Kapitel 3

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Irgendwie verging die Zeit jetzt wie im Fluge, nachdem Chris und ich das kurze, aber nette Gespräch hatten. Schade eigentlich. Jetzt wo man das Gespräch gesucht hatte, würde das alles bald vergessen sein. Er würde irgendwo in New York verschwinden und ich würde zu der Schwester meiner besten Freundin gehen. Ein bisschen machte mich dieser Gedanke schon traurig, vor allem nachdem ich jetzt feststellen konnte, dass Chris ein wirklich toller Kerl war. Aber vielleicht konnte man auf irgendeine Art und Weise in Kontakt bleiben? Überlegte ich. Nein, du wirst nicht fragen, sondern er, sagte ich zu mir. Entweder würde er fragen, ob wir in Kontakt bleiben können oder nicht. Wenn er nicht fragen tut, dann habe ich eben Pech. Auch andere Mütter haben schöne Söhne, würde meine Mutter jetzt sagen. Ich schmunzelte. Wie recht sie doch hätte.
Langsam spürte ich, dass es meinen Beinen gut tun würde, wenn ich mich etwas bewegen würde. Ich nahm meine Decke zur Seite und stand auf. „Darf ich mal bitte durch?", fragte ich Chris mit einem freundlich Ton. „Klar", sofort drehte er seine Beine nach rechts zum Gang, sodass ich an ihm vorbei kam. Unsere Beine berührten sich sanft und mich durchfuhr ein Kribbeln. Es fühlte sich fast wie Schmetterlinge im Bauch an. Halleluja, selbst nach unserem lockeren Gespräch brachte er mich immer noch total aus der Fassung. Am liebsten würde ich jetzt einen schönen Spaziergang durch das Nikolaiviertel bei uns in Berlin machen. Es hat sich zwar mit der Zeit sehr vieles verändert, aber die kleinen verwinkelten Gassen lassen einen manchmal vergessen, dass man in einer Großstadt wohnt. Es gibt schon schöne Ecken in unserer Hauptstadt, aber nicht alle sind so schön. Aber das ist ja bekanntlicherweise in jeder Stadt so. Oft zog es mich auch in unser ägyptisches Museum. Eines der Museen das ich am häufigsten besuchte. Die Geschichte der Pharaonen begeisterte mich immer wieder aufs Neue. Irgendwann werd ich mal nach Kairo reisen und mir die Pyramiden von Gizeh anschauen. Das stand für mich schon seit Jahren fest.
Nachdem ich den Gang mehrmals auf und ab gegangen war, ging ich wieder zu meinem Platz zurück. Verdutzt stellte ich fest, dass Chris nicht auf seinen Platz saß. Ich schaute mich ein, zweimal um. Als ich ihn sah musste ich feststellen, dass er bei einem jungen, wirklich sehr hübschen Mädchen saß. Obwohl ich ihn grad mal seit ein paar Stunden kannte, wobei man das Wort „kannte" nicht mal verwenden konnte, wurde mir irgendwie flau im Magen. Sie war wirklich sehr hübsch. Ich beneidete sie richtig. Trotzdem sie dort saß, wirkte sie äußerst zierlich. Ihr schönes Haar hatte sie zu einem kräftigen Dutt gedreht, welcher ihr zartes Gesicht noch mehr zur Geltung brachte. Mich würde es nicht wundern, wenn sie eine hervorragende Balletttänzerin an irgendeiner Staatsoper wäre. Ich stellte sie mir schon als Hauptdarstellerin in dem Stück „Schwanensee" vor. Sie würde ein weißes Kleid tragen und dazu passende weiße Spitzschuhe.
Mit gesenktem Blick setzte ich mich auf meinen Platz, legte mir die Decke wieder über die Beine und schloss ein wenig meine Augen. Die ich allerdings nach ein paar Minuten wieder öffnete, weil sich Chris mit einem Schwung auf seinen Sitz fallen ließ. Himmel, Herr Gott hatte ich mich erschrocken. „Tschuldige", kam es sofort über seine vollen Lippen, als er bemerkte, dass ich zusammen gezuckt war. „Schon gut. Ist ja nichts passiert", erwiderte ich mit einem gezwungenem Lächeln. Meine Gedanken schweiften ab und ich schaute verträumt aus dem Fenster. Draußen zogen die Wolken unter uns hinweg. Die Triebwerke erfüllten ihre Arbeit wie sie es sollten und tief unten war der Atlantik zu sehen. Es war ein traumhaft schöner Anblick. Er strahlte in einem tiefen Blau und überall sah man vereinzelte, verschieden große Eisberge. Bei dem Anblick der Eisberge hätte man sich niemals vorstellen können, dass sie unter der Wasseroberfläche noch viel größer sein und tiefer gehen könnten. Die Titanic war dafür der beste Beweis.

Am 14. April 1912 kollidierte die Titanic mit einem Eisberg. Obwohl es damals hieß, dass sie unsinkbar ist wurde dies widerlegt. Der Schaden war viel zu groß gewesen, um die Titanic weiter über Wasser zu halten. Über die Hälfte der Passagiere verlor damals ihr Leben. Es war einer der schlimmsten Katastrophen in der Geschichte der Schiffsfahrten. Noch heute berührt dieses Erlebnis tausende von Menschen. Auch mich berührte es immer wieder aufs neue. Und das obwohl ich in keinerlei Hinsicht etwas damit zu tun hatte. Nicht mal meine Familie betraf das. Aber dennoch machte es mich traurig. So viele Menschen mussten sterben und das nur, weil sie dritte Klasse reisten. Das war unglaublich. Bis heute kann ich nicht verstehen, weshalb das Leben von reichen Leuten wertvoller ist, als das eines Nicht-Reichen. Jeder hat es verdient gerettet zu werden. Egal ob arm oder reich, männlich oder weiblich, schwarz oder weiß, ob er Economy reist oder First Class, das spielt alles keine Rolle. Denn kein Geld der Welt kann am Ende uns am leben halten.

Berühre mich (Die Geschichte einer Frau Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt