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•Wincent•

~Monate später~

Mittlerweile war auch die Novembertour vorbei und es war bereits Februar 2020. Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch ausgelaugter als davor sein konnte. Ich war noch tiefer gesunken und alles wurde noch schlimmer. Ich habe den Kontakt zu gewissen Menschen komplett abgebrochen und mittlerweile auch schon ein paar Freunde verloren. Seit ein paar Tagen war ich wieder in meiner Wohnung in Berlin. Und seit drei Tagen verliess ich mein Bett nicht mehr. Ich hatte weder Kraft noch Motivation irgendetwas zu tun. Wenn ich das Bett verliess, dann grad mal, wenn ich auf Klo musste. Aber da ich seit Tagen nichts mehr getrunken oder gegessen hatte, musste ich auch dafür nicht mehr aufstehen. Ich lag nur noch im Bett und schlief. Ich wollte nicht mehr aufstehen, ich wollte keinen sehen und ich reagierte auf keine Anrufe oder Nachrichten. Mein Körper fühlte sich schlapp an, ich war erschöpft und hatte das Gefühl, als wurde mir mein Akku rausgerissen. Jede Bewegung war Anstrengung pur und wenn ich mich mal etwas aufrichtete, wurde es mir schwindlig und ich legte mich sofort wieder hin.

Irgendwann hatte ich dann doch das Bedürfnis, die Fenster zu öffnen. Es war ganz schön stickig hier drin und vielleicht würde mir etwas frische Luft guttun. Also setze ich mich langsam an den Bettrand und stütze mich mit beiden Händen ab. Bereits in der sitzenden Position drehte sich alles. Ich schloss die Augen und atmete tief durch, dann stand ich langsam auf, fokussierte das Fenster und ging zielstrebig darauf zu. Mein Kreislauf war völlig im Arsch. War auch klar, nach Tagen ohne Essen und Trinken. Aber ich hatte einfach weder Durst noch Hunger. Kraftlos liess ich mich gegen das grosse Fenster sinken und setzte mich wieder hin. Ich brauchte eine kurze Pause, bevor ich dieses Riesenfenster öffnen konnte. Mir war schlecht und der Boden bewegte sich. Ich merkte, wie ich begann zu schwitzen, aber gleichzeitig war mir kalt. Ich zog mich dann hoch und öffnete dieses blöde Fenster. Schnell wollte ich danach zurück ins Bett, mich hinlegen und hoffen, dass dieses scheiss Schwindelgefühl aufhören würde. Der Weg war eigentlich nicht weit, so 3 Meter vielleicht, aber ich schaffte nicht mal die hinter mich zu bringen. In der Hälfte sackte ich zu Boden und blieb erst mal schnell atmend da liegen. Mein Kreislauf schlug Alarm und mein Körper fuhr noch mehr runter als dass er es eh bereits schon getan hatte.

Nach gefühlt einer Stunde, die ich auf dem Boden lag, wachte ich durch das Klingeln an meiner Tür wieder auf, was ich aber dann ignorierte. Ich versuchte mich dann aufzurappeln und krabbelte zurück zum Bett. Mit letzter Kraft zog ich mich hoch und liess mich komplett erschöpft ins Kissen sinken und versuchte mein schnelles Atmen zu kontrollieren. Ich hörte wie neben mir mein Handy immer wieder vibrierte. Erst kamen nur Nachrichten, dann waren es Anrufe. Ich tastete danach und sah nur kurz drauf. Nachrichten von meinen Freunden, aber vor allem von Amelie. Sie war es auch, die mich ununterbrochen versuchte zu erreichen. Wieder rief sie mich an, aber ich wollte und konnte einfach nicht ran gehen. Also drückte ich sie weg, machte mein Handy aus und legte es neben mich. Ich zog mir die Decke über den Kopf, weil es wegen dem offenen Fenster nun doch ziemlich kalt wurde in der Wohnung. Doch mein Körper hatte keine Energie mehr, um mich zu wärmen und die Decke brachte auch nicht viel. Also lag ich zitternd im Bett und versuchte mich weit weg zu denken und schlief irgendwann wieder ein.

•Amelie•

Wincent ging seit Tagen nicht an sein Handy, er reagierte auf nichts. Auf keine Nachricht und auch nicht auf meine Anrufe. Ich begann mir richtig Sorgen zu machen und hatte Angst, dass sonst irgendwas mit ihm passiert war. Ich hatte mich heute früh, mit meinem Auto, auf den 5 stündigen Weg nach Berlin gemacht. Die Sorge um Wincent liess mich nicht mehr los und ich fuhr hin, nach dem auch Hütte vergebens versucht hatte Wincent zu erreichen und auch bei seiner Wohnung war und geklingelt hatte. «Bitte lass nichts Schlimmes passiert sein.» sagte ich immer wieder und drückte das Gaspedal etwas mehr runter, je näher ich Berlin kam. Ich fuhr die Strasse entlang und konnte dann von weitem das Wohnhaus sehen in welchem Wincent wohnte. Ich parkte mein Auto, schnappte mir mein Handy und den Ersatzschlüssel, welchen ich mal von Wincent gekriegt hatte und ging schnellen Schrittes zu seiner Wohnungstür. Ich klingelte und wartete. Ich klingelte noch mal und dann schloss ich einfach die Tür auf. Es kam mir ein eisiger Wind entgegen, da es direkt einen Durchzug gab. Schnell betrat ich die Wohnung und schloss die Tür. «Wincent?!» rief ich und ging samt Schuhe und Jacke ganz rein und sah um die Ecke. In der Wohnung war das reinste Chaos, sein Koffer war auch nach Monaten noch nicht weggeräumt und auf dem Boden lagen Klamotten, bei denen ich echt hoffte, dass die nicht noch vom November waren. Das Fenster war komplett geöffnet und liess eine eisige Kälte herein. Gerade wollte ich zum Fenster und es schliessen, als mein Blick auf das Bett fiel.

«Wincent?!» sagte ich sofort und ging zum Bett. Ich sah nur seine braunen Haare und zog langsam die Bettdecke weg. Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst, doch die Entwarnung kam sofort, als Wincent kaum hörbar flüsterte: «Mir ist so kalt.», «Ich schliess das Fenster.» sagte ich hastig, stand auf und schloss das Fenster. Ich drehte die Heizung auf und ging wieder zurück zu Wincent. Er lag noch immer auf der Seite und zitterte wie Espenlaub. «Wincent! Was ist los. Warum reagierst du auf keine Nachrichten und Anrufe.» sagte ich und kriegte richtig Angst bei seinem Anblick. Er war blass, hatte Augenringe auch wenn er wahrscheinlich viel geschlafen hatte. Sein markanter Kiefer, war noch markanter geworden. Ich konnte mir nur erahnen, wie sehr sein Körpergewicht nachgelassen hatte. «Mir geht's gut.» murmelte er und zog die Decke noch höher. «Nein! Wincent! Dir geht es gar nicht gut! Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen oder getrunken?» fragte ich und liess meinen Blick schweifen und suchte irgendwo nen gebrauchten Teller oder ein Glas. «Keine Ahnung. Vor 3 Tagen oder so.» murmelte er. Ich drehte ihn langsam zu mir, seine Augen waren matt und ihm war immer noch kalt. «Du gehst jetzt erst Mal unter die Dusche und wärmst dich auf.» befahl ich ihm. Doch das war leichter gesagt als getan. Wincent hatte kaum noch Kraft auf eigenen Beinen zu stehen. Wie sollte das mit dem Duschen funktionieren. Kurzerhand rief ich Hütte an, der 20 Minuten später ebenso in der Wohnung stand. Gemeinsam schafften wir Wincent ins Bad und zogen ihn bis auf die Boxershorts aus und stellten ihn damit unter die Dusche.

Während Paul, bei Wincent war, holte ich ihm frische Klamotten und legte sie vor die Tür. Dann ging ich zurück in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Gähnende Leere. Nichts war im Kühlschrank, ausser Kinderschokolade, Bier und eine Flasche Wasser. Ich öffnete jeden Schrank den ich fand und wurde dann doch noch fündig und nahm eine Packung Nudeln hervor. Nachdem Paul mit Wincent zurück kam, drückte ich ihm als erstes einen Tee in die Finger, den er auch trank. Zum Essen mussten wir ihn schon fast zwingen, aber irgendwann tat er es dann und kriegte dann doch bisschen was runter. Ich hätte am liebsten geweint, als ich Wincent so sah. Wieso liess er sich nicht helfen. Wieso hatte er mich nie angerufen und gesagt wie scheisse es ihm ging. Kurzerhand packte ich ein paar wenige Sachen von ihm in eine Tasche und ging zu ihm. «Was machst du da?» murmelte er und sah mich an. «Ich bring dich jetzt zu deiner Familie.» sagte ich. «Nein...» sagte Wincent leise. «Doch! Ich lass dich hier nicht mehr allein!! Du brauchst Hilfe, Wincent!» sagte ich bestimmend und nach einer kurzen Diskussion, sassen wir in meinem Auto auf dem Weg zu Wincents Familie.

All die Dinge die mich quälenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt