Kapitel 1.1 - Spuren im Schnee

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»Bitte bereiten Sie sich darauf vor, die Festtage im Inneren Ihrer Wohnung zu verbringen. Wir empfehlen hierfür die Produkte unseres Sponsors, des Unternehmers Ronan Vos, der sich darauf spezialisiert hat, Nahrung über längere Zeit haltbar-«

Während die meisten Anwesenden noch lauschten, wandte Nadie sich zum Gehen ab.

Die Maschine ließ die Worte so monoton über den Platz schallen, als handle es sich um nichts, als die normalen Aussichten über das Wetter.
Doch dieses Mal versammelten sich die Menschen hier nicht, um ihre Ausflüge für warme Sommernachmittage zu planen.

Kalter Wind peitschte über die Fläche, Frost brachte Bäume zum Ächzen und auch die Roboter hatten unter den Umständen zu leiden.
Mehr mit Sorge, als mit dem Interesse eines Wissenschaftlers, sah Nadie zu der Maschine zurück, die jeden Morgen die Nachrichten verkündete.

Die Drohne schwebte wenige Meter über dem Boden und begeisterte die Menschen mit ihrer Stimme.
Es würde jedoch nicht mehr lange dauern, da würden die Zahnräder einfrieren und das Objekt wie ein wertloses Stück Metall zu Boden krachen.

Je weiter sich das Mädchen vom Park entfernte, desto mehr verschwand das Schrecken aus der Umgebung — als bewege sie sich in eine heilere Realität, die vom festlichen Glanz des Metanoia-Festes eingenommen wurde. Die Hauptstadt des Reiches war ein Ort des Prunks und Reichtums. Banner hingen von den Laternen, Musik wurde gespielt, Kinder tanzten und Geschenke wurden über die verschneiten Straßen getragen.

Die emsigen Händler hatten einen guten Tag, nun, wo die Festlichkeiten so nah bevorstanden und das Wetter die Menschen in ihren Wohnungen festhalten würde.

Gerüchte besagten, es solle noch viele Mondzyklen so kalt bleiben. Ein grausames Schicksal, das vielen Leuten den Ruin bedeuten würde.

Trotzdem die Priester sie schon seit drei Jahren vor diesem Winter warnten, waren die Vorbereitungen unzureichend gewesen.

Wie sollte man sich auch vorbereiten? Die meisten Leute lebten vom Verkauf, oder hatten Felder, die sich irgendwo zwischen den hohen Gebäuden auftaten. Die einzige Führungskraft, die sie hatten, war ihre Göttin.
Und Metis ließ selten ihre eigene Stimme verlauten.

Sie sprach durch die Priester, ließ keine direkten Anweisungen durchdringen und stattdessen die Menschen ihrem gewohnten Alltag nachgehen — als gebe es keine Gefahren.

Während Nadie, als Studentin am Orendaturm, bemüht war, die Maschinen so wettertauglich wie möglich zu gestalten, war im Herzen der Stadt nichts geschehen.
Zumindest nichts, was nicht auch die letzten Jahre schon dort war.

»Mädchen!« Der Ruf eines Händlers brachte sie um zusammenzucken.

Sie legte den Kopf zur Seite, um den alten Greis zu betrachten, befürchtend, dass er ihr eine seiner sündhaft teuren Wachskerzen anbieten wollte. »Ich möchte nichts kaufen, danke.«

»Das ist es nicht.« Er winkte sie näher an seinen Stand heran, wo Gewürze verführerisch dufteten und die grellen Farben der Kerzen einen anstrahlten.

»Was gibt es denn?« Den bissigen Ton in ihrer Stimme bereuend, vermied sie nun Augenkontakt — verlor sich dabei in dem Farbspiel der Waren vor sich sich.

Sie hätte genug Geld, um sich hunderte Exemplare zu kaufen... Es kostete Überwindung, nicht zuzugreifen. Sie hatte schon zu viele in ihrem Studierzimmer.

Die Worte des Mannes boten eine willkommene Ablenkung. »Diese Maschine letzte Woche-«

Nadie schnitt ihm direkt dazwischen: »Nein.« Sie schüttelte den Kopf, blickte ihm tief in die grauen Augen. »Nein.«

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