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Das kleine Mädchen klammert sich an mir fest, ohne Halt. Ich fühle die langen Fingernägel, die sich in meine Schultern bohren; ihren zierlichen Kopf, der sich in meine Halsbeuge drückt. Ein unangenehmer Duft kommt mir entgegen. Die glänzenden Haare sind direkt vor meiner Nase. Es scheint so, als ob diese schon seit geraumer Zeit nicht gewaschen wurden. In den langen Spitzen haben sich grosse Knoten gebildet.

Ich schliesse ebenfalls meine Arme um das Mädchen und fühle direkt den knochigen Rücken.

Niemals hätte ich gedacht, in eine solche Situation zu kommen. Ich habe einfach keine Worte dafür. Ich bin sprachlos.

Ich kann nicht einschätzen, wie alt das Mädchen ist. Vielleicht vier oder fünf Jahre?

Es scheint so, als ob der Mann sich regen würde. Ich sehe, wie er blind nach etwas tastet. Er sucht seine Tochter. Als er sie nicht findet, schreckt er so schnell auf, dass ich zurückzucke. In diesem Moment macht das Mädchen ein wimmerndes Geräusch, dass mein Herz schmerzen lässt. Die mageren Arme schliessen sich stärker um mich, als hätte es Angst, dass ich verschwinden könnte.

Der Blick des ebenfalls mageren Mannes schnellt zu mir. Seine Augen sind eingefallen und wirken matt. Der Bart verdeckt die Wangen, trotzdem aber erkenne ich, wie markant - nein, mager - sein Gesicht ist. Schon im Dunklen erkennt man, wie bleich er ist. Als er das Mädchen in meinen Armen sieht atmet er einmal tief aus und seine antespannten Schultern fallen nach unten.

Stille herrscht, niemand sagt ein Wort. Das Mädchen in meinen Armen wiege ich leicht hin und her, streiche ihm über die Schultern, versuche ihm Wärme zu spenden.

"Sch, sch ... ", flüstere ich leicht.

Verunsichert sehe ich zu dem Mann. Sein Blick ist auf den Boden gerichtet. Ich sehe zu, wie müde er blinzelt, wie schwer er schluckt und wie schwer es ihm fällt, zu atmen. Mittlerweile ruht sein Rücken gegen die Wand. Ich muss etwas unternehmen.

"Hey, Kleine", versuche ich es nochmals. "Wie heisst du?" Leise flüstere ich in ihr Ohr. Ich streichle sie weiter und drücke sie fester an mich, als Zeichen, dass sie keine Angst haben muss.

Als ich immer noch keine Antwort bekomme, spreche ich weiter.

"Ich bin Amanda."

Ihr kleiner Kopf bewegt sich und einen kurzen Augenblick später ertönt ihre leise Stimme.

"Emily."

"Was für ein wunderschöner Name. Und dein Daddy?" In der Hoffnung, dass es wirklich ihr Vater ist, schaue ich zu ihm herüber. Immer noch mit dem ekelhaften Geruch von allmöglichem Abfall in der Nase, krause ich einen kurzen Moment die Nase. Zum Glück sieht er mich erst jetzt an. Ich möchte nicht, dass er denkt, ich ekle mich vor ihnen.

"Logan", ertönt wieder die schwache Stimme.

"Möchten du und dein Daddy mit mir kommen? Ihr könnt in meinem warmen Gästezimmer schlafen."

Ihr kleines Köpfchen entfernt sich von meinem Hals und sie schaut mich mit verweinten Augen an. Und als ich ein schwaches Nicken sehe, lächle ich leicht. Ein Blick zurück zu Logan sagt mir, dass er keine andere Wahl hat, als mit mir zu kommen. Ob er wollte oder nicht.

Unumgehbare LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt