Kapitel 2

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We'll make it out alive

Jeder Schlag, jedes Zucken in meinem Körper erinnerte mich daran, das eigentlich mir diese Schläge zustanden. Zacharias hatte mich gerettet, damit diejenigen verraten, die sich "das freie Volk" schimpften. Ich werde niemals verstehen, warum mein Vater ihn dafür bestrafte. Die Begründung, dass er nicht mehr als ein Verräter war und dafür bezahlen musste, war für mich nur eine dumme Ausrede um seine Macht demonstrieren zu können. Ich war mir sicher, dass wenn der Weißhaarige diese besondere Gabe nicht besitzen würde, ich derjenige gewesen wäre, der ihn hätte strafen müssen. Mir fiel es immer schwer, die Urteile meines Vaters zu vollziehen, aber bei Zach? Selbst der Hass wog nicht so schwer, wie mein Sinn für Gerechtigkeit und Zacharias hatte das nicht verdient. Zumindest nicht aus diesen Gründen, die mein Vater nannte.
Mein Vater war hier derjenige der schwach war. Er war nicht fähig die Dinge Diplomatisch und Fair zu regeln. Angst und Schmerz war der einzige Weg, der seiner Meinung nach wirklich Früchte trug. Für mich war dieser Weg der einzige, bei dem man den Verstand nicht einsetzen musste und damit der leichtere, aber nicht der einzige Weg. Doch wie mein Mentor immer zu sagen pflegte, dumme Menschen konnte man nicht belehren.
Ich musste nicht erwähnen, dass dieser Mentor vor den Schlossmauern hing und mittlerweile zur Hälfte von den Raben verzehrt wurde. Er hatte es damals gewagt lediglich eine dumme Andeutung in den Raum zu werfen, da hatte man ihn vor den Toren gehängt und den Tieren überlassen.
Seither mied ich diesen Weg ins Schloss. Es stank nach Tod und Verwesung und jenachdem wie der Wind stand, wurde dieser Gestank sogar bis an mein Fenster getragen.
Ob er mit Zacharias irgendwann dasselbe machen würde? Er besaß eindeutig eine lose Zunge und einen unbeugsamen Willen. Dieser Wille hatte ihn soeben noch vier weitere Schläge eingebracht. Mein Vater würde erst erbarmen zeigen, wenn er Blut oder Schmerz in den Augen seiner Opfer sah. Doch Zacharias Miene war wie eingefroren. Erst als das schwarze Leder Peitsche leicht im Kerzenlicht glitzerte, nickte mein Vater ab und der Soldat entfernte sich von Zacharias.
Ich zuckte bereits, wollte ihm aufhelfen, doch er stand von ganz alleine auf und entledigte sich der Stofffetzen. Dieser Mann hatte mehr gesehen als den Tod und mehr Schmerz durchleben müssen, als ich mir vorstellen konnte. Das wurde mir bewusst, als er mich ein weiteres Mal mit seinen ocean blauen Augen streifte, nur um sich dann zu verneigen und mit einem knappen, »Eure Hoheiten«, den Saal zu verlassen. Mein Herz blieb bei dem Anblick seines geschundenen Rückens einen Moment lang stehen. Ich verdrängte anderweitige Gedanken in die falsche Richtung, auch wenn sein Körper wirklich schön war. Jeder Mann träumte davon so auszusehen wie er. Doch Niemand wollte die Bürde tragen, die ein solcher Körper forderte.

Mit einem Klopfen riss es mich zurück in die Realität. Nach dem Vorfall im Thronsaal, hatte ich die Bibliothek aufgesucht und versuchte trotz des Schmerzes, der mit Zacharias verschwinden wieder mehr Kontrolle über mich hatte, ein wenig zu lesen. Das war leichter als gesagt. Meine Konzentration war nicht mehr die, die sie einst war. Der Schmerz hatte ungeahnte Blockaden in meinem Kopf hochgezogen, Blockaden die mich bedrängten als wären sie ein Gefängnis, mein persönliches Gefängnis.
»Ich wollte euch nicht stören, eure Majestät. Man sagte mir, ihr würdet die Gesellschaft guter Literatur vorziehen, also habe ich mich, widerstrebend eurer Interessen, auf den Weg gemacht um nach euch zu sehen.« Mein Kopf war bereits nach seinen ersten Worten in seine Richtung geschnellt. Er hatte sich lediglich umgezogen und sein Haar gerichtet. Nun ließ nichts mehr erahnen, was für eine Bürde er so eben noch getragen hatte. Meinetwegen.
»Zacharias... « Ich brauchte einen Moment um die Bilder wegzublinzeln, die sich wieder vor mein inneres Auge geschoben hatten. Das war es also, das ich nun immer sehen sollte, wenn ich seine Stimme hörte oder seine blauen Augen meinen Blick streiften?
»Die Geschichten des alten Reiches? Ich wusste nicht, das ihr euch für den toten König interessiert.«
Er näherte sich mir, seine Hände hatte er auf seinem Rücken miteinander verschränkt und jetzt stieg er mir wieder in die Nase. Der vertraute Geruch von Lavendel und Vanille, mit dem kleinen Schuss rauchiger Flammen. So als hätte er neben einer Kerze gesessen, als man sie ausbließ und der Rauch seine reine Haut geküsst, bevor er verschwand. Noch nie stieg mir so etwas liebliches in die Nase. Er war nicht nur gefährlich, er roch auch so.
»Nun, ich bin einfach der Meinung, dass kein Teil der Geschichte in Vergessenheit geraten sollte. Auch nicht die Teile, die man am liebsten vergessen oder ausradieren würde.« Ich ließ bewusst offen, von welchen Teilen ich sprach. Meiner Meinung nach war der alte König nicht gut für Arvendale, der neue war es allerdings genauso wenig. Die beiden Männer hatten eine Gemeinsamkeit, sie besaßen beide keinen Sinn für Diplomatie oder den nötigen Verstand um ein Reich so zu führen, dass es dem Volke gut ging.
Mein Vater verstand einfach nicht, das er ohne das Volk nichts war. Es stand und fiel alles mit den Bürgern unseres Reiches.
Sein Arm streifte meine Schulter als er sich neben mir auf den dunklen Stuhl sinken ließ. Und für den Bruchteil eines Augenblicks war der Schmerz wieder verflogen. Die Verlockung ihn zu berühren, um den Krieg in meinen inneren endlich wieder zum Schweigen zu bringen, war so verdammt groß. Doch gab ich ihr nicht nach.
»Nun, jeder Teil einer Geschichte, ob gut oder schlecht, trägt etwas dazu bei, das die Geschichte so endet, wie sie nun einmal endet. Auch wenn das Ende wohl für immer ungeschrieben bleiben wird.« Was genau meinte er damit? Nach uns würde es Menschen geben, die über die Zeit schreiben würden, die wir durchlebten und nach ihnen würden andere folgen. So war es doch schon immer. Oder täuschte ich mich?
»Was ist eure Geschichte, Ashton?«  Mit einer solchen Frage hatte ich nicht gerechnet, das sah er mir auch an.
»Nun ich bin der Kronprinz von Arvendale und meines Vaters Sohn.« Er schüttelte den Kopf und ich wusste, das es nicht das war, was er wissen wollte. Immerhin wusste jeder wer ich war und vorallem, was ich war.
»Ich hatte nicht nach der Geschichte des Prinzen gefragt, sondern nach eurer.« Ich war intelligent genug, um zu wissen, das es nicht dasselbe war. Er schien zu spüren, dass ich mich nicht als Prinz beschreiben würde, sondern das diese Position eher eine Rolle war, die ich einnahm, wenn es nötig war.
»Ich bin nicht... Ich bin einfach nur Ashton. Nicht mehr und nicht weniger. Was ist mit euch? Ihr habt für das freie Volk gekämpft?« Er war nicht dumm, er wusste, das ich ihm auswich und ich sah ihm an, dass es ihm missfiel. Was hatte er gedacht? Das ich ihm mein Leben offen legte, weil er mir dieses gerettet hatte? Denn Fakt war, da draußen wäre nicht nur der Prinz gestorben.
»Habe ich und das freie Volk für mich.« Kommentierte er sein Seufzen, das vorher geschoben hatte.
Er lehnte sich mehr in dem edlen Holzstuhl zurück und bedachte mich ein weiteres Mal mit einem kühlen Blick. Er war so streng, geheimnisvoll und gleichzeitig kämpfte er mit seiner ungebändigten Neugier. Kein Wunder, dass er so viel wusste und so belehrt war. Er wollte sich auch Wissen zu eigen machen. Meine Mutter sagte einst, das Wissen Macht war. Ich stimmte dem zu, damit allerdings auch, das dieser Mann neben mir wohl mächtiger war als die meisten die ich kannte. Ja, sogar mächtiger als mein Vater und ich zusammen. Dieser Gedanke sollte mir Angst machen oder ich sollte mich womöglich dumm neben ihm fühlen, das tat ich aber nicht. Im Gegenteil. Er nahm mich Ernst und irgendwo schenkte mir das Selbstvertrauen, das ich zuvor nie verspürt hatte.
»Warum habt ihr es für mich verraten?« Ich bereute diese Frage bereits, nachdem ich sie ausgesprochen hatte. Er wich meinem Blick aus. Das schöne Blau seiner Augen versank im Anblick der weiten Landschaft, die er durch das große Fenster gut überblicken konnte. Der große Tisch an dem wir saßen, stand direkt an jenem, denn auch ich genoss diesen friedlichen Anblick beizu.
Jetzt grade wäre es mir allerdings lieber, wenn er mich ansehen würde und ich damit einschätzen könnte, ob ich laufen sollte oder wieder Luft holen durfte, denn diese hatte ich tatsächlich angehalten.
»Ihr habt euren Vater gehört, ich bin euer ergebener Diener. Euch nicht zu retten und damit mein Volk nicht zu verraten, wäre Verrat an die Krone und damit eurem Vater und euch.« Wollte er mir wirklich weiß machen, das er eine Rolle ablegen konnte und ohne Narben in die nächste schlüpfte? Vom Rebellen zum Diener des Feindes? Niemals. Dafür war er schon jetzt ein zu entschlossener Mensch. Ich sah diese ungreifbare Entschlossenheit jedes Mal in seinen Augen, wenn er mich ansah. Ich hatte sie vorhin gesehen, als er nicht einmal blinzelte, während man ihn folterte. Mir lief erneut ein kalter Schauer über den Rücken. Er schien es zu bemerken und es für die Schmerzen zu halten, denen ich tagtäglich ausgesetzt war, denn plötzlich ruhte seine Hand auf der meinen. Meine Hand ruhte noch immer auf den dicken Seiten des alt eingebundenen Buches. Sein Einband war Rot und alles säuberlich verarbeitet, ja schon beinahe mit Liebe. Darüber konnte ich mir in jenem Moment keine Gedanken machen.
»Wagt es nicht, euch mir wieder zu entziehen. Euch auf diese Weise zu dienen ist meine Aufgabe und der einzige Grund, warum ich noch lebe. Also, wenn ihr mein Leben nicht auf dem Gewissen haben wollt, wäre ich euch sehr verbunden, wenn ihr euren Stolz einmal überwinden würdet.« Er hatte mich mit wenigen Worten in Bedrängnis gebracht, beleidigt und irgendwo auch erpresst, aber das mit so viel Stil, das es mir die Sprache verschlug und ich meine Hand der seinen nicht entzog.
Zacharias hatte Recht. Ich wollte nicht für seinen Tod verantwortlich sein, den Schuh zog ich mir nicht an. Ich war nicht wie er, denn ich ertrug das Blut an meinen Händen nicht. Und das wusste er. Er spielte diese Karte nicht umsonst aus. Es schien so, als würde er sich um seinen Hals sorgen, doch eigentlich war dieser Gedanke meinerseits Schwachsinn. Dieser Mann fürchtete den Tod nicht, er fürchtete nicht einmal seinen Schöpfer. Allerdings wusste ich mir diese Beharrlichkeit nicht anders zu erklären. Er tat das wohl kaum, um der Diener des Jahrhunderts zu werden.

Ashes •a broken King• BoyxBoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt