Der Kampf des Schnüfflers (9)

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Timo hielt das Messer in seiner Faust wie ein Serienmörder in einem Horrorfilm, als er durch das Landhaus seines Opas stapfte. "Katharina!", brüllte er wutentbrannt, "Komm raus und kämpfe gegen mich! Hör auf dich in meinem Opa zu verstecken, wie ein elender Feigling! Oder bist du einer?"
Nichts geschah. Vielleicht hatte die Dämonin eingesehen, dass sie den Schnüffler ein Bisschen zu wütend gemacht hatte. Wahrscheinlicher war, sie verschanzte sich, sammelte ihre Kräfte und wartete auf den perfekten Moment um zuzuschlagen. Komischerweise hatte Timo keine Angst, obwohl er gerade Blitz' Vernichtung miterlebt hatte, er war einfach viel zu sauer. Der Schnüffler konnte es kaum erwarten das Messer immer und immer wieder in jene schwarzen Augen zu stechen, bis das höhnische Gelächter der Dämonin verklang. Natürlich nachdem diese seinen Opa verlassen hatte.

Er war bereits im ersten Stock, als er realisierte, dass er das Gewehr im Wohnzimmer vergessen hatte. Verdammt!
Er würde es jetzt nicht mehr holen, jetzt wo er schon so weit gekommen war. Er lief von einem Zimmer zum nächsten, riss die Türen auf und versuchte die Dämonin zu überraschen. Am Ende war nur noch ein Zimmer übrig, welches er ganz bewusst gemieden hatte. Eines in dem er Katharina wirklich nicht haben wollte: das Zimmer in dem er untergebracht war. Die Vorstellung, dass Katharinas stinkende, böse Präsenz seine Sachen beschmutzte, war kaum zu ertragen.
Vor der Türe zögerte er, seine Hände zitterten. Jetzt bekam er Angst, jetzt wollte er die schwere Holztüre nicht mehr öffnen. Er schluckte und machte einen weiteren zögerlichen Minischritt auf sein Ziel zu. 'Ganz ruhig bleiben! Keine Panik! Du machst das für Blitz... und Opa... und die ganze Familie!', ermahnte er sich in Gedanken. Langsam legte er seine Finger um die kalte Messingklinke und drückten sie herunter. Vorsichtig lugte der Schnüffler in den Raum.

Die Szene, die sich ihm bot, war so komisch, dass Timo vermutlich gelacht hätte, wäre die Situation nicht so ernst gewesen: Sein Opa, oder besser gesagt, dessen Körper, stand grotesk verrenkt auf Timos Bett und hielt, mit einem bestialischen Grinsen auf dem Gesicht, dessen Handy in der Hand. "Wie meinst du das, Timo ist verletzt? Soll ich vorbei kommen? Der nächste Bus kommt demnächst, ich könnte in 3 Stunden da sein!", drang Tobis Stimme aus dem Gerät. "Ja! Timo ist die Treppe heruntergefallen. Sein Bein ist gebrochen! Er hat nach dir gefragt. Jetzt schläft er. Könntest du vielleicht für ein paar Tage vorbeikommen? Es wäre doch eine große Hilfe, wenn jemand junges und agiles hier wäre.", antwortete Katharina mit Waldemars Stimme. "Okay! Ich hole gerade meine Jacke. Bin unterwegs!", erwiderte Tobi eilig. Timo konnte es nicht glauben. Katharina wollte jetzt also auch noch von seinem besten Freund Besitz ergreifen. Wie hatte sie überhaupt von Tobis Existenz mitbekommen? Vermutlich hatte sie Informationen über ihn in Waldemars übrig gebliebenen Erinnerungsfetzen gefunden. "Nein! Mach es nicht Tobi! Mir geht es gut! Komm nicht hierher!", brüllte Timo. Waldemars Körper fuhr ungelenk zu ihm herum und schmetterte das Telefon gegen die Wand. Es zerbarst in tausend scharfkantiger Teile. Timo packte das Messer fester. "Damit kommst du nicht durch! Los! Verlasse meinen Opa und kämpfe richtig! Du bist so ein blöder Feigling! Lass endlich meine Freunde und meine Familie in Ruhe! Ich hasse dich!", kreischte Timo und er konnte hören, wir seine Stimme mit jedem Wort schriller wurde. Katharina lachte ihr widerliches, höhnisches Lachen. "Mach schon!", verlangte der Schnüffler, in dem Wut und Angst um die Vorherrschaft kämpften. Am liebsten wollte er das Messer fallen lassen und so schnell er konnte weglaufen. Weit weg, soweit er kam, und nie mehr zurückkehren. Andererseits wollte er auch mit dem Messer gegen die Kreatur kämpfen, die ihm, Blitz und Opa Waldemar so viel Leid angetan hatte. "Ich glaube nicht, dass du in der Position bist zu verhandeln, Bengel.", zischte Katharina und erneut klang es, als würden Fingernägel über eine Schiefertafel kratzen. Dafür, dass sie den Körper eines alten Mannes benutzte, sprang Katharina viel zu leichtfüßig in einem hohen Bogen vom Bett, und landete nur noch wenige Schritte von Timo entfernt.

Timo zögerte einen Moment zu lange. Eine dunkle Wolke schoss aus Waldemars Hand und traf den Schnüffler mitten ins Gesicht. Ein furchtbarer, brennender Schmerz breitete sich über seinen ganzen Körper aus. Mit Wucht wurde er nach hinten geschleudert. Vor Schmerzen schreiend, knallte er gegen die Wand das Ganges gegenüber seiner Zimmertür. Mühsam rappelte er sich auf und robbte in die Richtung, in die das Messer geflogen war. Er konnte nicht gut sehen, es war als sehe er ein Video über das jemand einen roten Filter gelegt hatte. Laut und schrill lachend wankte Katharina auf ihn zu. Offenbar bereitete ihr das Gehen Schwierigkeiten, vermutlich taten Dämonen das nicht oft.
Das Schwarz ihrer Augen waberte als Rauchschwaden über Opa Waldemars Gesicht, und in seinen verkrampften Händen sammelte sich erneut jener dunkle Nebel. Timo war so panisch wie noch nie zuvor. Er glaubte, neben Waldemars, noch ein weiteres Paar Schritte zu hören, aber es konnte auch nur sein pochendes Herz sein. Er kroch weiter. Der Schnüffler schnappte sich das Messer und schaffte es, sich hinter eine Kommode zu retten bevor der Nebel die Stelle traf, an der er zuvor noch gelegen hatte. Hektisch stand er auf, rannte um Katharina herum, zurück in sein Zimmer und hechtete hinter das Bett. Sein ganzer Körper pochte, vor Schmerzen. Er hatte das Gefühl, als könnte sein Kopf in winzige Scherben zerspringen. Stöhnend kauerte er sich zusammen. Die Dämonin kreischt wütend, schwankte herum und humpelte zurück in das Zimmer. Timo lugte hinter dem Bett hervor und erstarrte: er konnte sein Gesicht auf der anderen Seite des Zimmers im Spiegel sehen. Es sah furchtbar aus. Tiefe Schnitte gruben sich durch sein Fleisch. Blut lief aus den Wunden und seinen Augen. Das, was noch von seiner Haut zu sehen war, hatte einen bleichen Ton angenommen. Er selbst sah nun ein bisschen aus wie eine zersprungene Puppe. Mit zitternden Fingern betastete er sein Gesicht, erleichtert, dass es noch warm und weich war, und nicht hart, kalt und scharfkantig, wie das des toten Blitz. Er betrachtete seine Finger voll Angst, was er sehen würde. Seine Befürchtungen bestätigen sich: Warmes, rotes Blut benetzte seine Hände. Schluchzend kauerte Timo sich noch kleiner zusammen. Er wollte nicht sterben. Er hatte Angst. Solche Angst. Er war doch erst 13! Er wollte noch Leben. Er hatte doch so viele Pläne!

Opa Waldemars fremdgelenkter Körper blieb gegenüber von Timo stehen, das Bett als einziges Hindernis zwischen ihnen. Der Rauch aus seinen Augen türmte sich nun in der Form von zwei gigantischen, schwarzen Hörnern über Waldemars Kopf auf, so wie es auch bei dem Bild auf dem Fotobuch gewesen war. "Bitte, bitte, bitte!", flehte Timo. Katharina lachte voll Wahnsinn. "Von mir aus, kleiner möchtegern Dämonenjäger, ist ja nicht so als könntest du mich in irgendeiner Form aufhalten!", zischte sie. Erneut glaubte Timo Schritte zu hören. Schlug sein Herz wirklich so laut? Spielte seine Angst ihm nur einen Streich? ...Er war mit der Dämonin allein. Wären da wirklich Schritte, dann hätte Katharina sie doch sicherlich auch bemerkt. Mit einem Rauschen schoss Katharinas rauchige Essenz aus Opa Waldemars Körper, der bewusstlos auf das Bett kippte. Manisch lachend erhob sich die Dämonin in die Luft. "Jetzt bist du tot, Bengel. Mausetot, wie das dumme, kleine Wesen vor dir.", flüsterte sie. Timo schloss die Augen, hielt die Luft an und wartete auf das Unvermeidliche. Schützend hielt er das Messer vor sich, um wenigstens ein bisschen Schaden bei Katharina anrichten zu können. Das schrille, grausige Lachen Katharinas hallte von den Wänden wieder.

Ein Knall zerriss die Luft und augenblicklich verstummte das Gelächter. Erschrocken riss Timo die Augen auf. Die schwebende Rauchsäule, die die Dämonin war, schien mitten in der Luft erstarrt zu sein. Die pechschwarzen Augen wurden matt, und die grauenhaften Schwaden löste sich langsam in Luft auf. Was war geschehen? Verwirrt sah Timo sich um und erblickte eine große, magere Kreatur in der Tür, ein Glasperlengewehr fest in den spindeldürren Händen. Der ausgemergelt wirkende Körper war in weinroten, mit Gold bestickten Stoff gehüllt, der im Licht schimmerte, wie die Oberfläche eines Sees. Zwei spitze Fangzähne ragten zwischen schmalen Lippen hervor, in dem bleichen Gesicht waren keine Augen. Dünnes, langes, blondes Haar war mit funkelnden Steinen, die der Schnüffler noch nie gesehen hatte, verziert. Timo brauchte niemanden, der ihm erklärte, dass dies ein anderer Dämon war. Er schluchzte. Hatte dieser Albtraum denn nie ein Ende?

Das Foto: Des Schnüfflers Fund Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt