Kapitel 2

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Zuerst dachte ich es wären Tage, doch aus diesen Tagen wurden Wochen und aus diesen Wochen Monate und letztendlich wurden Jahre daraus. Mittlerweile sind schon mehr als fünf Jahre vergangen seit Enzo mit seiner Familie weggezogen ist. Vielleicht sind es auch schon sechs Jahre in denen er weg ist. Seither habe ich ihn weder gesehen noch etwas von ihm gehört, so als gäbe es ihn nur noch in meiner Erinnerung. Anfangs habe ich jeden Tag um ihn geweint und getrauert. Besonders an meinem Geburtstag, denn ich mag mich noch erinnern, dass wir diesen gemeinsam verbringen wollten. Er meldete sich nicht einmal, um mir zu gratulieren. So wie die darauffolgenden Jahre auch nicht. Von ihm kam absolut gar nichts mehr. Kein Anruf, keine Nachricht noch sonst etwas. Enzo sollte jetzt frisch volljährig sein, was mir nur noch mehr verdeutlicht, wie schnell die Zeit vergeht. Dies erinnert mich daran, dass er nun unabhängig ist und tun und lassen kann, was auch immer er will. Etwas, was mir verwehrt bleibt. Vermutlich ist er nun kein simpler Made Man mehr, sondern ist in seiner Position aufgestiegen. Vielleicht ist er nun ein Unterboss wie Stefano und hat seine eigenen Leute unter sich, die er führt. Je älter ich werde, desto mehr verstehe ich die ganzen Ränge und Titel, die es in der Organisation gibt. Auch wenn mich Mutter immer ermahnt, ich solle mich damit nicht beschäftigen, tue ich es trotzdem, denn wenn ich mich damit auskenne, kann ich vielleicht einen Beitrag zur Hilfe leisten. So habe ich letztlich auch verstanden, dass Onkel Angelo zum Capo in Los Angeles wurde, während mein Vater der Capo von Kansas City ist.

Als ich mein erstes Handy bekam, fand ich etwas mehr Anschluss zur Gesellschaft und setzte mich mit dieser Thematik auseinander. Ich las unzählige Beiträge und lernte so einiges über die Machenschaften der Mafia. Wie sehr diese ganzen Beiträge der Wahrheit entsprechen, weiß ich nicht, aber ein kleines Fünkchen Wahrheit wird bestimmt dahinterstecken.

Irgendwann stolperte ich bei meinen Recherchen auch über Enzos Namen und ab diesem Moment waren die Jahre, in denen ich lernte loszulassen, alle wieder zunichte gemacht. Ich erinnere mich, dass ich vor Neugier hätte platzen können und ich dem Drang, etwas über ihn zu erfahren, nachgab. Dabei las ich Dinge über ihn, die ich am liebsten nie gesehen hätte. Ich schwor mir damals nie wieder etwas über ihn zu lesen. Es fühlte sich für eine Weile an wie ein kalter Entzug, doch ich blieb eisern und zog es durch. 

Sein Körper war schon damals mit unzähligen Tattoos übersät, was ihn so erwachsen wirken ließ. Ich sah Paparazzi-Bilder von ihm, wie er diverse Clubs verließ und dabei fiel mir auf, wie sehr er sich veränderte. Er ähnelte dem Enzo, den ich kannte, gar nicht mehr und konnte ihm nicht fremder sein. Den Enzo, den ich kannte, gibt es allem Anschein nach schon lange nicht mehr.

Ich klappe meinen Laptop zu, als ich mit meiner Hausarbeit endlich fertig bin. Wie auf ein Stichwort grummelt mein Magen, weshalb ich mich dazu entschließe einen kurzen Abstecher in die Küche zu machen. Diego, mein Aufpasser, steht an Ort und Stelle vor meiner Tür und sorgt dafür, dass keiner unbefugt mein Zimmer betritt. Diegos Anwesenheit vor meiner Tür ist zu entnehmen, dass Vater außer Haus ist. Sobald er das Haus verlässt, verstärkt er die Sicherheitsmaßnahmen, damit uns nichts geschieht. Meiner Meinung nach ist dies total übertrieben, aber da ich sowieso nichts zu melden habe, mische ich mich ganz sicher nicht ein. Manchmal bleibt auch Enrico, der andere Babysitter, bei mir. Er und Diego wechseln sich da immer wieder ab. Mittlerweile habe ich mich auch daran gewöhnt, dass ich manchmal einen Schatten bei mir habe, der mich auf Schritt und Tritt verfolgt.

Es kann gut sein, dass Vater gerade in Los Angeles ist bei den de Lucas. Eine winzige Sekunde erlaube ich es mir an ihn zu denken, bevor ich ihn wieder aus meinem Kopf verbanne und so tue, als wäre er nie ein Teil meines Lebens gewesen. Es ist einfacher für mich die Situation so zu handhaben als die Gefühle zuzulassen. Denn diese Gefühle drohen mich wieder zu zerstören.

The Mafia Oath - Die Lügen der LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt