus nicht ohne Sonnenmilch verlassen.
„Hey!", rief auf einmal jemand. Es war Inks Bruder Arian, der von Kopf bis Fuß klitschnass vor ihnen stand. „Wollt ihr mit ins Wasser? Pablo ist auch hier!" „Wir müssen noch warten, bis die Sonnencrem eingezogen ist", antwortete Ink. „Und jetzt verpiss Dich endlich, du tropfst unsere Handtücher ganz voll!" Zum Abschied wedelte Arian mit seinem schwarzen Haarschopf vor den beiden Mädchen, die entsetzt aufschrieen und sich schützend die Arme vor das Gesicht hielten. Anschließend rannte er lachend zu seinen Kumpels ins Wasser.
„Dein Bruder ist ein echtes Arschloch", sagte Alicia. „Ich weiß", antwortete Ink leise.

Mit einem mulmigen Gefühl betritt Alicia die Gondel. Sie nahm die Hand, die Tom ihr entgegenstreckte. „Bitte hab keine Angst! Die Aussicht ist einmalig, das wirst du garantiert nie vergessen!" In der Tat, Alicia glaubte daran, dass sie das nie vergessen würde, aber nicht wegen der Aussicht.

Angespannt wartete sie, bis die Fahrt los ging. Die Gondel stieg ein Stück in die Höhe, es mussten die anderen Plätze auch belegt werden. Nervös trommelte sie mit den Fingern an die Seite des Wagons. Sie erinnerte sich an den Tag, als sie mit Ink bei der Kirmes war und die beiden in ein Fahrgeschäft einstiegen waren, welches ein Fallturm war und sie aus zehn Metern Höhe auf den Boden zurasten. Nichts für schwache Nerven. Ihr ganzer Körper kribbelte bei dem Gedanken, so etwas würde auch hier passieren- mit den Unterschied, dass das Millennium Wheel nicht zehn, sondern ganze 135 Meter hoch war!

Ein Tag mit Tom HiddlestonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt