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Irgendwann geht Paul und ich lege mich hin. In den letzten Stunden waren meine Gedanken an die tote Frau wie weggeblasen. Doch jetzt kommen sie wieder. Wenn ich allein bin und Zeit zum Nachdenken habe. Ich liege mit Pauli da und denke nach. Am Abend bekomme ich von Paul noch eine Nachricht, dass ich morgen mit Nina zur Arbeit kommen soll. Joa, warum nicht? Ich habe sowieso nichts anderes vor in meinen Ferien. Und da er jetzt sozusagen mein Freund ist, möchte ich ihn öfter sehen.

Also stehe ich am nächsten morgen früh auf und quetsche mich zu Nina ins Auto. Sie schaut mich etwas verwundert an, hat jedoch nichts gegen meine Gesellschaft einzuwenden. Vor der Dienststelle wartet Paul bereits auf mich. Wir beobachten Nina, wie sie verschwindet und erst dann küsst er mich lange. „Guten Morgen, Renner. Nächstes Mal etwas unauffälliger", begrüßt uns Frau Krüger. Ich muss grinsen und er beißt sich auf die Unterlippe. „Gehen wir rein", meint Paul und führt mich zu seinem Büro. Dort sitzt auch Semir. „Was macht sie denn hier? Hat sie die nächste Leiche gefunden?", fragt er. „Rena ist meine Freundin", erklärt Paul meine Anwesenheit. „Ach, Freundin?", fragt Semir. „Ja", antworte ich. „Setz dich doch", meint mein Freund und ich setze mich auf den Stuhl seitlich der beiden Tische. „Hier, wir haben neue Hinweise", meint der Partner meines Freundes und reicht ihm eine Mappe. Diese öffnet Paul und seine Augen weiten sich. „Rena. Heißt dein Vater zufällig David?", fragt er. „Ja, wieso?", frage ich. „Weil er wohl etwas mit der toten Emilia zu tun hat. Seine DNA wurde dort gefunden und er ist kein unbeschriebenes Blatt. Unzählige Körperverletzungen, Raubüberfall und Verdacht auf sexuelle Belästigung in mehreren Fällen", liest Paul vor und dabei wird mir ganz schlecht. „Das wusste ich nicht. Aber macht Sinn, als er so lange weg war vor einigen Jahren. Angeblich auf Geschäftsreise im Ausland. Dürften gute zwei Jahre gewesen sein", seufze ich. Das wird immer schlimmer. Erst sein Kumpel, der mich vergewaltigt und jetzt mein Vater. Der einen Menschen getötet hat.

„Alles okay? Du bist ganz blass", meint Semir. „Sie macht momentan sehr viel durch. Da wärst du auch nicht ganz auf dem Damm", meint Paul verteidigend und stricht mir über die Schulter. „Schon gut ...", murmele ich. „Ich besorge ihr mal einen Kaffee. Brauchst du auch einen, Partner?", fragt Semir. „Ja", meint Paul. Als wir kurz allein sind, nimmt mich Paul in den Arm. „Alles wird gut. Wir bekommen ihn auch noch und dann hast du Ruhe", meint er. „Wann saß er?", möchte ich wissen. „Hier. 2004-2005 und 2007-2009", sagt Paul und zeigt mir seine Akte. Ich muss schlucken. Genau da, wo er angeblich auf Geschäftsreisen war. „Das sind genau die Zeitpunkte seiner angeblichen Geschäftsreisen", seufze ich leicht aufgebracht. „Ganz ruhig. Du bist hier in Sicherheit, okay?", versucht Paul mich zu beruhigen.

Einige Minuten später ist Semir mit dem Kaffee zurück. Meine Hände zittern leicht, als ich die Tasse in die Hand nehme. „So, wir sollten dann mal los. Straftäter fangen sich nicht von allein", meint Semir. „Nimm Jenny mit, ich bleibe hier", meint Paul mit Blick auf mich. „Ne. Jenny gehört da nicht hin, deshalb kommst du mit. Laden wir sie bei Nina ab und gehen", sagt sein Partner hartnäckig. „Ist schon gut, ich warte bei Nina", murmele ich und stehe auf. „Ich hole dich später. Bis dann", sagt Paul, küsst mich und läuft in die entgegengesetzte Richtung. Ich schaue ihm sehnsüchtig nach und hoffe, dass er heil zurückkommt. Also laufe ich zu Nina, die in ihrem Büro sitzt und auf ihren Bildschirm starrt. „Oh, hey", sagt sie und schaut auf. „Hast du es schon gehört?", frage ich. „Was denn?", möchte meine Cousine wissen. „Paul und Semir haben einen Täter", erzähle ich. „Ist doch super", meint Nina. „Es ist mein Vater. Er ... als Kind hat man mir erzählt, dass er auf Geschäftsreise für mehrere Monate oder Jahre ist und weist du, wo er stattdessen war? Im Knast", berichte ich. „Oh. Ich wusste das nicht. Und tut mir wahnsinnig leid für dich, Rena. Setz dich mal hin", meint sie. Ich setze mich und atme tief durch. „Wo sind Paul und Semir?", fragt Nina. „Die sind los, um ihn einzusammeln", murmele ich.

„Dann komm mal mit, wir sollten zu Frau Krüger. Sie muss das alles erfahren", sagt Nina und schleift mich durchs ganze Stockwerk bis zu ihrer Chefin. Ihr erzählt sie von den neuen Erkenntnissen und was Paul und Semir vorhaben. Sofort ruft Frau Krüger die Beiden an. Doch niemand geht ans Telefon und ich schiebe leichte Panik. „Ganz ruhig", meint Nina, die meine Unruhe bemerkt. Etwa eine halbe Stunde später geht die Tür auf und ein halb demolierter Semir kommt herein. „Was ist passiert?", frage ich. „Leichte Probleme beim Einsammeln. Alles gut, Paul ist unversehrt und passt auf unsere Ladung auf", meint er. „Komm", sagt Nina und nimmt mich mit. Wir gehen wieder in den Nebenraum mit der Glasscheibe, um die Vernehmung zu beobachten. Mein Vater sitzt auf dem mittleren Stuhl und gibt keinen Ton von sich. Paul steht neben ihm und fragt ihn aus aber er gibt keinen Ton von sich. „Ich löse ihn mal ab", sagt Semir und geht rein. Dafür kommt Paul raus und legt einen Arm um mich. „Was ist passiert?", frage ich. „Er wollte türmen und Semir hat die Verfolgung n bisschen zu ernst genommen. Er ist deinem Vater vors Auto gelaufen um ihn aufzuhalten", berichtet er. „Typisch. Immer mit dem Kopf vor die Wand", seufzt Frau Krüger. „Das ist Semir", meint Nina. Wir beobachten weiter, wie die Vernehmung läuft aber leider Gottes bringt man aus meinem Vater nichts raus. Irgendwann geben sie es auf und bringen ihn ins Gewahrsam. Ich folge Paul zurück ins Büro und beobachte, wie sie Berichte schreiben.

Am späten Nachmittag sind sie noch immer mit Berichten und Telefonaten beschäftigt. Zwischendurch waren wir mal in der KTU, um Beweismittel abzugeben und Ergebnisse von Untersuchungen des Tatortes abzuholen, die seither noch nicht fertig waren. „Wer ist das denn?", fragt der Typ, der dort arbeitet. „Das ist Rena. Ninas Cousine", sagt Paul und schaut sich die Ergebnisse an. „Nichts?", fragt er nochmal. „Leider nicht. Nur ein Schuhabdruck von Größe 44", sagt der Mann. „Mein Vater hat die Größe. Zeig mal", sage ich und bekomme ein Bild ausgehändigt. „Das sind eindeutig seine Schuhe. Ich weiß auch, wo sie stehen. Im Schuhschrank bei uns, zweites Fach von oben", sage ich. „Das hat uns schon sehr geholfen. Danke, Schatz", meint Paul und legt eine Hand um meine Hüfte. „Ihr habt was am Laufen?", fragt der Typ. „Hast du was einzuwenden, Einstein??", fragt Paul provokativ. „Nö, eigentlich nicht. Mehr habe ich nicht für euch, Paul", sagt dieser Einstein. Wir drehen uns um und gehen. „Mach dir nichts aus den Reaktionen von Kollegen. Ist halt merkwürdig, mit einem Familienmitglied von Kollegen in einer festen Beziehung zu sein", sagt Paul. „Schon gut", murmele ich. Zurück in seinem Büro setze ich mich und versinke in meinen Gedanken.

Nobody loves meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt