Eine Nacht im Papa Vader

10 0 0
                                    

Man betrat das Papa Vader über einen weiß gefliesten Stiegenabgang, der in blaues Licht getaucht war. Knapp über dem Fußboden zog sich eine dünne, leuchtende Schnur an den Wänden entlang. An einem der wenigen Tische erblickte er Sviet und Alexandra mit ihren Freunden. Wie man wohl darauf sitzt? fragte er sich, als er die weißen Star-Wars-Stühle erblickte. Lehnen und Sitzflächen bestanden aus aneinandergeschweißten, weißlackierten Dreiecken. An der mit Darth Vader Masken geschmückten Bar bestellte er sich ein Bier. Es war billiger als in den von Touristen stark frequentierten Lokalen in Moskau. Die Mitglieder der schwarzgekleideten und mit Tattoos übersäten Vierergruppe, die nach ihm das Lokal betreten hatte, waren wohl allesamt Russen. Auf der schwarzen Kleidung der Neuankömmlinge und bei den schwarzen Masken an der Bar hatte es das Licht schwerer, aber das helle Weiß der Wände und der Sessel war auch hier so wie im Stiegenhaus in kühles Blau getaucht. „To Infinity and Beyond!" Und: „Does this unit have a soul?" las Björn einige der Sätze, die in schwarzer Schrift und in unterschiedlichen Schriftarten und Schriftgrößen auf die Wände gedruckt waren, während er auf sein Bier wartete. Beim Satz „I am your father" klang seine innere Stimme ein bisschen nach Darth Vader.

„Thanks for inviting me to your birthday", begrüßte Björn seine 31-jährige Gastgeberin, Alexandra. Er holte einen Metallsessel von einem anderen Tisch, setzte sich betont lässig zu den vier Freunden an den Kopf des Tisches und wartete vergebens auf das Nasdarowje, mit dem sich Russen nur in Filmen zuprosten. „Sviet and I, we go celebrate my birthday in the evening. If you want you can join us", hatte Alexandra ihren AirBnB-Gast gleich bei seiner Ankunft eingeladen. Auf dem Weg vom Fußballstadion ins Papa Vader hatte sich Björn gefragt, ob er nicht vielleicht nur aus Höflichkeit zum Mitkommen eingeladen worden war... Würde er den ganzen Abend das fünfte Rad am Wagen sein? Der Besuch aus Europa, der kein Wort Russisch versteht und alle dazu zwingt, Englisch zu sprechen? Die Russen beantworteten die unausgesprochenen Fragen ihres Gasts aus Europa mit einem eigenen Mundstück frisch aus der Plastikverpackung und der Einladung, mit ihnen gemeinsam die Wasserpfeife zu rauchen, die mitten auf dem Tisch thronte. „Wie war das Fußballspiel?", fragte Alexandra höflichkeitshalber. Nach dem Besuch im Stadion hätte sich Björn eigentlich am liebsten gleich an Ort und Stelle zum Schlafen hingelegt, sich dann aber doch noch auf den Weg ins Darth Vader gemacht. Keiner der Russen am Tisch, weder Alexandra noch Sviet, auch nicht ihre Freunde Denis und Mariya, interessierten sich für Fußball. Björn fühlte sich dennoch wie zu Besuch bei alten Freunden. Alte Freunde, die er am Tag zuvor kennengelernt hatte.

„Do you know Eugen Sänger", fragte Sviet mit einer russischen Sprachmelodie und angenehmen, langen Pausen zwischen den Wörtern. Schon als Alexandra ihrem Gast das Schlafsofa im Wohnzimmer ihrer kleinen Moskauer Wohnung gezeigt hatte, waren Björn die vielen Werke über Raumfahrt und Physik aufgefallen. Die Wände bestanden aus Büchern, vom Boden bis zur Decke. Lächelnd blickten Sviets blauen Augen in die Ferne. Oder schienen sie nur blau wegen der Beleuchtung? Nein, auch auf dem Foto von ihm und Alexandra auf dem Schreibtisch in der Wohnung lächelten sie blau. Björn wusste nichts von Eugen Sänger und hatte auch nicht das Gefühl, dass die Unkenntnis dieses Namens einen Mangel an Allgemeinbildung ausmachte. Statt Nein zu antworten, schüttelte er den Kopf und nahm einen besonders großen Schluck von dem blau beleuchteten Bier. Die Falten in Sviets lächelndem, glattrasiertem Gesicht verziehen die Unwissenheit des Gastes großzügig. Björn nach wie vor nicht in die Augen blickend zog Sviet aus seiner Tasche ein Notizbuch, blätterte kurz darin und zeigte ihm eine mit kyrillischen Buchstaben befüllte Seite, in deren Mitte sich eine mit der Hand angefertigte Skizze befand. „Sänger hat dieses Modell vor über 50 Jahren entworfen, aber bis heute hat es niemand umgesetzt", erklärte er seinem österreichischen Gast den sorgfältig angefertigten Plan eines Raumfahrzeugs. Als er einen Schluck Schwarztee aus der Tasse trank, fiel Björn auf, dass er als einziger am Tisch kein Bier trank, auch rauchte er nicht von der Wasserpfeife. Dass sein Gast aus Österreich noch nie etwas von seinem Landsmann Sänger gehört hatte, konnte die Begeisterung des russischen Physikers nicht bremsen. Von dem Detailwissen über Antrieb und Aufbau des utopischen Raumschiffs aus der Vergangenheit verstand Björn so gut wie nichts. Sviets Worte verwandelten das weißblaue Lokal dennoch in einen Teil ebendieses Raumschiffs, das gerade durch fremde Sonnensysteme navigierte.

„Have you read one of Stanislav Lem's novels?" wollte Sviet schließlich wissen, nachdem er doch erkennen musste, dass ihm in Björn nicht gerade der begnadetste Raumfahrtexperte gegenübersaß. „I saw Tarkowskys film version of Solaris", erinnerte sich der 42-jährige Deutschlehrer an den heißen Sommertag vor etlichen Jahren, an seinen Besuch der Tarkowsky-Retrospektive in einem fast leeren Wiener Kinosaal. „How do you like Soderbergh's remake?" wollte Björn wissen. „It does not have the depth of the original", urteilte Sviet. Björn musste daran denken, welche Personen aus seiner Vergangenheit von dem geheimnisvollen, fremden Planeten zum Leben erweckt werden hätten können. „The movie becomes more.... true, the older one gets", versuchte sich Björn in einer tiefsinnigen Antwort. Dabei wollten ihm die englischen Worte für „wahrhaftig" und „zutreffend" ganz einfach nicht einfallen.

Papa VaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt