Prolog

178 16 8
                                    

Arvendale

Schatten zogen sich über den Türmen von Arvendale zusammen. Schatten die Unheil und Schmerz versprachen. Ashton Aurelian Darvin, das war der Name allen unheils, mein Name. An jenem Tag, an dem die Schatten über meinem Reich aufgetaucht waren, hatten auch meine Fähigkeiten sich offenbart.
Der Schmerz zog sich seit jeher unstillbar durch meine Venen. Die schwarzen Adern an meinen Unterarmen verrieten, welches Gift ich in mir trug. Mein eigenes Gift vergiftete nicht nur jeden Menschen, den ich berührte, sondern auch mich selbst. Kein Schmerzmittel war stark genug um den Schmerz zu lindern, der mich Nachts wach und tagsüber Ruhelos hielt. Während ich früher keine Gelegenheit ausgelassen hatte, mich zu zeigen, scheute ich heute jeden Funken von Aufmerksamkeit oder Gesellschaft. Meine Gesellschaft brachte nichts als Schmerz. Die Menschen fürchteten mich und ich war es Leid diese Angst in ihren Augen zu sehen. Ein gewisses Maß an Angst war gut, Angst kontrollierte Menschen, aber ihre Angst war zum Teil in Hass umgeschwänkt. Mein Ruf eilte mir voraus. Somit wussten die Menschen, dass ich nicht selten die Feinde meines Reiches richtete. Die Feinde meines Vaters. Ich nahm Kindern die Eltern, Eltern ihre Kinder. Ich nahm meinem Volk die Hoffnung auf eine zwanglose Herrschaft, auf eine Herrschaft ohne Angst und Schmerz. Als mein Vater den alten König stürzte, lag das Land in Asche. Die Menschen litten unter Armut, verhungerten. Mein Vater versprach ihnen Freiheit, Wohlstand und ein Leben ohne Hunger. Das kleine Märchen blieb bis zu jenem Tage aufrecht, an dem sich meine Gabe offenbarte, die Gabe die jeder erhielt, sobald er ein gewisses Alter erreicht hatte. Ich werde den Moment nie vergessen. Ich war mit unserem Stallburschen auf der Jagd und wollte meinen ersten Eber schießen, da riss der Schmerz mich zu Boden. Jener Schmerz der mich seit diesem Tage an täglich begleitete. Jonas, der Stallbursche, wollte mir helfen. Er wollte mich zurück auf die Beine ziehen und berührte mich dabei einen Moment zu lange. Seine Schreie würde ich niemals vergessen. Eine gefühlte Ewigkeit später brach er zusammen. Seine klaren Tränen hatten sich in eine Spur aus Blut verwandelt und sein Herz seinen letzten Schlag vollbracht. Ich hatte ihn getötet. Nicht nur ihn. Irgendwann hatte ich aufgehört zu zählen. Kein Arzt, kein Schneider, nicht einmal meine Mutter hatte mich seit jeher berührt. Erst jetzt wusste ich, wie wertvoll eine verdammte Umarmung war. Dabei hatte ich sie früher nicht einmal gemocht. Ich hatte Nähe gehasst und irgendwo tat ich es noch immer, doch eine einzige verdammte Umarmung wäre genau das, was ich jetzt brauchen könnte.
Ich war nicht sentimental, das durfte man auf keinen Fall damit verwechseln. Ich hatte einfach die Sorge irgendwann zu vergessen, wie diese Art von Nähe sich anfühlte.
Am meisten vermisste ich das Gefühl, das mich erfüllte, wenn ich Jemanden schlug. Natürlich könnte ich das noch immer, doch es wäre nicht mehr dasselbe. Der Schmerz in meiner Hand würde wahrscheinlich von jenem meiner 'Gabe' übertönt werden. Und die Schreie des Anderen würden nicht von meinen Schlägen einherrühren.

»Richten Sie Mr. Don Marques meinen aufrichtigen Dank aus.« Mein Vater nickte dem jungen Boten zu, der sich mit einer unbeholfenen Geste, ähnliches eines Knicks von ihm entfernte. Er fürchtete meinen Vater, so wie jeder es tat. Soviel zu einem freien Volk und einer Herrschaft ohne Angst.
Mein Vater hatte sich mit den wichtigsten Leuten seines Reiches im Thronsaal versammelt. Er nannte die neun Fürsten seinen Rat und seine engsten Vertrauten. Ich sah nur einen Haufen Verräter. Ein Teil diente bereits dem König vor uns und würde auch dem König nach uns dienen, solange es ihnen das bequeme Leben ermöglichte, das sie auch jetzt führen konnten. Sie würden zu Verrätern werden, sobald der Preis stimmen würde. Angst hin oder her. Würde ein anderer König ihnen ähnliche Privilegien zusprechen und ihnen ihre Sicherheit garantieren, wären sie über alle Berge. Da war ich mir sicher.
Der älteste, ein Fürst der im Süden unseres Reiches sein eigenes kleines Stück Land besaß, erhob sich mit einer ehrfürchtigen Verbeugung von seinem Stuhl an der großen Tafel, die extra für jenen Anlass errichtet worden war.
»Bei allem Respekt, eure Majestät.« Alleine der Beginn seiner kleinen Rede ließ mich kurz schlucken. Wer so begann, wollte Kritik äußern, Kritik an meinem Vater und gleichzeitig an der Krone. Nicht das mich das stören würde. Mein Vater machte so einige Fehler, aber er würde es mit etwas Pech teuer bezahlen, ihn auf seine Fehler hingewiesen zu haben.
»Wir sollten die Truppen aus den Norden Alkeras zurückziehen und sie in Arvendale einsetzen. Die Rebellen haben den inneren Kreis überwunden und meine Burg angegriffen. Sie sehen euch nicht als ihren rechtmäßigen König. Bevor wir weitere Teile dieses Planeten für uns gewinnen, sollten wir unser Land vor den Rebellen schützen.«
Ich konnte förmlich spüren, wie meinem Vater die Worte des Fürsten von Minerstina missfielen. Er würde weder seine Truppen zurückziehen, noch etwas anderes tun, das Jemand von ihnen ungefragt vorschlug. So war er eben. Rein aus Prinzip nahm er keinen ungefragten Rat entgegen, auch wenn er noch so weise war. Der Fürst hatte recht. Sie mussten ihr Land verteidigen. Erst wenn die Unruhen beiseitig waren, konnten sie darüber nachdenken andere Könige zu stürzen.
Ihr Land und Volk sollte die oberste Priorität sein. Was war ein König bitte ohne sein Volk?
»Die Rebellen werden niemals genug Macht besitzen, um mich zu stürzen. Wir haben ausgesprochen außergewöhnliche und mächtige Gaben auf unserer Seite.« Er spielte mich wieder als ultimative Waffe aus, wie immer. Manchmal hatte ich das Gefühl, das er vergaß wie Schmerzhaft das für mich war. Die Ströme in meinen Adern wurden für einen Moment stärker und meine blassen Fingerspitzen bohrten sich leicht in das dunkle Holz der Stuhllehne. Man sah mir die Schmerzen an. Ich war Blass, besaß kaum Muskeln und dunkle Augenringe zierte meine reine Haut. Mein dunkles Haar hatte ich gelernt selbst zu schneiden. Ich musste mir so vieles selbst beibringen. Zumindest sorgten meine Fähigkeiten dafür, dass ich jederzeit einigermaßen Salonfähig war. Mein Haar lag ordentlich zurückgekämmt auf meinem Kopf und auch meine Kleidung passte sich meiner Statue perfekt an. Ich nahm mittlerweile von mir selbst Maße, während mein Schneider einen Sicherheitsabstand von zwei bis drei Metern bevorzugte. Meine Finger zitterten leicht, doch auch das war bereits an der Tagesordnung. Ich wünschte man würde sich an den Schmerz gewöhnen, doch das war irrsinn. An Schmerzen konnte man sich nicht gewöhnen, man lernte nur mit ihnen zu leben.

»Ich verstehe, eure Majestät. Doch es ist zu gefährlich diese besagten Gaben außerhalb des Schlosses anzuwenden und hier drin, nützen sie uns nichts gegen die Rebellen.«
In jenem Moment wurde die große schwere Tür zum Thronsaal geöffnet und eine Frau betrat den Raum. Das außergewöhnliche an ihr war nicht ihr rotes Haar oder ihre grasgrünen Augen, es war der Fakt, dass sie ein Ritter war und Rüstung trug. Dazu war sie einer unserer besten Kämpfer. Sie beherrschte das Element Feuer, das war ihre Gabe. Sie war Mitte Zwanzig und ich hatte sie bereits öfter in den Gemächern meines Bruders erwischt, bevor er aufgebrochen war um gegen die Rebellen zu kämpfen. Würde sie nicht so daran festhalten ein Ritter zu bleiben, hätte er sich wahrscheinlich schon längst mit ihr vermählt. Doch sie wollte ihr Leben nicht aufgeben und sich plötzlich in enge Kleider zwängen. Zumindest sagte sie das stets.
»Lady Amira.« Mein Vater nickte ihr kurz zu, eine Geste des Respekts. Sie fiel vor uns auf die Knie und senkte für einen Moment den Blick, ehe sie sich wieder erhob.
»Majestäten.« Sie war einer der wenigen, die mich in ihre Begrüßungen miteinbezog.
»Wir haben den Anführer der Aufstände im Norden ausmachen können. Es handelt sich um einen jungen Mann, im ungefähren Alter eures Sohnes. Etwas älter vielleicht.« Sie hatten einen Rebellen ins Schloss gebracht? Warum? Normalerweise wurden sie noch vor Ort hingerichtet.
»Warum habt ihr ihn her gebracht? Wieso ist der Mann nicht schon zwei Meter unter der Erde?« Mein Vater stellte sich wohl die selbe Frage.
»Dieser Junge... Er besitzt außergewöhnliche Fähigkeiten. Mein Onkel und ich glauben, das er eurem Sohn helfen und ihm das Leben etwas erleichtern könnte. Seine Gabe... Sie ist so außergewöhnlich, so etwas habe ich noch nie gesehen, euer Majestät.« Einen Moment lang herrschte Stille in dem großen Saal. Nicht einmal die Vögel sangen. Ein Junge sollte also meine Chance auf Erlösung sein? Das klang fast zu einfach. Was hatte er schon für eine Gabe? Konnte er mich mit einer Berührung zum einschlafen bringen? Das wäre allerdings sehr nützlich. Doch ich hatte keine Ahnung, wie Mächtig er wirklich sein würde, noch nicht.

Mein Vater wollte diesen Jungen sehen, er wollte wissen, von welcher Gabe sie gesprochen hatte. So öffnete die Tür sich ein weiteres Mal. Mein Herz begann zu stolpern als ich jungen Mann erblickte. Seine hellen Augen erinnerten mich an den Ozean, den ich zuvor nur einmal sehen durfte. Doch es fühlte sich für einen Moment so an als wäre ich wieder dort. Sein weißes Haar fiel ihm etwas ins Gesicht und seine olivfarbene Haut schien so verdammt rein, schimmerte sogar eher etwas bräunlich. Er war so außergewöhnlich und wirklich schön. Sein äußeres könnte wahrscheinlich schon seine Gabe sein. Ich könnte schwören, das er überall die Blicke auf sich zog.
»Er ist in der Lage die Fähigkeiten anderer zu blockieren. Ob mit einer Berührung oder seinem Willen. Eine Berührung eures Sohnes wird ihn nicht verletzen. Im Gegenteil. Sie wird eurem Sohn den Schmerz nehmen, solange sie sich berühren.«
Was sollte das werden? Der Junge würde doch nicht mein Babysitter oder Sklave werden, der von nun an jede Sekunde meine Hand hielt? Das sollte wohl ein Witz sein. Davon abgesehen, dass ich ihr nicht glaube. Nie zuvor hatte man eine Gabe wie jene zu Gesicht bekommen. Doch was für einen Grund hätte sie zu lügen? Er machte mich neugierig, dagegen konnte ich nichts tun.
Mein Vater hatte noch immer kein Wort gesagt, sah mich stattdessen an. Als er leicht nickte rutschte mir das Herz in die Hose. Ich wusste was diese Geste sollte. Er wollte, dass ich diesen Mann berührte. Er wollte eine Kostprobe, einen Beweis dafür, dass sie nicht gelogen hatte. Meine Knie schienen weicher als sonst, als ich mich langsam erhob und mich dem jungen Weißhaarigen näherte. Er war fast einen Kopf größer als ich und sein süßlicher Geruch drohte mir für einen Moment die Sinne zu vernebeln. Er hatte etwas von Moos und Vanille. Eine ausgesprochen schöne Kombination, wenn sie sich auch seltsam anhörte. Als ich ihm noch etwas näher kam, fielen mir die kleinen Sprenkel in seinen Augen auf. Er hatte nichts gesagt, er sah mich die ganze Zeit nur an. Irgendwas in mir wehrte sich dagegen ihn zu berühren, nicht weil ich nicht wollte, wahrscheinlich wollte ich noch nie etwas so sehr. Doch ich glaubte ihr nicht. Ich rechnete damit, das er schreien würde, sobald ich ihn berührte, wie sie es alle Taten. Die schwarzen Adern auf meinen Armen pulsierten und dann... Geschah nichts. Meine Hand hatte ich an seine Schulter gelegt und sah ihm weiter in die Augen. Die Adern auf meinen Armen verschwanden und auch der Schmerz, der mich die letzten Monate begleitet hatte, war vollkommen verschwunden. Es war also wahr. Dieser Rebell, dieser Feind meiner Familie war das einzige Heilmittel, das es für mich geben sollte... Ruckartig zog ich meine Hand zurück und im selben Augenblick war der Schmerz zurück. Dieses Mal riss er mich weit fort von jeglichem Bewusstsein und ich verlor mich in der tiefen Dunkelheit.

Ashes •a broken King• BoyxBoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt