Kaugummi und Selbstmord

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Ich beobachtete Tante Ella dabei, wie sie ihren Kaugummi in die

Luft spuckte, ihn mit dem Mund wieder auffing und eine Blase

damit machte, nur um ihn dann wieder in die Luft zu spucken.

Dann wurde ihr wohl wieder langweilig, denn sie fing an, ihr

Haargummi zu einem Ball zu verknoten und diesen gegen die

Dartscheibe zu schnipsen, die sie gestern in aufwendiger

Kleinarbeit und mit einer hochwertigen, limitierten Sonderedition

neuer Wachsmalstifte auf unsere Wohnzimmerwand gekritzelt

hatte. Sie traf daneben, wendete sich wieder ihrem Kaugummi

zu und beschäftigte sich so lange damit, bis ich ihn in die Haare

bekam.Tja, vielleicht sollte ich an dieser Stelle anfangen, mir

eine kleine Ausrede zu überlegen, warum meine Tante sich so

merkwürdig verhielt, aber eigentlich hab ich keine, außer

vielleicht die, dass sie gerade schlimmen Liebeskummer hatte.

Aber von Anfang an: Hi, ich heiße Lillien. Seit ich zweieinhalb

Jahre alt bin, lebe ich bei meinen Tanten, Ella und Roxana.

Meine Eltern sind beide tot und, ohne jetzt taktlos sein zu wollen,

kann ich sagen, dass ich echt froh bin, nicht bei ihnen

aufgewachsen zu sein. Mein Vater war Alkoholiker und meine

Mutter drogenabhängig. Und wenn man der Aussage meiner

Tanten Glauben schenken kann, haben sie sich von der

Schwangerschaft und meiner Anwesenheit als Kleinkind auch

nicht großartig von ihrem Konsum abhalten lassen. Irgendwann

sind sie einfach auf der Autobahn gegen einen LKW gekracht,

nachdem sie mich über Weihnachten zu meinen Tanten gebracht

hatten.

Ella und Roxi waren seitdem meine Eltern. Sie hatten sich lange

nicht darüber einig werden können, wie sie das mit meiner

Erziehung regeln sollten. Aber jetzt bezeichnete ich Ella als meine

Ersatz-Mama und Roxana als meinen Ersatz-Vater (das wechselte),

wenn es darauf ankam, aber die meiste Zeit war es eher so, dass

ich zwei erwachsene Freundinnen hatte, auf die es aufzupassen

galt. Roxana war meistens den ganzen Tag über in der Stadt, sie

arbeitete als Straßenkünstlerin. Ihre Bilder hingen im ganzen Haus

herum und verdeckten die von Ella. Roxana sammelte Teesorten

und hatte davon mehr als die meisten Supermärkte. Sie war eher

ruhig und ausgeglichen, was bei so einer Schwester auch am

praktischsten war.

Sie hatte lockige und theoretisch kinnlange Haare, die aber in alle

Richtungen abstanden und fast schwarz waren. Sie war eher klein

und hatte ein sehr blasses Gesicht, wodurch ihre Haare noch

dunkler wirkten und umgekehrt. Ihre Lippen und ihre Wangen hatten

7 Seiten SonnenscheinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt