IV. Pflaumen und Quellen

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„Anea, Mexi, aufwachen!", höre ich eine raue Stimme sagen. Es ist die von Daniel, welcher aufgeregt durch das Zimmer hopst.
„Wie viel Uhr ist es?", fragt Mexi und reibt sich die Augen. „7:15 Uhr.", antwortet Daniel und verschließt dabei seine große Adidastasche.
Es ist Zeit aufzustehen, schließlich fährt unser Bus um 8 Uhr ab. Ich klettere die Leiter des Doppelstockbetts hinunter und spüre an meinen Füßen den kalten Boden unseres Zimmers. Daniel steht am Fenster und zieht die Vorhänge auf.

„Das kann nicht wahrsein.", sage ich während ich hinaus blicke und stelle mich neben Daniel. „Was kann nicht wahrsein?", fragt Mexi, welcher anschließend laut gähnt und sich streckt. Draußen ist es grau, ein düsterer Nebel legt sich über das Gelände, die Straßen sind von Wasser durchflutet. Und wie sollte es auch anders sein; es regnet nach wie vor.
Nun stehen wir drei am Fenster und für einen kurzen Moment sind alle sprachlos.
„Fuck...", flüstert Mexi. „Ich glaube, das wird heute nichts mehr.", sage ich leise. „Verdammt!", schimpft Daniel und stößt einen der Stühle zur Seite. „Ich dachte, ich seh' heute noch meine Familie!"
Ich beobachte, wie Mexi verschlafen unser Zimmer mustert. „Wo ist Maya?", fragt er mit einer rauen Morgenstimme. „Sie ist schon im Foyer.", antwortet Daniel und setzt sich auf seine Matratze. Wut und Trauer zeichnen sein Gesicht.
Ich gehe mir die Zähne putzen und ziehe mich anschließend im Badezimmer um. Meine braunen Haare knote ich zu einem lockeren Dutt zusammen, danach creme ich mir mein Gesicht ein, trage Deodorant auf, ziehe mir eine lockere Jeans und einen dunkelblauen Pulli an sowie kleine, bronzefarbenen Creolen, welche laut Verkäuferin perfekt zu Augen passen würden. Während ich mich fertig mache, denke ich an gestern Nacht: Wir haben noch sehr lange in dem Aufenthaltsraum gesessen und uns über die verschiedensten Dinge unterhalten. Mexi und ich ließen uns mit der Offenheit von Daniel und Maya anstecken, unsere Schüchternheit schonen wie erloschen und wir alle haben die Zeit zusammen geliebt. Nun hat ein Blick aus dem Fenster die gute Stimmung ruiniert.
Nach 10 Minuten trete ich aus dem Badezimmer, woraufhin mich Mexi direkt ablöst. Ich lächele ihn an, jedoch wirft er mir keinen Blick zu, sondern läuft direkt an mir vorbei. 

„Guten Morgen, Anea.", sagt Maya als sie das Zimmer betritt. „Und? Wie sieht's aus?", fragt Daniel betrübt. Sie schüttelt enttäuscht mit dem Kopf. Tatsächlich. Wir werden heute erneut keinen Fuß mehr in den Bus setzen können.
„So eine scheiße.", erwidert Daniel und wirft sein Kissen auf den Boden.
„Daniel, ich.." - „Lass gut sein Anea. Wir stecken hier fest.", sagt er und lehnt sich weg von meiner Hand, welche ich in diesem Moment tröstend auf seine Schulter legen wollte. Auch Maya schaut zu Boden, jedoch scheint sie scharf zu überlegen, statt sich primär über die Situation zu ärgern. Ich setze mich auf einen der Stühle und schaue erneut aus dem Fenster. Die dunkeln Wolken legen sich wie eine Decke auf den Himmel, es scheint kaum eine helle Stelle durchzublitzen, welche uns Hoffnung schenken könnte.
Als auch Mexi aus dem Badezimmer kommt, verkündigt ihm Maya ebenfalls die schlechte Nachricht. Er habe es sich bereits denken können. „Ich geh' mal telefonieren.", sagt er und verlässt das Zimmer. Auch Daniel geht hinaus, wahrscheinlich um dasselbe zu tun. Maya setzt sich auf ihr Bett und schaut auf ihr Handy. „Die Betreuerin für meine Masterarbeit hat mir eine Mail geschickt, sie möchte mich übermorgen für eine letzte Konsultation sehen. Wenn ich hier festsitze, schaff' ich es nicht nochmal in die Bibliothek.". Maya begibt sich in eine nachdenklichen Pose. „Wieso musste ich diesen letzten Teil der Recherche nur so aufschieben?", seufzt sie und vergräbt ihr Gesicht in ihren Händen. Die positive Maya von gestern scheint verschwunden zu sein, man kann es ihr jedoch nicht verübeln. Studieren kann furchtbar stressig sein, vor allem wenn man sich auf der Zielgeraden befindet. Wenig später schaut sie zu mir und lächelt mich an. „Wie hast du eigentlich geschlafen?", fragt sie mich. Heute trägt sie ihre Haare anders. Ob sie sie noch heute früh gewaschen hat?

„Ganz okay, schätze ich.Wie lange haben wir geschlafen?", frage ich Maya. „Ich konnte nicht schlafen.", antwortet sie. „Aber ihr habt glaube ich nur drei oder vier Stunden Schlaf abbekommen.", antwortet sie während sie zu mir an den Tisch kommt und mir einen Automatenkaffee zuschiebt. Er schmeckt scheußlich, aber ich schätze sie sehr dafür, dass sie an mich gedacht hat.
In dem Moment, in dem ich sie fragen wollte, weshalb sie nicht schlafen konnte, platzt Daniel in das Zimmer: „Es ist verrückt. Es fahren kaum Taxis, Busse oder Züge. Wir stecken wirklich fest.", sagt er aufgebracht. „Wie ist das überhaupt möglich? Gestern hieß es noch, es käme nur ein Unwetter und kein fucking Orkan?", schimpft er weiter. „Es hätte eine zeitigere Ankündigung geben sollen." -
„Defintiv.", erwidere ich.

Silver Warmth ~ MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt