Kapitel 1

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Wie eine kleine Maus verstecke ich mich hinter dem Vorhang in der Hoffnung einen sicheren Platz gefunden zu haben. «Ich finde dich, Aleia», erklingt Enzos Stimme, die mich förmlich erzittern lässt. Er ist nahe, das höre ich an seiner Stimme, doch ich kann nicht einschätzen wie nahe genau. Ich versuche mich so flach und klein wie möglich zu machen, dass er mich nicht entdeckt, denn wenn er mich findet, ist es vorbei. Ich schließe meine Augen und atme kaum hörbar. Mein Herz hämmert so wild in meiner Brust, dass ich Angst habe, er könnte es hören.

Es ist still um mich herum, was mich hoffen lässt, dass er jetzt doch woanders nach mir sucht. Vielleicht habe ich eine Chance zu gewinnen.

«Hab ich dich», erklingt seine Stimme und ich schreie erschrocken auf, als der Vorhang zur Seite geschoben wird und Enzo dahinter zum Vorschein kommt. Er grinst mich mit einem breiten Lächeln an und lacht laut auf.

«Oh man, wie findest du mich bloß immer so schnell?» Sein Lachen wird noch lauter und wortlos nimmt er mich bei der Hand und zieht mich hinter sich her. «Na, du musst dir echt bessere Verstecke ausdenken. So macht es mir auch keinen Spaß.» Ich werde von ihm hinterher gezogen und so rennen wir durch den breiten Gang des Hauses meiner Eltern. «Ich denke ich weiß, wo sich Francesca versteckt.» Mit dem Zeigefinger vor seinen Lippen deutet er mir ruhig zu sein und auf Zehenspitzen schleichen wir leise weiter. Wir biegen um die nächste Ecke ab und dort liegt eine große Kiste auf dem Boden, die etwas verschoben ist. Ich schaue Enzo erwartungsvoll an und mit dem Kopf nickt er in die Richtung, wo die Kiste steht. Vorsichtig nähert er sich ihr und reißt sie mit einem lauten Gebrüll auf. Cesca kreischt laut auf und schaut fassungslos zu Enzo, als sie dann doch in schallendes Gelächter ausbricht. «Enzo, du Blödmann! Ich habe mich fast zu Tode erschrocken», schimpft sie und fasst sich theatralisch ans Herz. «Komm, ich helfe dir raus.» Er hält meiner Schwester die Hand hin und hilft ihr raus. «Ich will nicht mehr Verstecken spielen. Enzo findet uns immer so schnell», meint meine Schwester und da gebe ich ihr absolut recht. «Ich bin eben unschlagbar. Aber tatsächlich habe ich eine andere Idee, was wir spielen könnten.» Damit weckt er meine Neugier. «Was denn?», frage ich und merke, wie er sich mir langsam nähert. Mit seinem Finger tippt er mir auf die Schulter und ruft laut: «Du bist!»

Wie der Blitz verschwindet er und ich fange an ihm hinterher zu rennen. Ich laufe zurück um die Ecke, von der wir gekommen sind und erkenne noch gerade, wie er die Treppe hinunterrennt. «Bleib stehen, Enzo.» Ich laufe ihm so schnell ich kann hinterher und gebe Acht, dass ich nicht stolpere und umfalle. Gehetzt komme ich am Ende der Treppe an und entdecke ihn genau vor mir. Voller Euphorie steuere ich auf ihn zu. Jetzt krieg ich ihn! Als ich meinen dunkelhaarigen, besten Freund endlich einhole, erkenne ich, wieso er stehen blieb. Es ist nicht meinetwegen, so wie ich das jetzt deutlich erkenne. Er schaut den Gang runter zur letzten Tür, welche zum Büro meines Vaters führt – eine absolute Tabuzone für mich. Gänsehaut zieht sich über meinen gesamten Körper und ich zwinge mich dazu nicht lauthals loszukreischen. Meine Hand fasst nach Enzos und ich drücke fest zu. Das Blut in meinen Adern gefriert, als ich den Anblick der Szene, die sich vor mir abspielt, mitansehe.

Die Tür zu Vaters Büro steht weit offen, was mir den Blick auf einen Mann ermöglicht, der gefesselt und geknebelt auf einem Stuhl sitzt. Überall um ihn herum ist Blut und er lässt den Kopf leblos nach hinten hängen. Bestimmt haben Papas Leute ihm das angetan. Kurz frage ich mich, was wohl dieser arme Mann getan hat, um hier zu landen. Er tut mir so unfassbar leid, dass ich gerne auf ihn zugehen würde, um ihm zu helfen. Man sieht es zwar kaum, aber er atmet noch. Vielleicht kann ich ihm wirklich helfen. Unsicher schaue ich zu Enzo, kann seinen Blick aber nicht einordnen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich so etwas sehe. Ich weiß, dass meine Familie zur Mafia gehört. Es wurde mir schon mehr als tausendmal gesagt und eingetrichtert. Mama will nicht, dass ich meine Nase zu weit in diese Angelegenheit stecke. Sie sagt immer, dass wir Ladies uns da raushalten müssen und das Einzige, was ich nicht vergessen darf, ist, dass wir von den Männern beschützt werden – immer.

The Mafia Oath - Die Lügen der LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt